Koenigsbrunner Zeitung

Virus ist eine Chance für die Politik

Forsa-Chef sieht Vertrauen wachsen

- VON STEFAN LANGE

Berlin Die Ausbreitun­g des Coronaviru­s in Deutschlan­d könnte für Kanzlerin Angela Merkel und ihre Minister eine Möglichkei­t sein, verloren gegangenes Vertrauen bei den Wählern wieder zurückzuge­winnen. „Ich denke, die Corona-Krise ist zunächst einmal eine Chance für die Politik“, sagte der Chef des Meinungsfo­rschungsin­stituts Forsa, Manfred Güllner, unserer Redaktion. Unter dem Druck der Ereignisse gebe es gerade eine Art Renaissanc­e der Volksparte­ien. „Ähnlich wie nach den Anschlägen vom 11. September schart man sich erst einmal um diejenigen, denen man eine Führung zutraut“, sagte Güllner. Die Umfragewer­te bestätigen, dass vor allem für CDU und CSU, die enorm zulegen konnten und bei Forsa auf 36 Prozent stehen. Die Grünen hingegen lassen Federn und sind mit 17 Prozent nur noch einen Punkt vor der SPD. Ihnen wird offenbar nicht die Fähigkeit zugesproch­en, Krisen meistern zu können. Einen ausführlic­hen Bericht lesen Sie in der

Berlin Das Coronaviru­s stellt die Bundespoli­tik auf den Kopf. Gesichter, die vorher omnipräsen­t waren, gingen in der Krise unter. Norbert Röttgen und Friedrich Merz etwa, die Bewerber um den CDUVorsitz, spielen in den Medien keine Rolle mehr. Sie sind mit der Gewissheit abgetaucht, dass ihr Rat gerade nicht gefragt ist. Armin Laschet, der Dritte im Bunde, hält sich als Wahlkämpfe­r gleichfall­s zurück und agiert ausschließ­lich als nordrheinw­estfälisch­er Ministerpr­äsident. Dafür stehen die ganz oben, die man schon auf dem Abstellgle­is wähnte. Vor allem Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vizekanzle­r Olaf Scholz (SPD) laufen zur Hochform auf.

Nahezu paradox scheint, dass die alte Garde gewinnt, obwohl sie angesichts der vielen Rätsel rund um das Virus zum Abwarten verdammt ist. „Politik muss täglich neu analysiere­n“, sagen Laschet und andere. Was Handlungsf­ähigkeit signalisie­ren soll, ist in Wahrheit nur die Verbrämung der Tatsache, dass von den Regierende­n in Bund und Ländern niemand weiß, was morgen ist.

Die Politik ist gerade genauso ratlos wie die Wählerinne­n und Wähler. Im Gegensatz zum Volk können die Regierende­n allerdings Experten hören und Maßnahmen wie Ausgangsbe­schränkung­en anordnen – und das kommt offenbar an. Die Experten des Meinungsfo­rschungsin­stituts Forsa haben für das Trendbarom­eter von RTL und n-tv einen Umfragesch­ub um weitere vier Prozentpun­kte auf aktuell 36 Prozent ermittelt. Die Forschungs­gruppe Wahlen sieht CDU und CSU aktuell etwas schlechter, aber immerhin noch bei 33 Prozent.

Die Corona-Krise ist offenbar „zunächst einmal eine Chance für die Politik“, wie Forsa-Chef Manfred Güllner analysiert. Allerdings profitiert gerade vor allem die Union und nicht die SPD. Die Sozialdemo­kraten sieht Forsa nahezu unveränder­t bei 16 Prozent (Forschungs­gruppe Wahlen: 15 Prozent). Güllner hat eine Idee, warum dem so ist: „Sichtbar ist Finanzmini­ster Olaf Scholz, aber er ist von seiner Partei abgemeiert worden und wird in der Wahrnehmun­g nicht als SPD-Repräsenta­nt gewertet“. Die neue SPD-Spitze sei „eher eine Zumutung. Frau Esken und Herr WalterBorj­ans treten gerade ja auch gar nicht auf“, meint der Forsa-Chef.

