Koenigsbrunner Zeitung

Corona – von ganz oben bis ganz unten

Das Virus und die geltenden Ausgangsbe­schränkung­en ziehen Folgen nach sich, die vorher kaum einer geahnt hätte. Manche sind amüsant, andere erschrecke­nd

- VON MICHAEL BÖHM

Augsburg Es ist schon beachtlich, was das Coronaviru­s innerhalb kürzester Zeit schon alles mit uns angestellt – von den tatsächlic­h erkrankten Menschen einmal abgesehen: Wir warten neuerdings sehnsüchti­g auf die nächste Klopapierl­ieferung im Supermarkt. An der Kasse halten wir artig Abstand und die Karte zum Bezahlen durch ein Loch in einer Plexiglass­cheibe. Und auf der Straße beschleich­t uns ein schlechtes Gefühl, wenn uns der Nachbar entgegenko­mmt und wir mehr Worte als nur ein „Hallo“wechseln wollen.

Die geltenden Ausgangsbe­schränkung­en und Kontaktver­bote erzielen ihre Wirkung in sämtlichen Bereichen des Lebens – und gleichzeit­ig führen sie uns in unzähligen Situatione­n die eigene Hilflosigk­eit, die Unsicherhe­it im Umgang mit Gesetzeste­xten oder die Abgründe menschlich­en Verhaltens vor Augen. Das beweist in diesen Tagen auch der Blick in die Presseberi­chte der bayerische­n Polizei, die vor Meldungen über Verstöße – bewusste wie unbewusste, schlimme wie weniger schlimme – gegen die geltenden Regeln nur so strotzen. Manche davon sind zum Schmunzeln, andere zum Kopfschütt­eln oder sogar abstoßend. So wie die Meldung über den 33-Jährigen, der in München einen Fahrkarten­automat und Griffe einer U-Bahn abgeleckt hat, um nach eigener Aussage das Coronaviru­s zu verbreiten. Oder die über einen Neu-Ulmer, der einem Passanten den Mundschutz vom Gesicht riss und ihn anspuckte.

Kein Vergleich dazu, aber ebenfalls nicht rechtens, war das Verhalten einiger Bergwander­er im Allgäu. Diese drängten sich laut Polizei „dicht an dicht“am Gipfelkreu­z des Riedberger Horns und verstießen damit gegen die festgelegt­en Abstandsre­geln. Demnach sollen sich die Menschen, wenn sie denn nicht in einem Haushalt leben, in der Öffentlich­keit nicht näher als eineinhalb Meter kommen. Das Problem der Wanderer: Auf einem Gipfel ist bekanntlic­h nur begrenzt Platz. Das Problem der Ordnungshü­ter: Das Fehlverhal­ten am Gipfel hatte lediglich die Besatzung eines Rettungshu­bschrauber­s beobachtet – die Polizei am Boden konnte erst verspätet im Tal eingreifen. Dort erwischten die Beamten an einem Parkplatz lediglich noch zwei Pärchen, die gemeinsam unterwegs waren, das aber nicht hätten tun dürfen. Sie erwartet nun ein Bußgeld.

Gleiches gilt für zwei Frauen und einen Mann aus Unterfrank­en, die sich die täglichen Aufgaben auf unerlaubte Art und Weise aufgeteilt hatten. Um Einkäufe erledigen zu können, hatte die eine Frau ihre Kinder zur Betreuung kurzzeitig in die Obhut ihrer Schwester und deren Lebensgefä­hrten gegeben. Das war falsch. Die richtige Lösung wäre gewesen, die Schwester oder ihren Partner zum Einkaufen zu schicken und sie die Waren dann vor der Haustüre ablegen zu lassen.

Was richtig ist, und was nicht, darüber waren sich auch die Helfer des BUND Naturschut­z zunächst nicht ganz im Klaren. Dürfen sie denn in den kommenden Wochen, wie jedes

im Frühjahr, wandernden Fröschen und Kröten über die gefährlich­en Straßen des Freistaate­s helfen? Ja, fanden sie schließlic­h heraus. Denn „Handlungen zur Versorgung von Tieren“sind in der Allgemeinv­erfügung des Gesundheit­sministeri­ums ausdrückli­ch als Ausnahme aufgeführt und das Kontrollie­ren von Froschzäun­en gehe als Spaziergeh­en durch.

Stichwort Ausnahmen: Solche würden in diesen Zeiten sehr viele Menschen für sich gerne in Anspruch nehmen, sagt ein Sprecher des Polizeiprä­sidiums Schwaben Süd-West in Kempten. So sei gerade im Allgäu die Autofahrt in die Berge sehr beliebt, aber in Zeiten der Ausgangsbe­schränkung­en eigentlich nicht vorgesehen. Physische und soziale Kontakte zu anderen MenJahr schen sollten schließlic­h auf ein absolut nötiges Minimum reduziert werden. Dass das selbst in den Bergen schwierig sein kann – siehe Riedberger Horn. „Einige Menschen verlieren aber offenbar, wenn es um ihre eigene Freiheit geht, das große Ganze aus den Augen“, sagt der Sprecher. Aus diesem Grund und angesichts des aktuell schönen Wetters sprach am Freitag auch Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) ein Machtwort: „Es ist nicht der Sinn der Sache, wenn Leute zuhauf über 50 oder 100 Kilometer meinen, in die Berge fahren zu müssen. Da rate ich dringend davon ab“, sagte Herrmann im Bayerische­n Rundfunk.

Das lässt sich wohl auch für die Menschen sagen, die derzeit mit ihren Hamsterkäu­fen die Supermarkt­regale leeren – und schon wären wir wieder bei anfangs erwähntem Klopapier. Weil dieses zeitweise zu einem raren Gut geworden ist, steigen vielerorts Menschen auf alternativ­e Hygieneart­ikel zurück. Unter anderem in Neu-Ulm, wo das allerdings die städtische Kanalisati­on an ihre Grenzen bringt. Zuletzt seien dort vermehrt Feucht-, Kosmetik- oder Küchentüch­er gefunden worden, was die Pumpen überforder­n, zu Ausfällen führen und den Reinigungs­prozess in der Kläranlage behindern könne, warnen die Experten von der Stadtentwä­sserung.

Egal, ob ganz oben auf dem Allgäuer Gipfel oder ganz unten in der Kanalisati­on: Es ist schon beachtlich, was das Coronaviru­s innerhalb kürzester Zeit schon alles mit uns angestellt hat.

 ?? Archivfoto: Matthias Becker ?? Selbst das Wandern in den Bergen zu zweit kann in diesen Tagen zu Verstößen gegen die Ausgangsbe­schränkung­en führen, wie ein Beispiel vom Riedberger Horn im Allgäu zeigt.
Archivfoto: Matthias Becker Selbst das Wandern in den Bergen zu zweit kann in diesen Tagen zu Verstößen gegen die Ausgangsbe­schränkung­en führen, wie ein Beispiel vom Riedberger Horn im Allgäu zeigt.

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