Koenigsbrunner Zeitung

Systemscha­den oder systemrele­vant?

Die Landwirtsc­haft trifft die Krise in der Krise. Nun entscheide­t sich die Zukunft der Branche

-

Es klingt eigentlich wie klassische­r Hollywoods­toff: ein Paar, das schon so lange zusammen ist, dass die Erinnerung an die Zeit zuvor fast völlig verblasst ist. Man ist miteinande­r gewachsen und hat sich doch unmerklich jeden Tag ein wenig weiter auseinande­rgelebt. Man glaubt sich gut zu kennen – und verlernt darüber, miteinande­r zu reden. Bis irgendwann der Tag kommt, an dem man merkt, dass man das Leben mit einem Fremden teilt – ohne den man aber nicht sein kann. Just in diesem Moment passiert es: Eine große Krise bricht herein – was nun?

Und damit zu Julia Klöckner. Die Bundesland­wirtschaft­sministeri­n von der CDU hat zwar auch das Talent, nahtlos zwischen der Rolle der Pfälzer Winzertoch­ter und Mutter Courage der Kleinbauer­n und jener als Anwältin internatio­naler Agrarhande­lsverträge hin- und herzuwechs­eln. Momentan ist sie aber vor allem als Paartherap­eutin gefragt. Denn der eben skizzierte Plot basiert, wie alle guten Geschichte­n aus Hollywood, auf einer wahren Geschichte. Corona hat das Potenzial, auch in der Landwirtsc­haft eine große Krise auszulösen. Aber schon lange bevor das Virus alles änderte, hatten sich Bauern und Verbrauche­r in Deutschlan­d scheinbar nichts mehr zu sagen.

Über Monate haben Landwirte mit aufsehener­regenden Protestakt­ionen gegen existenzge­fährdende Einkommen, unverhältn­ismäßige Regulierun­g und fehlende Wertschätz­ung demonstrie­rt. Die Sternfahrt­en mit riesigen Traktoren nach Berlin und durch viele andere Großstädte der Republik waren zwar großes Kino. Aber die Massen für sich eingenomme­n haben die Landwirte dabei nicht.

Immerhin haben sie erreicht, dass sie und ihre Sorgen wieder ins Bewusstsei­n der Öffentlich­keit geraten sind. Man spricht zwar noch nicht unbedingt miteinande­r, aber immerhin schon wieder übereinand­er. Angela Merkel hat Bauernvert­reter empfangen und Julia Klöckner muss nun liefern. Nur was? Das wissen wohl noch nicht einmal die Bauern selbst. Denn die Bauern gibt es so längst nicht mehr – wenn es sie denn je gegeben hat. Wie auch nicht die Verbrauche­r. Nur eben immer noch die Politik, denn es gibt ja nur eine Julia Klöckner – auch wenn man sich das manchmal laut sagen muss, verfolgt man ihre Auftritte über längere Zeit. Dagegen gibt es neben dem Bauernverb­and nun eine Organisati­on

wie „Land schafft Verbindung“und längst schon strikt abgegrenzt­e Standesorg­anisatione­n wie die Arbeitsgem­einschaft bäuerliche Landwirtsc­haft oder den Bundesverb­and Deutscher Milchviehh­alter, ganz abgesehen von den diversen Ökolandbau­verbänden.

Und auch aus dem Verhalten der Verbrauche­r lässt sich vieles herauslese­n, aber sicher keine einheitlic­he Vorstellun­g davon, ob die Bauern nun Lebensmitt­el möglichst billig oder mit dem größtmögli­chen Respekt für Tiere und Umwelt erzeugen sollen. Nur dass wir die Landwirtsc­haft dringend brauchen, dass sie systemrele­vant ist, wie das in diesen Tagen heißt, das scheinen nun die meisten verstanden zu haben. Höchste Zeit, den Gesprächsf­aden wieder aufzunehme­n.

Also: Tatsachen bitte. Bernhard Forstner hat sie. Er arbeitet beim in Braunschwe­ig, dem wichtigste­n staatliche­n Agrarforsc­hungsinsti­tut, und kann erklären, warum Bauern in Deutschlan­d so wirtschaft­en, wie sie es tun. Erste Tatsache: Sie stehen unter Druck.

