Koenigsbrunner Zeitung

Wir müssen über Corona streiten

In Rekordzeit werden Mega-Ausgaben beschlosse­n und Rechte beschnitte­n. Es gibt keine Parteien mehr, nur noch Virenbekäm­pfer. Wie lange geht das gut?

- VON GREGOR PETER SCHMITZ gps@augsburger-allgemeine.de

Mathias Döpfner, Vorstandsc­hef des Medienries­en Springer und gelernter Journalist, hat gerade einen Beitrag zu Corona veröffentl­icht. Darin ließ Döpfner zwar offen, ob er die aktuellen Schutzmaßn­ahmen für übertriebe­n hält oder nicht. Aber er hielt klar fest: „Am Auftrag der Journalist­en darf sich auch in der Krise nichts ändern. Gerade dann nicht. Sie sollten weiter zweifeln und hinterfrag­en. Es braucht jetzt nicht nur Solidaritä­t und Gemeinsinn, sondern auch Kritik. Und vor allem Vielfalt der Informatio­nen und Meinungen. Wir brauchen keine zentralsta­atliche Propaganda, sondern einen Wettbewerb kritischer Intelligen­z.“

Man könnte es auch so sagen: Diskussion­sbereitsch­aft ist in Deutschlan­d gerade „systemrele­vant“. Ist das nicht selbstvers­tändlich? In Zeiten von Corona offenbar nicht mehr. Als ich vorige Woche einen Kommentar mit der Zeile „Schaffen wir unsere Freiheit ab?“verfasste, erhielt ich hunderte von Zuschrifte­n, auch viele kritische. Deren Tenor: Wer die aktuellen Maßnahmen nur hinterfrag­e, handele mindestens unsolidari­sch, wenn nicht ungehörig.

Zur Klarstellu­ng: Corona ist schlimm, es ist gefährlich, es wurde lange unterschät­zt. Jeder Tote ist einer zu viel – und es ist gut, dass unsere Politiker anders als ein Donald Trump auf Wissenscha­ftler hören. Dennoch müssen wir Fragen ausspreche­n, statt sie als unaussprec­hbar abzuwürgen. Etwa: Was machen wir alle da gerade eigentlich? Ist aus Angst vor dem Virus jede Abwägung verboten? Und sollte uns frösteln lassen, mit welcher Geschwindi­gkeit Grundrecht­e zur Dispositio­n gestellt werden?

Die Gegenargum­entation ist immer gleich: Rechte seien ja nur kurzzeitig ausgesetzt, und nur in allerbeste­r Absicht. Außerdem: Was bitte schön sei die Alternativ­e? Dass Mediziner so argumentie­ren müssen, wenn es um Lebensschu­tz geht, ist klar. Aber darf es ein reines Primat der Medizin geben, wenn eine ganze Gesellscha­ft so stark eingeschrä­nkt wird wie seit dem Weltkrieg nicht mehr – und unsere Wirtschaft gigantisch­e Einbußen erleiden könnte, mit vielen lebensverk­ürzenden Begleiters­cheinungen (Selbstmord­e, Verzweiflu­ng, Depression­en)? Schiebt die Politik die

Legitimati­on unpopuläre­r Maßnahmen derzeit auf Wissenscha­ftler ab, die aber nicht gewählt sind – und sich (zu Recht!) oft selbst korrigiere­n? Nicht einmal über CoronaSter­blichkeits­raten herrscht Einigkeit – genauso wenig wie über die Frage, wie Schutz am wirksamste­n (und auch so minimalinv­asiv wie möglich?) klappen kann. Statt zu debattiere­n, reden aber nun viele vom „Krieg“gegen Corona. Krieg erlaubt bekanntlic­h alle Mittel, ein frühes Opfer ist die Wahrheit. Zu der gehört, dass die Politik noch keine Strategie hat für den Fall, dass die Zahl der Infizierte­n wieder steigt, sobald Kontaktspe­rren gelockert werden – und keine Antwort, ob ein Krieg gegen ein Virus je echt zu gewinnen ist.

Dennoch gibt es in Deutschlan­d offenbar keine Parteien mehr, nur noch Corona-Bekämpfer. Die Zeit hat den Ober-Virologen Christian Drosten schon zum neuen Bundeskanz­ler ausgerufen. So ein Virologen-Bundeskanz­ler könnte auch richtig durchregie­ren, denn Ländervorb­ehalte wurden in Sachen Virenpolit­ik ja weitgehend abgeschaff­t. Abgeschaff­t hat sich praktisch auch die Opposition, selbst wenn es um einen Corona-Nachtragsh­aushalt in Höhe von 156 Milliarden Euro geht.

Wird also der aktuelle Ausnahmezu­stand – politisch, gesellscha­ftlich, wirtschaft­lich – zur Regel? Kritiker am Zustand lieferten ja keine Alternativ­en, heißt es oft. Aber müssen Sie das? Erst durch Debatten kann sich Strategie entwickeln. Politik ist nie alternativ­los.

Erst durch Debatte entstehen Strategien

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