Die Frage der Woche Im Homeoffice anziehen wie fürs Büro?
A ls mein Vater von der Arbeit kam, zog er sich immer um – obwohl er kein Stahlkocher oder Bergmann war, sondern Buchhändler im Back-Office. Dann fühlte er sich wohler, dann hatte er ein Etappenziel für diesen Tag erreicht. Nun stand etwas anderes an – nicht zuletzt das bildende Lesen am heimischen Schreibtisch. Büroschreibtisch und heimischer Schreibtisch: Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps. Deswegen ist der Schnaps am Arbeitsplatz auch verboten.
Man kann diese Trennung der Sphären verstehen – selbst wenn in so vielen Branchen nach Feierabend das Gehirn noch rekapitulierend nacharbeitet oder für den nächsten Tag – auch lesend – sich vorbereitet: Jene inflationär bis zum Überdruss beschworene Work-Life-Balance findet eben in zwei Welten statt. Daran darf man sich schon selbst erinnern – indem man nach Arbeitsschluss in eine andere „Haut“ schlüpft, die luftiger, flauschiger, schmiegsamer ist als das stilvolle, elegante, korrekte Kostüm oder Sakko, bei dem es ja auch um geordnete Repräsentanz geht.
Das lüftet bei Feierabend dann bis zum nächsten Morgen, wenn wieder Disziplin, Konzentration, Vertiefung gefragt sind – nun schlüpft man in die andere „Haut“, nämlich in die der professionellen Ordnung. Das Äußere ist Ausdruck innerer Haltung. Dies hat nichts mit steifer preußischer Pflichterfüllung zu tun, nichts mit der Strenge eines amtierenden Bürohengsts, sondern mit einer persönlichen Regelung der Umstände bei unterschiedlichen Aufgabengebieten mit unterschiedlichen Anforderungen. Man schafft sich eine Hülle, die die zu erbringende Arbeitsleistung lenkt und erleichtert – Sinn übrigens auch jeder Arbeitsplatz- und Büro-Einrichtung. So. Fertig für heute. Lieblingshose. Später dann: darauf anstoßen – und lesen.
D ie Antwort der Frage hängt natürlich auch von der Ausgangslage ab: Wie sich nämlich jemand normalerweise fürs Büro anzieht. Ist man eher der lässige Typ, trägt beispielsweise Jeans und Sweatshirt? Dann ist es natürlich totaler Blödsinn, sich jetzt im Homeoffice anders anzuziehen. Soll man etwa zu Hause in Anzug oder Kostüm schlüpfen? Eben! In diesem speziellen Fall also: Bitte bleiben Sie auch zu Hause Ihrem lässigen Bürodress treu!
Was aber, wenn es im Büro nicht ganz so locker zugeht? Wenn es im Kleiderschrank eine offizielle und eine inoffizielle
Seite gibt? Dunkel Gedecktes links, Neonfarbenes und Hawaiimuster rechts? Eben! In diesem Fall sieht die Sache gleich ganz anders aus. Und die entscheidende Frage ist dann: Wird es tatsächlich irgendeinen Einfluss auf meine Arbeitsleistung haben, wenn ich nicht mit Anzug, Hemd und Krawatte vor dem heimischen Rechner
sitze? Wird mich das Hawaiihemd zu total verrückten Mails verleiten? Die Schlabberjeans zur Nachlässigkeit bei der Buchhaltung? Soll ich vielleicht auch Gel ins Haar tun oder es zum Haardutt aufstecken, weil ich nur dann so funktioniere wie sonst auch im Büro? Kann die Bundeskanzlerin – fürchterliche Vorstellung – beispielsweise nur im Blazer regieren? Eben! Anzug hin, Kostüm her – es kommt auch etwas auf den Menschen an, der drinsteckt. Was sich also eigentlich hinter der Frage verbirgt: Die Angst vor der Verwahrlosung. In der ersten Woche sitzt man noch halbwegs ordentlich vor dem Schreibtisch, in der zweiten schon im Pyjama mit wirrem Haar, in der dritten wird mittags die Flasche Wein geöffnet und aus der Dose gegessen, in der vierten ... Ich aber bin guten Mutes, sitze zu Hause im graublauen Wohlfühlpulli, schreibe diesen Text. Noch kämme ich mich!