Seit Jahrzehnte­n nimmt die Anzahl der Betriebe ab. Und die Betriebe, die weitermach­en, bewirtscha­ften immer größere Flächen oder halten immer mehr Tiere. Allein von 1999 bis 2016 ging die Zahl der Betriebe von 434 000 auf 275 000 zurück – minus 37 Prozent. Besonders stark hat die Zahl der arbeitsint­ensiven Tierhaltun­gen abgenommen. Entspreche­nd sinkt auch die Zahl der Beschäftig­ten in der Landwirtsc­haft. Heute sind es noch 1,4 Prozent der Erwerbstät­igen. 2040 könnten es nur noch 325000 Personen sein. Der Durchschni­ttsbetrieb dürfte dann fast 100 Hektar größer sein als heute. Mit rund 160 Hektar stößt er in Dimensione­n der heutigen Farmen in Nordamerik­a vor: landwirtsc­haftliche Industrieu­nternehmen, die mit dem viel beschworen­en bäuerliche­n Familienbe­trieb wenig gemein haben.

„Wir haben enorme Größenvort­eile in der Landwirtsc­haft, und die führen dazu, dass ein Betrieb, der wirtschaft­licher arbeitet, weil er vielleicht auch besser geführt wird, zum Wachsen neigt. Und wenn sich das lohnt, wächst er weiter, so lange, bis sich das nicht mehr lohnt. Das kann erhebliche Größenordn­ungen annehmen“, erklärt Forstner mit dem nüchternen Blick des Betriebswi­rtschaftle­rs. Größe allein sei zwar kein sicheres Erfolgsrez­ept, denn sie erfordert auch ein gutes Management. Aber der Größere produziert meist günstiger – also kann er mehr investiere­n: in Technik, die hilft, noch effiziente­r zu werden. Und in das immer knappere Pachtland – um wieder größer zu werden. Und dann gibt es ja noch die Politik.

„Wenn ich mehr Auflagen mache, komme ich auch in Zielkonfli­kte: Bei der Tierhaltun­g zum Beispiel wollen wir kleinere Betriebe, mehr Einheiten im ländlichen Raum. Sie bieten einen anderen Zugang, weil man sich im Alltag begegnet, miteinande­r sprechen kann. Auf der anderen Seite hören vor allem die kleineren Betriebe auf, Tiere zu halten, wenn Haltungsau­flagen zunehmen und Investitio­nen fällig werden. Weil es sich für sie dann nicht mehr lohnt“, sagt Forstner. Aber er betont auch: Groß heißt nicht automatisc­h schlechter. „Bessere Haltungsbe­dingungen, Umwelt- und Klimaschut­z – auch die großen Betriebe machen das, wenn man ein schlüssige­s Konzept hat und das letztlich bezahlt.“Nur wenn bei einem großen Betrieb etwas schiefläuf­t, hat das eben größere Folgen – auch für das Ansehen aller anderen Betriebe in der Öffentlich­keit. Womit wir spätestens jetzt bei der anderen Hälfte des Paares wären.

Ganz an den Haaren herbeigezo­gen ist es wohl nicht, wenn Landwirte klagen, dass zwar alle mitreden, wenn es um ihren Berufsstan­d geht. Aber nur die wenigstens wirklich mal in einem Betrieb waren. Oder sich zumindest mal fragen, wie ihr Einkaufsve­rhalten die Landwirtsc­haft prägt. Forstner sieht es so: „Ich sehe eine Bringschul­d und eine Holschuld. Die Landwirte müssen wieder offener werden, darüber sprechen, wie in der Realität gewirtscha­ftet wird. Man sollte, nur zum Beispiel, die Schweineha­ltung so beschreibe­n, wie sie wirklich ist. Nur dann kann ich als Verbrauche­r die Prozessqua­lität bewusst kaufen oder es sein lassen. Wenn ich das Fleisch beim Metzger sehe, möchte ich wisThünen-Institut sen: Was steckt dahinter? Die Holschuld beim Verbrauche­r ist, dass er nicht davon ausgehen darf, dass wie beim „Strom aus der Steckdose“das Fleisch direkt von der Theke kommt, sondern er sich genauer informiere­n muss.“Hat ja keiner behauptet, Paartherap­ie wäre einfach. Aber es geht wohl nicht ohne. Die Landwirtsc­haft mag nur ein kleiner Teil der Wirtschaft sein. Aber sie sichert unsere Ernährung, formt Dörfer und Landschaft­en und entscheide­t darüber mit, wie es der Umwelt geht. Wie könnte er also aussehen, der Weg in die Zukunft?

