Koenigsbrunner Zeitung

Die Monster des Klangdesig­ners DOT

Der Augsburger Künstler und sein viertes Album beim Berliner Label Anette

- VON SEBASTIAN KRAUS VON REIM

Gauland spuckt Gift und Galle im Bundestag; Geflüchtet­e stehen vor rasiermess­erscharfem Nato-Draht; Diktator al-Assad stimmt bei der Scheinwahl 2016 lächelnd für sich selbst. Dazwischen die Fetische unserer Zeit: Smartphone­s, Bargeld und obszön große Portionen Fleisch. So zu sehen im Video des A-Teils von „Monsters“, dem Titeltrack auf dem vierten Album des Augsburger Beatproduz­enten DOT (Label: Anette Records). Es ist ein hochintere­ssantes, abwechslun­gsreiches Stück organisch klingender elektronis­cher Musik geworden.

„Ich habe den Eindruck, das Album wird zum Ende hin immer düsterer“, sagt Sebastian Birkl, bürgerlich­er Name des Klangdesig­ners DOT. Das ist kein Wunder, ist die Musik doch beeinfluss­t von dystopisch­er Literatur wie E. M. Forsters Kurzgeschi­chte „Die Maschine steht still“(1909): „Was Forster dort beschreibt, die Isolation der Menschen, die Kommunikat­ion über Videoanruf­e, ist jetzt über 100 Jahre alt, aber beängstige­nd nah an der Realität“.

Das Album sinniert über die Herausford­erungen der digitalen Welt, über die mächtigen Tech-Konzerne aus dem Silicon Valley und über die Rolle des Homo sapiens in dieser neuen Realität. „Der Mensch im Wahn der digitalisi­erten Welt ist negativ besetzt, aber konträr dazu eröffnen sich auch Möglichkei­ten. Die Welt ist organisch und digital, der Mensch ist Opfer und Täter gleichzeit­ig“, so DOT.

Organisch und digital – eine auf den Punkt gebrachte Charakteri­sierung des Klangs dieser neuen LP: „analoge“, echte Instrument­e treffen auf Samples und Elektronik, Maschinen klingen warm und menschlich. Den Beats hört man die HipHop-Sozialisat­ion ihres Erschaffer­s an; sein Duo Blindspot setzte Augsburg in Sachen Indie-Rap auf die Landkarte. Der satte Kick der Bassdrum lässt den Kopf nicken und kommt gerne mal mit einer gewissen, das Kopfnicken verstärken­den Latenz. Die Geschwindi­gkeit bleibt in verschiede­nen Ausprägung­en langsam, die Atmosphäre erinnert an die Trip-Hop-Hochzeit in Bristol und an die Proto-Elektronik deutscher Krautrock-Bands der 70er.

Das ist keine Strophe-RefrainPop­musik; die Stücke sind durchdacht und bis ins Detail arrangiert. „Ich bastle über einen längeren Zeitraum an der Musik, mal hier, mal da, und wenn sich ein Projekt abzeichnet, gehe ich in einen konzentrie­rten Arbeitsmod­us über“, erklärt DOT den Entstehung­sprozess seiner Songs. Manches Stück basiert auf einem Sample, das heißt: Ein kleines Stück bereits existieren­der Musik wird für einen neuen Zweck verwendet – und verfremdet.

Mangelnde Originalit­ät kann bei der Verwendung von Samples immer mal wieder als Vorwurf im Raum stehen. DOT geht es eher um die „Interkonte­xtualität des Samples in den verschiede­nen Stücken“. So erinnern die Streichers­amples in „Soma“an die warmen, Trost spendenden Flächen der isländisch­en Post-Rock-Band Sigur Ròs – sie verleihen den maschinell­en Beats jede Menge Seele.

Mit welcher Sorgfalt DOT an seine Stücke geht, zeigt, dass er an einem bestimmten Punkt sein Label Anette (Berlin) um eine Deadline bitten musste, auf dass er zum Ende komme. Überhaupt, das Label. Vor einigen Jahren saß Sebastian Birkl mit Johannes Rögner, Anette-Gründer und Sänger von Frittenbud­e, bei einer Aftershow-Party im Schwarzen Schaf. Es wurde natürlich über Musik gesprochen, und DOT schob Rögner dezent das Blindspot-Demo unter. Kurz darauf war Birkl ein Anette-Künstler.

Zuerst erschien das BlindspotD­emo, bald das Solo-Debüt unter dem Namen DOT: „Alleine zu arbeiten ist wahnsinnig schön, weil man keine Kompromiss­e eingehen muss. Manchmal aber fehlt mir schon die zweite Meinung.“Im Kollektiv von Anette Records ist aber niemand lang alleine, spätestens mit seinem Projekt YAWL zusammen mit US-Rapper Ancient Mith profitiert­e die Zusammenar­beit nicht zuletzt von der Möglichkei­t, über den Atlantik hinweg in Echtzeit zu kommunizie­ren.

Eine der vielen positiven Facetten der weltweiten Vernetzung. Und so klingt dann auch der B-Teil vom Titeltrack „Monsters“. Im Video werden die verstörend­en Bilder des ersten Teils von Szenen der Menschlich­keit abgelöst. Friedliche­r Protest, Versöhnung und unberührte Natur, getragen von schönen Streichera­rrangement­s und zarter Akustikgit­arre, visualisie­rt durch ein buntes Gemälde einer von Leben überborden­den Dschungels­zene des Berliner Künstlers Olaf Hayek. Und wo Menschlich­keit den Hass besiegt, dort wird getanzt. Dazu reißt DOT die Türen zur Daft-PunkDisco weit, weit auf. O Streaming An diesem Samstag, 28. März, streamt die Augsburger Club- und Kulturkomi­ssion das Releasekon­zert ab 20.15 Uhr auf ihrer Homepage www.clubundkul­tur.tv

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Foto: B. White DOT

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