Virus ist eine Chance für die Politik
Forsa-Chef sieht Vertrauen wachsen
Berlin Die Ausbreitung des Coronavirus in Deutschland könnte für Kanzlerin Angela Merkel und ihre Minister eine Möglichkeit sein, verloren gegangenes Vertrauen bei den Wählern wieder zurückzugewinnen. „Ich denke, die Corona-Krise ist zunächst einmal eine Chance für die Politik“, sagte der Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, Manfred Güllner, unserer Redaktion. Unter dem Druck der Ereignisse gebe es gerade eine Art Renaissance der Volksparteien. „Ähnlich wie nach den Anschlägen vom 11. September schart man sich erst einmal um diejenigen, denen man eine Führung zutraut“, sagte Güllner. Die Umfragewerte bestätigen, dass vor allem für CDU und CSU, die enorm zulegen konnten und bei Forsa auf 36 Prozent stehen. Die Grünen hingegen lassen Federn und sind mit 17 Prozent nur noch einen Punkt vor der SPD. Ihnen wird offenbar nicht die Fähigkeit zugesprochen, Krisen meistern zu können. Einen ausführlichen Bericht lesen Sie in der
Berlin Das Coronavirus stellt die Bundespolitik auf den Kopf. Gesichter, die vorher omnipräsent waren, gingen in der Krise unter. Norbert Röttgen und Friedrich Merz etwa, die Bewerber um den CDUVorsitz, spielen in den Medien keine Rolle mehr. Sie sind mit der Gewissheit abgetaucht, dass ihr Rat gerade nicht gefragt ist. Armin Laschet, der Dritte im Bunde, hält sich als Wahlkämpfer gleichfalls zurück und agiert ausschließlich als nordrheinwestfälischer Ministerpräsident. Dafür stehen die ganz oben, die man schon auf dem Abstellgleis wähnte. Vor allem Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) laufen zur Hochform auf.
Nahezu paradox scheint, dass die alte Garde gewinnt, obwohl sie angesichts der vielen Rätsel rund um das Virus zum Abwarten verdammt ist. „Politik muss täglich neu analysieren“, sagen Laschet und andere. Was Handlungsfähigkeit signalisieren soll, ist in Wahrheit nur die Verbrämung der Tatsache, dass von den Regierenden in Bund und Ländern niemand weiß, was morgen ist.
Die Politik ist gerade genauso ratlos wie die Wählerinnen und Wähler. Im Gegensatz zum Volk können die Regierenden allerdings Experten hören und Maßnahmen wie Ausgangsbeschränkungen anordnen – und das kommt offenbar an. Die Experten des Meinungsforschungsinstituts Forsa haben für das Trendbarometer von RTL und n-tv einen Umfrageschub um weitere vier Prozentpunkte auf aktuell 36 Prozent ermittelt. Die Forschungsgruppe Wahlen sieht CDU und CSU aktuell etwas schlechter, aber immerhin noch bei 33 Prozent.
Die Corona-Krise ist offenbar „zunächst einmal eine Chance für die Politik“, wie Forsa-Chef Manfred Güllner analysiert. Allerdings profitiert gerade vor allem die Union und nicht die SPD. Die Sozialdemokraten sieht Forsa nahezu unverändert bei 16 Prozent (Forschungsgruppe Wahlen: 15 Prozent). Güllner hat eine Idee, warum dem so ist: „Sichtbar ist Finanzminister Olaf Scholz, aber er ist von seiner Partei abgemeiert worden und wird in der Wahrnehmung nicht als SPD-Repräsentant gewertet“. Die neue SPD-Spitze sei „eher eine Zumutung. Frau Esken und Herr WalterBorjans treten gerade ja auch gar nicht auf“, meint der Forsa-Chef.
Gleichwohl, sagt Güllner im Gespräch mit unserer Redaktion, gebe es unter dem Druck der Ereignisse gerade eine Art Renaissance der Volksparteien. „Ähnlich wie nach den Anschlägen vom 11. September schart man sich erst einmal um diejenigen, denen man eine Führung zutraut“, erklärt der Soziologe. Die Menschen hätten jetzt das Gefühl, „dass sich die Politik tatsächlich um das kümmert, was sie bewegt“. Wenn die Politik ehrlich sage, dass sie keine perfekten Lösungen hat und auf Sicht fahren muss, werde das von den Menschen honoriert. „Die Politik entspricht gerade ihren
Erwartungen“, sagt Güllner. Ein zweiter Punkt ist nach seiner Einschätzung für die Auferstehung der Volksparteien wichtig: „Die Parteien streiten nicht mehr. Es mag ja sein, das die Intellektuellen und die Kulturkritiker diesen Streit einfordern, aber die meisten Menschen wollen gerade keinen Streit.“
Ob das auch für die anderen Parteien im Bundestag gilt? Eher nicht. Die Grünen verlieren bei Forsa weitere drei Prozentpunkte und kommen auf 17 Prozent – einen Wert, den sie zuletzt im September 2018 erreicht hatten. Ihr Abstand zur SPD, die sie vor wenigen Wochen noch scheinbar dauerhaft vom zweiten Platz verdrängt hatten, beträgt lediglich einen Punkt. Bei der Forschungsgruppe Wahlen stehen die Grünen noch bei 22 Prozent und damit seit November relativ konstant.
Auffällig ist aber, dass die beiden Speerspitzen der Partei, Annalena Baerbock und Robert Habeck, kaum in Erscheinung treten. Es rächt sich jetzt, dass die Ökos keine sichtbaren Kompetenzen fürs Gesundheitsund Krisenmanagement entwickelt haben. „Die Grünen“, hat auch Güllner beobachtet, „können im Augenblick nichts tun.“Ganz im Gegenteil. „Viele der Wähler, die von der Union zu den Grünen abgewandert sind, sind ja nicht deren Stammwähler geworden. Sie sehen jetzt die Chance, von den Grünen wieder wegzugehen. Wir beobachten da eine Rückwanderung“, sagt der Politikexperte.
Auch FDP und Linke profitieren nicht. Sie halten in etwa ihre Umfragewerte, die Liberalen liegen bei sechs, die Linken bei acht Prozent. Für sie gilt dasselbe wie für die Grünen: Eine Expertise in Sachen Krisenbekämpfung haben beide Parteien nicht. FDP-Chef Christian Lindner etwa mag gute Ideen für Finanzhilfen haben – gegen die in der Euro-Rettung oder auch im Anti-Terror-Kampf erprobte Kanzlerin macht er damit keinen Stich.
„Die Mehrheit der Menschen hat
Angst und wenn man dann fragt, ob es Alternativen zu den etablierten Parteien gibt, lautet die Antwort: Nein“, sagt Güllner. Die AfD sei da nur für eine kleine Minderheit der Wähler eine Lösung. „Und was es sonst so noch an kleinen Gruppen gibt, auch auf kommunaler Ebene, ist ebenfalls keine Alternative.“
Selbst Pessimisten wissen, dass das Virus irgendwann beherrschbar ist, und es stellt sich die Frage, ob sich dann die politische Stimmung wieder wandelt? Güllner wehrt ab: „Wenn die Parteien sich ordentlich verhalten, kann diese Stimmung anhalten, sie muss nicht kippen.“Es habe auch nach dem 11. September gedauert, bis das Vertrauen der Menschen in die Politik wieder bröckelte. „Aber daran hatten die Parteien selbst schuld, weil sie anfingen, sich wieder mit sich selbst zu beschäftigen.“
Diese „Sehnsucht nach den klassischen Parteien“, wie Güllner es nennt, könnte also bleiben, wenn das Virus weg ist. Merkel, Scholz und alle, die ihnen nachfolgen, haben es in der Hand. „Es liegt an den Parteien, ob sie diesen Zustand erhalten“, sagte der Forsa-Chef und warnt: „Wenn sie allerdings in den Streitmodus zurückfallen, sobald die Krise vorbei ist, dann ist dieser Zustand schnell wieder beendet.“
Es fällt auf: Die Parteien streiten nicht mehr