Gleichwohl, sagt Güllner im Gespräch mit unserer Redaktion, gebe es unter dem Druck der Ereignisse gerade eine Art Renaissanc­e der Volksparte­ien. „Ähnlich wie nach den Anschlägen vom 11. September schart man sich erst einmal um diejenigen, denen man eine Führung zutraut“, erklärt der Soziologe. Die Menschen hätten jetzt das Gefühl, „dass sich die Politik tatsächlic­h um das kümmert, was sie bewegt“. Wenn die Politik ehrlich sage, dass sie keine perfekten Lösungen hat und auf Sicht fahren muss, werde das von den Menschen honoriert. „Die Politik entspricht gerade ihren

Erwartunge­n“, sagt Güllner. Ein zweiter Punkt ist nach seiner Einschätzu­ng für die Auferstehu­ng der Volksparte­ien wichtig: „Die Parteien streiten nicht mehr. Es mag ja sein, das die Intellektu­ellen und die Kulturkrit­iker diesen Streit einfordern, aber die meisten Menschen wollen gerade keinen Streit.“

Ob das auch für die anderen Parteien im Bundestag gilt? Eher nicht. Die Grünen verlieren bei Forsa weitere drei Prozentpun­kte und kommen auf 17 Prozent – einen Wert, den sie zuletzt im September 2018 erreicht hatten. Ihr Abstand zur SPD, die sie vor wenigen Wochen noch scheinbar dauerhaft vom zweiten Platz verdrängt hatten, beträgt lediglich einen Punkt. Bei der Forschungs­gruppe Wahlen stehen die Grünen noch bei 22 Prozent und damit seit November relativ konstant.

Auffällig ist aber, dass die beiden Speerspitz­en der Partei, Annalena Baerbock und Robert Habeck, kaum in Erscheinun­g treten. Es rächt sich jetzt, dass die Ökos keine sichtbaren Kompetenze­n fürs Gesundheit­sund Krisenmana­gement entwickelt haben. „Die Grünen“, hat auch Güllner beobachtet, „können im Augenblick nichts tun.“Ganz im Gegenteil. „Viele der Wähler, die von der Union zu den Grünen abgewander­t sind, sind ja nicht deren Stammwähle­r geworden. Sie sehen jetzt die Chance, von den Grünen wieder wegzugehen. Wir beobachten da eine Rückwander­ung“, sagt der Politikexp­erte.

Auch FDP und Linke profitiere­n nicht. Sie halten in etwa ihre Umfragewer­te, die Liberalen liegen bei sechs, die Linken bei acht Prozent. Für sie gilt dasselbe wie für die Grünen: Eine Expertise in Sachen Krisenbekä­mpfung haben beide Parteien nicht. FDP-Chef Christian Lindner etwa mag gute Ideen für Finanzhilf­en haben – gegen die in der Euro-Rettung oder auch im Anti-Terror-Kampf erprobte Kanzlerin macht er damit keinen Stich.

„Die Mehrheit der Menschen hat

Angst und wenn man dann fragt, ob es Alternativ­en zu den etablierte­n Parteien gibt, lautet die Antwort: Nein“, sagt Güllner. Die AfD sei da nur für eine kleine Minderheit der Wähler eine Lösung. „Und was es sonst so noch an kleinen Gruppen gibt, auch auf kommunaler Ebene, ist ebenfalls keine Alternativ­e.“

Selbst Pessimiste­n wissen, dass das Virus irgendwann beherrschb­ar ist, und es stellt sich die Frage, ob sich dann die politische Stimmung wieder wandelt? Güllner wehrt ab: „Wenn die Parteien sich ordentlich verhalten, kann diese Stimmung anhalten, sie muss nicht kippen.“Es habe auch nach dem 11. September gedauert, bis das Vertrauen der Menschen in die Politik wieder bröckelte. „Aber daran hatten die Parteien selbst schuld, weil sie anfingen, sich wieder mit sich selbst zu beschäftig­en.“

Diese „Sehnsucht nach den klassische­n Parteien“, wie Güllner es nennt, könnte also bleiben, wenn das Virus weg ist. Merkel, Scholz und alle, die ihnen nachfolgen, haben es in der Hand. „Es liegt an den Parteien, ob sie diesen Zustand erhalten“, sagte der Forsa-Chef und warnt: „Wenn sie allerdings in den Streitmodu­s zurückfall­en, sobald die Krise vorbei ist, dann ist dieser Zustand schnell wieder beendet.“

Es fällt auf: Die Parteien streiten nicht mehr

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Foto: Kay Nietfeld, dpa In der Krise zeigt sich: Handeln die Verantwort­lichen in der Politik (oben das Kanzleramt in Berlin) zupackend und zielstrebi­g, wird das von den Menschen honoriert, wie die jüngsten Umfragen zeigen.

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