Tänzer im Homeoffice
Ballett auf Abstand gibt es nicht. Das macht es für Ricardo Fernando schwer zu planen
Normalerweise ist Ricardo Fernando ein Mann, der gern und viel lacht. Doch das Lachen ist ihm jetzt gründlich vergangen. Das merkt man auch, wenn man ihm nicht direkt gegenübersitzt. „Es ist gerade für uns eine sehr schwierige Zeit“, sagt der Ballettchef des Staatstheaters Augsburg im Telefongespräch und klingt dabei sehr niedergeschlagen. Abstand halten ist in Coronazeiten die Maßnahme der Stunde, aber Ballett auf Abstand, das ist, einmal abgesehen vom zeitgenössischen Solotanz, nicht möglich. Wie kaum eine andere Kunst lebt das Ballett mit seinen Pas de deux und Formationen von Nähe und Kontakt, vom Zusammenspiel der Körper, vom Ineinanderfließen der Bewegungen. Ob das so schnell wieder möglich sein wird, selbst wenn die Einschränkungen ab 20. April gelockert werden, da ist auch Ricardo Fernando skeptisch.
Aber nicht nur, dass die Tänzer durch die Schließung der Theater nicht in Vorstellungen auf der Bühne stehen können. Sie sind durch die Kontaktsperren auch darum gebracht, zu trainieren und zu proben. „Das trifft uns natürlich ganz besonders hart, denn dabei geht es ja auch um die Fitness und die körperliche Verfassung.“Bedenkt man dann noch, dass Tänzerinnen und Tänzern nur eine sehr begrenzte Zeit für ihre aktive Laufbahn zur Verfügung steht, versteht man, wenn Fernando sagt: „Wir sind alle sehr angespannt, aber wir müssen aufpassen, nicht zu emotional zu reagieren und zu verzweifeln.“
Unter normalen Umständen wären die kommenden zwei Wochen eine Hoch-Zeit für die Augsburger Tänzer und ihr Publikum geworden: Am Samstag die Premiere des neuen Ballettabends „Dimensions of Dance III“, rund eine Woche später zwei Galavorstellungen, die für viele Ballettfans Höhepunkt der Spielzeit sind, weil sie dann internationale Solisten
mit Bravourstücken des klassischen und zeitgenössischen Tanzes zu sehen bekommen. Gäste des National Ballet London, vom Ballett der Pariser Oper und vom Het National Ballett Amsterdam hatten unter anderem ihr Kommen zugesagt. Die werden wohl erst im nächsten Jahr zu Gast sein – wenn alles glatt läuft. Ebenso ist es mit „Dimensions of Dance III“mit Stücken der Gastchoreografen Alexander Ekman und Johan Inger. Diese beiden Teile sind bereits einstudiert, dann kam die Anordnung zur Schließung der
Theater. Wann Fernando mit den Proben für seine eigene Choreografie zu Songs der Rolling Stones beginnen kann, weiß er noch nicht. „In der nächsten Spielzeit wird es auf jeden Fall hoch hergehen“, ist er aber zuversichtlich.
Statt nun täglich im Ballettsaal unter Hochdruck zu proben, sitzen die 16 Tänzer der Compagnie nun zu Hause und praktizieren Homeoffice der ganz besonderen Art, wie Ricardo Fernando erzählt. „Es gibt einige Möglichkeiten, auch zu Hause zu trainieren, man kann Gymnastik machen, aber Figuren üben, Sprünge machen, dafür müssen wir warten, bis wir wieder in den Ballettsaal gehen können.“
Zwar halten der Ballettchef und seine Tänzer Kontakt über Videokonferenzen, das individuelle Training bleibt aber jedem selbst überlassen. „Ich habe mich dazu entschieden, nicht noch ein Video mehr zu den 300 Millionen, die es jetzt in Coronazeiten schon gibt, zu machen“, erklärt Fernando mit einem ironischen Seitenhieb und fügt an: „Ich wundere mich ja, dass das Internet überhaupt noch funktioniert.“Er selbst kann den Shutdown nun für die Planungen der nächsten Spielzeiten nützen, Kontakt zu Choreografen und Bühnenbildnern aufnehmen, denn: „Die sind jetzt alle leichter zu erreichen als in normalen Zeiten“, freut er sich und schiebt dem Satz dann doch noch ein Lachen hinterher.