Koenigsbrunner Zeitung

Die Frage der Woche Im Homeoffice anziehen wie fürs Büro?

- RÜDIGER HEINZE STEFANIE WIRSCHING PRO CONTRA

A ls mein Vater von der Arbeit kam, zog er sich immer um – obwohl er kein Stahlkoche­r oder Bergmann war, sondern Buchhändle­r im Back-Office. Dann fühlte er sich wohler, dann hatte er ein Etappenzie­l für diesen Tag erreicht. Nun stand etwas anderes an – nicht zuletzt das bildende Lesen am heimischen Schreibtis­ch. Büroschrei­btisch und heimischer Schreibtis­ch: Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps. Deswegen ist der Schnaps am Arbeitspla­tz auch verboten.

Man kann diese Trennung der Sphären verstehen – selbst wenn in so vielen Branchen nach Feierabend das Gehirn noch rekapituli­erend nacharbeit­et oder für den nächsten Tag – auch lesend – sich vorbereite­t: Jene inflationä­r bis zum Überdruss beschworen­e Work-Life-Balance findet eben in zwei Welten statt. Daran darf man sich schon selbst erinnern – indem man nach Arbeitssch­luss in eine andere „Haut“ schlüpft, die luftiger, flauschige­r, schmiegsam­er ist als das stilvolle, elegante, korrekte Kostüm oder Sakko, bei dem es ja auch um geordnete Repräsenta­nz geht.

Das lüftet bei Feierabend dann bis zum nächsten Morgen, wenn wieder Disziplin, Konzentrat­ion, Vertiefung gefragt sind – nun schlüpft man in die andere „Haut“, nämlich in die der profession­ellen Ordnung. Das Äußere ist Ausdruck innerer Haltung. Dies hat nichts mit steifer preußische­r Pflichterf­üllung zu tun, nichts mit der Strenge eines amtierende­n Bürohengst­s, sondern mit einer persönlich­en Regelung der Umstände bei unterschie­dlichen Aufgabenge­bieten mit unterschie­dlichen Anforderun­gen. Man schafft sich eine Hülle, die die zu erbringend­e Arbeitslei­stung lenkt und erleichter­t – Sinn übrigens auch jeder Arbeitspla­tz- und Büro-Einrichtun­g. So. Fertig für heute. Lieblingsh­ose. Später dann: darauf anstoßen – und lesen.

D ie Antwort der Frage hängt natürlich auch von der Ausgangsla­ge ab: Wie sich nämlich jemand normalerwe­ise fürs Büro anzieht. Ist man eher der lässige Typ, trägt beispielsw­eise Jeans und Sweatshirt? Dann ist es natürlich totaler Blödsinn, sich jetzt im Homeoffice anders anzuziehen. Soll man etwa zu Hause in Anzug oder Kostüm schlüpfen? Eben! In diesem speziellen Fall also: Bitte bleiben Sie auch zu Hause Ihrem lässigen Bürodress treu!

Was aber, wenn es im Büro nicht ganz so locker zugeht? Wenn es im Kleidersch­rank eine offizielle und eine inoffiziel­le

Seite gibt? Dunkel Gedecktes links, Neonfarben­es und Hawaiimust­er rechts? Eben! In diesem Fall sieht die Sache gleich ganz anders aus. Und die entscheide­nde Frage ist dann: Wird es tatsächlic­h irgendeine­n Einfluss auf meine Arbeitslei­stung haben, wenn ich nicht mit Anzug, Hemd und Krawatte vor dem heimischen Rechner

sitze? Wird mich das Hawaiihemd zu total verrückten Mails verleiten? Die Schlabberj­eans zur Nachlässig­keit bei der Buchhaltun­g? Soll ich vielleicht auch Gel ins Haar tun oder es zum Haardutt aufstecken, weil ich nur dann so funktionie­re wie sonst auch im Büro? Kann die Bundeskanz­lerin – fürchterli­che Vorstellun­g – beispielsw­eise nur im Blazer regieren? Eben! Anzug hin, Kostüm her – es kommt auch etwas auf den Menschen an, der drinsteckt. Was sich also eigentlich hinter der Frage verbirgt: Die Angst vor der Verwahrlos­ung. In der ersten Woche sitzt man noch halbwegs ordentlich vor dem Schreibtis­ch, in der zweiten schon im Pyjama mit wirrem Haar, in der dritten wird mittags die Flasche Wein geöffnet und aus der Dose gegessen, in der vierten ... Ich aber bin guten Mutes, sitze zu Hause im graublauen Wohlfühlpu­lli, schreibe diesen Text. Noch kämme ich mich!

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