Till Lindemann: Ein Mann mit vielen Talenten
Nach dem erfolgreichsten aller Jahre gibt es vom Rammstein-Sänger jetzt auch einen neuen Lyrikband. Ein Spaß samt Amoklauf und Nazi
Ich liebe die Musik
Doch leise soll sie sein Ausgerechnet. Denn Till Lindemann, der Autor dieses Gedichts, das als eines der ersten in seinem neuen Buch steht, ist ja genau der Till Lindemann, der als Sänger Millionen weltweit durch Brachialstes in Verzückung versetzt. Im vergangenen Jahr feierte er mit der Band Rammstein nicht nur 25-jähriges Bestehen, die Helden der Neuen Deutschen Härte wurden auch auf einer ersten und natürlich überall ausverkauften Stadiontournee gefeiert, sie landeten mit dem selbst betitelten siebten Album das erfolgreichste aus Deutschland 2019 und Lindemann mit dem nach ihm benannten Zweitprojekt gleich noch eine Nummer-1-Platte. „Leise soll sie sein“?
Tatsächlich beginnt dieses neue Jahr nun eher gedämpft. Die weltweite Fortsetzung der RammsteinTour wird wohl ein Corona-Opfer – und Lindemann selbst wurde auch schon ins Krankenhaus eingeliefert, angeschlagen, aber mit dann doch negativem Corona-Testergebnis. So wird dieses Buch wohl sein Hauptwerk des Jahres 2020 sein. Aber Lindemann, ein Dichter?
Tatsächlich ist es das bereits fünfte Buch mit Lyrik des 57-Jährigen, dessen Vater Werner Lindemann ja Autor war, und schon Sohn Tills Songtexte halten ja manche für Literatur, wie sie Rammstein für ein theatrales Kunstprojekt halten. So zweifellos der SZ-Journalist Alexander Gorkow, der Freund und Fan ist, vor Jahren schon einen Lyrikband des Sängers herausgegeben und ihn dazu als nicht weniger als bedeutendsten deutschen Dichter der Gegenwart“bezeichnet hat. Andere mögen zweifeln, ob es diese Bücher mit Werken des seit 20 Jahren so für sich dichtenden Lindemann überhaupt gäbe, wäre er nicht der Lindemann. Geben die „100 Gedichte“, die titelgemäß im neuen Band versammelt sind, Antwort zwischen diesen Maximalalternativen?
Leise sind jedenfalls auch diese Werke zumeist nicht. Es geht viel um Blut und Gewaltfantasien und Kopulation, abgründige Formen der Liebe, und so etwas wie ein erzählerisches Langgedicht führt ins Grauen einer völlig verdreckten öffentlichen Toilette. Und wenn seine Band sich schon einst nach dem Ort eines fatalen Flugunglücks benannt hat, dann kann der Dichter Lindemann auch unter dem Titel „Erfurt“schreiben:
Mein Vater hatte ein Gewehr Er würd noch leben
Am Leben wär er doch
Hätte er’s mir nicht gegeben… Und meine Kameraden Herrje sie sind dahin
Den Kindern und dem Lehrer auch Allen schoß ich in den Bauch Naja, als künstlerisches Konzept ist eine solche Anverwandlung ja al„den les andere als neu – aber ist das nicht einfach wahnsinnig schlecht? Also, ohne dass gewaltige Gitarren dazu dröhnen. Denn als Rammstein-Material vielleicht… Aber so ist dieser Till Lindemann eben auch auf seine Sprache reduziert, simpel und pathetisch – und provokativ?
Der Hautkopf ist ein fremdes Wesen Er sucht sein Heil am Horizont Streckt seinen geraden Arm zur Welt Nein, vielmehr muss man sich den Dichter zu solchen Texten wohl grinsend vorstellen, er treibt seinen Spaß am liebsten mit drastischen Bildern und Motiven, ein Fetischfest, das etwa auch das Vergnügen von Frauen beim Pickelausdrücken ihrer Männer zum Thema macht.
Dazu passen auch die Bilder des Buches von Matthias Matties, die in Figuren wie von antiken Vasen genommen meist Frivolitäten in Scherenschnittoptik ergänzen. Aber künstlerisch bedeutend ist dieses Wuchtigtönen ins Abgründige mit zumeist willkürlicher reimendnicht-reimender Quatschlyrik ganz gewiss nicht. Höchstens, wenn es tatsächlich mal leise wird, wirkt Einzelnes immerhin ein bisschen charmant:
Er war allein
Sehr allein
Wollte nicht mehr leben
Da kam ein Hund daher
Und hielt ihn lieb
Das Leben ihm zurückzugeben Hat ihm Herz und Seel gerettet Da hat er gleich
Das Hündchen angekettet
Schön, dass Till Lindemann das Spielen mit Sprache Freude bereitet. Aber ein effektsicherer Songtexter muss ja kein Dichter sein. Und ist er auch nicht. Seine Texte sind meist bloß Material.