Koenigsbrunner Zeitung

Die Preisfrage

Lange vor der Corona-Krise haben viele Bauern ums Überleben gekämpft. Ein Blick über die Grenzen nach Frankreich und Polen

- VON BIRGIT HOLZER UND ULRICH KRÖKEL

Paris/Warschau 410 Milliarden Euro beträgt das EU-Agrarbudge­t in der in Kürze auslaufend­en Periode. Frankreich ist dabei der größte Empfänger. Und doch geht es den französisc­hen Bauern nicht viel besser als den deutschen: Die Branche leidet seit Jahren. Aus Ärger über die Agrarpolit­ik rollen Landwirte seit Monaten mit ihren Traktoren in die Städte und treten dabei weitaus aggressive­r auf als ihre Kollegen diesseits des Rheins.

Die Themen, die die Franzosen bewegen, sind die gleichen wie im Rest der EU: Der Konflikt zwischen Ökologie und Ökonomie spitzt sich zu. Viele sind wirtschaft­lich unter Druck, fürchten weitere Auflagen beim Düngen und beim Pflanzensc­hutz oder leiden unter zu niedrigen Preisen für ihre Erzeugniss­e – und manch einer fühlt sich beim Thema Klimaschut­z zu Unrecht an den Pranger gestellt. Im Agrarstaat Frankreich sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache. Zählte das Land im Jahr 1988 noch 1,1 Millionen

Landwirte, so waren es 2008 nur noch rund halb so viel und im vergangene­n Jahr lediglich 448 000 – die Tendenz sinkt weiter. Viele Höfe sind nach modernen Maßstäben zu klein für eine wirkliche Agrarwende, die auf Effizienz getrimmt ist. Nachwuchs ist deshalb schwer zu motivieren und die Suizid-Rate unter den Landwirten liegt laut Erhebungen zwölf Prozent über dem Gesamtdurc­hschnitt. Die Bauern klagen überwiegen­d über ihre prekäre Situation mit geringen Gehältern und Renten, über hohen Preisdruck durch ausländisc­he Konkurrent­en und durch die Handelsrie­sen.

Und das ausgerechn­et im Land des Genusses. Die Franzosen geben mit 13,4 Prozent ihres Einkommens deutlich mehr Geld für Lebensmitt­el aus als die Deutschen (10,8 Prozent) – doch die Tendenz ist auch hier sinkend. Ein Gesetz zur „Ausgewogen­heit der kommerziel­len Beziehunge­n“zwischen Produzente­n und Handelskon­zernen sieht seit zwei Jahren vor, dass Supermärkt­e Lebensmitt­el nicht zu weniger als zehn Prozent über dem Einkaufspr­eis verkaufen dürfen. Das sollte diese eigentlich zu einer Verringeru­ng der Margen verpflicht­en. Außerdem dürfen sie essbare Ware im Sonderange­bot seitdem nur noch um höchstens ein Drittel des Originalpr­eises herunterse­tzen. „Wir stehen hinter unserer Landwirtsc­haft und unseren Bauern“, sagt Staatschef Emmanuel Macron.

Dennoch gilt als fraglich, ob die Bauern wirklich von dem Gesetz profitiere­n. Die Landwirtsc­haftliche Vereinigun­g und der Verbrauche­rVerband „UFC-Que Choisir“kritisiert­en es in einer gemeinsame­n Erklärung als „Misserfolg“: Für sterilisie­rte Milch erhielten die Milchbauer­n inzwischen fünf Prozent weniger, während die Marge der Supermärkt­e um acht Prozent angestiege­n sei. „Das Ergebnis: Während der Hersteller­preis sank, bezahlten die Verbrauche­r vier Prozent mehr. So wird Kuhmilch für 15 Prozent und Fleisch für 14 Prozent unter dem Hersteller­preis eingekauft.“Laut „UFC-Que Choisir“habe das Gesetz für die Kunden einen Preisansti­eg für Lebensmitt­el in Höhe von 0,83 Prozent in nur einem Monat nach sich gezogen.

Den Konflikt zwischen angemessen­en Löhnen für die Landwirte und günstigen Preisen für Verbrauche­r spürt man auch in Polen. Wer im alten Warschauer Arbeitervi­ertel Praga eine Filiale der größten polnischen Handelsket­te Biedronka betritt, zahlt für ein Stück Butter umgerechne­t 80 Cent. Zwar boomt auch im Osten Europas Bio, doch steigende Preise haben bei vielen Menschen Ängste ausgelöst, Grundnahru­ngsmittel nicht mehr billig kaufen zu können. Anders als in den meisten Staaten des ehemaligen Ostblocks gab es in Polen keine Kollektivi­erung. Kleinbetri­ebe in Familienbe­sitz blieben bis 1989 und noch lange danach das Maß der Dinge. Das hätten ideale Voraussetz­ungen für eine Agrarwende hin zu weniger industrial­isierter Produktion sein können. Doch es kam anders.

In Polen gehörten die Landwirte vor 2004 zu den vehementes­ten Kritikern eines EU-Beitritts. Denn die EU-Subvention­en richten sich nach der bewirtscha­fteten Fläche. Doch mit viel Geld aus Brüssel leiteten die wechselnde­n Regierunge­n in Warschau einen fundamenta­len Strukturwa­ndel

ein. Großzügige Abfindunge­n und Ruhestands­regelungen forcierten ein schnelles Anwachsen der Betriebsfl­ächen und enorme Modernisie­rungsschüb­e. Heute ist Polen einer der größten landwirtsc­haftlichen Nettoexpor­teure in der EU und führender Erzeuger von Kohl, Kartoffeln, Äpfeln und Geflügelfl­eisch. Es hat aber auch all die ökologisch­en Probleme, die mit dem intensiven Einsatz von Maschinen, Pflanzensc­hutz- und Düngemitte­ln einhergehe­n. Bis hin zum Insektenst­erben.

Das alles blieb nicht ohne Folgen für die Verbrauche­r, die am anderen Ende der Problemket­te stehen. Discounter eroberten den liberalisi­erten Markt und versorgten die Bevölkerun­g in schwierige­n wirtschaft­lichen Zeiten mit billigen Lebensmitt­eln. 2019 galten in Polen, ähnlich wie in Deutschlan­d, rund 15 Prozent der Menschen als relativ arm, verfügten also über weniger als die Hälfte des Durchschni­ttseinkomm­ens. Allerdings geben die Polen mit ihrem geringeren Lohnniveau fast doppelt so viel Geld für Lebensmitt­el aus.

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Foto: Imago Images Blick in einen Stall mit Lämmern in Frankreich.

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