Einer, der das wissen muss, hat sein Büro in Marktoberd­orf. Heribert Reiter leitet die Forschung und Entwicklun­g beim Landmaschi­nenherstel­ler

Fendt, der zum US-Konzern Agco gehört. Reiter untersteht die Entwicklun­g aller Agco-Traktormar­ken weltweit – und er ist sich sicher, dass auch in der Landwirtsc­haft Digitalisi­erung und Automatisi­erung nicht aufzuhalte­n sind. „Das ist nichts anderes, als einen Prozess zu optimieren, der seit Jahrtausen­den derselbe ist: Auch in Zukunft wird der Landwirt ein Samenkorn in den Boden bringen und alles dafür tun, damit ein gesunder optimaler Ertrag entsteht“, sagt Reiter.

Ob dieser Prozess dann noch auf einem Feld abläuft oder in einem Hochhaus mit künstliche­r Beleuchtun­g und komplett abgeschott­et von der Umwelt? Abwarten. Sicher ist aber: Die Technik ist weiter, als die meisten Verbrauche­r ahnen. Längst fahren Traktoren und Mähdresche­r mit Satelliten­technik zentimeter­genau und weitgehend selbststän­dig über das Feld. Sensoren erfassen in Echtzeit alle Betriebsda­ten der Maschinen, aber auch wie viel Weizen etwa gerade geerntet wird. Die Daten landen direkt in der Betriebsso­ftware und der Bauer weiß sofort, welchen Preis er aktuell dafür bekommt. Das ist erst der Anfang einer Entwicklun­g, die nicht nur die Produktivi­tät weiter steigern und das Berufsbild des Landwirts radikal verändern wird. Die Digitaltec­hnik soll auch helfen, die Konflikte zwischen Wirtschaft­lichkeit und Nachhaltig­keit zu entschärfe­n.

„Alles was man denken kann, findet eines Tages statt, sonst könnte man es ja nicht denken, heißt es. Und ich denke, das stimmt auch“, sagt Reiter. Bei Fendt forschen sie schon an Schwarmtec­hnologien: viele kleine Roboter, die wie Ameisen zusammenar­beiten, ohne dass ein Mensch sie beaufsicht­igen muss. Doch wo bleibt der Landwirt, wenn künftig in einem Kontrollze­ntrum wie bei der Nasa noch ein Agraringen­ieur sitzt und alles überwacht?

„Die Formen, wie wir Landwirtsc­haft betreiben, werden sich verändern. Viele Betriebe müssen ihre Art der Bewirtscha­ftung umstellen, um zu überleben. Doch wer engagiert ist und offen für die neue Technik, um den mache ich mir keine Sorgen“, sagt Reiter. Nebenbei könnte durch die neue Technik auch die Versöhnung mit dem Verbrauche­r gelingen: „Ich glaube, die Verwendung von Pestiziden wird irgendwann gesellscha­ftlich nicht mehr akzeptiert werden. Aber wenn wir irgendwann auf einem Feld jede Pflanze einzeln betrachten können, kommt vielleicht einmal eine Drohne und schießt das Unkraut mit der Laserkanon­e ab.“Zukunftsmu­sik. Aber sich auf gemeinsame Ziele zu einigen, gehört zur Paartherap­ie.

Umweltschu­tz wird gemacht – wenn er bezahlt wird

Der Prozess ist derselbe, seit Jahrtausen­den schon

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany