Das Haus der geplatzten Träume
Die Geschichte von König Ludwig als romantisches Musical, mit Blick auf Neuschwanstein – was sollte da schiefgehen? Also wurde vor 20 Jahren das Festspielhaus Füssen eröffnet. Kaum zu glauben, welches Drama sich seitdem dort abspielt
Füssen Vor 20 Jahren hob sich mit der Uraufführung des Musicals „Ludwig II. – Sehnsucht nach dem Paradies“zum ersten Mal der Vorhang im „Musical Theater Neuschwanstein“in Füssen. Doch zum Feiern ist in diesen Tagen niemandem zumute. Denn durch die Corona-Krise brechen „Ludwigs Festspielhaus“, wie das Theater nun heißt, die Einnahmen weg. Die Kartenverkäufe gehen zurück, Vorstellungen gibt es vorläufig auch keine. Theaterdirektor Benjamin Sahler spricht von einer dramatischen Situation und ruft nach öffentlicher Hilfe. Zudem hat er eine Solidaritätsaktion mit Ticket-Gutscheinen gestartet. Dabei sei es in den vergangenen Monaten vielversprechend gelaufen. „Bezüglich der Finanzen war erstmals sogar die lang ersehnte schwarze Null in Aussicht“, sagt der 46-Jährige.
Im Festspielhaus wiederholt sich offenbar Geschichte. Denn nach dem vielversprechenden Start im April 2000 waren die vergangenen 20 Jahre geprägt von einem stetigen Auf und Ab. In dem herrlichen Theaterbau am Forggensee-Ufer sind Träume verwirklicht worden – und geplatzt. Dort wurden künstlerische Höhenflüge unternommen und finanzielle Bruchlandungen hingelegt. Vieles mutet im Rückblick so kurios und mysteriös an wie das Leben von König Ludwig II., das in diesem Musicaltheater erzählt wird. Von Anfang an drehte sich fast alles um den legendären Bayern„Kini“, der gerne im „Königswinkel“rund um Füssen zu Besuch war. Er ließ auch das Schloss Neuschwanstein bauen, auf das Festspielhaus-Besucher so traumhaft schön blicken können.
Der Musicalautor und Regisseur Stephan Barbarino verwirklichte Ende der 1990er Jahre zusammen mit seiner Frau Josephine die Idee, die Geschichte von Ludwig II. am Originalschauplatz zu inszenieren. Sie stampften einen königlichen Theaterbau mit Drehbühne für 1350 Zuschauer aus dem eigens aufgeschütteten Platz am Forggensee. Josephine Barbarino, von Beruf Architektin, ließ sich bei dem ausladenden Gebäude mit Haupttrakt und zwei Seitenflügeln von Wagners Festspielhaus in Bayreuth inspirieren. Kosten: gut 30 Millionen Euro.
Ehemann Stephan sorgte für das Künstlerische. Er beauftragte den in klassischen Kreisen angesehenen Franz Hummel mit der Komposition von „Ludwig II. – Sehnsucht nach dem Paradies“; er selbst steuerte den Text bei und übernahm die Regie. Zuerst deutete alles auf einen künstlerischen wie finanziellen Erfolg hin. Selbst kritische Zeitungen jubelten. So attestierte Die Zeit Barbarino, „das erste Musical mit Witz und Verstand“produziert zu haben.
Bis heute schwärmen viele von der Inszenierung, bei der auch eine Kutsche mit echten Pferden über die Bühne fuhr. Bis 2003, als das Gesamtkunstwerk der Barbarinos pleiteging, sahen 1,5 Millionen Besucher das Musical. Was zur Insolvenz führte, wurde nie ganz klar. Vermutlich waren es (zu) hohe Betriebskosten, falsche Vertriebs- und Marketingstrategien sowie fehlende Einnahmen wegen sinkender Auslastung. Zudem wurde Kritik an Hummels Musik laut: Sie sei zu wenig populär, um dauerhaft die Massen anzulocken.
Die Barbarinos zogen nach München, eine Allgäuer Investorengruppe übernahm das Haus. Die Idee, darin Leben, Leiden und Sterben des Bayern-Monarchen zu zeigen, hielt sich. Es wurde ein neues Ludwig-Musical projektiert, diesmal von Gerd Fischer, einem hessischen Produzenten. Er ließ unter anderem Liedermacher Konstantin Wecker mitkomponieren. Die Melodien von „Ludwig2 – Der Mythos lebt“, uraufgeführt im März 2005, gerieten schmissiger, die Story war spannender angelegt. Sie spielte mit der Frage: Wurde der unkonventionelle König Opfer eines Mordkomplotts bayerischer Politiker? Im März 2007 fiel auch für diese Version der finale Vorhang. Zuletzt wollte kaum noch jemand die Vorstellungen sehen. Millionen-Schulden häuften sich an. Wieder waren Träume geplatzt.
Nun gingen erst recht die Diskussionen um die Ursachen der Pleiten los. Im Kern drehten sie sich um die Frage, ob die Geschäftsführer falsche Strategien fuhren. Oder ob es schlichtweg unmöglich ist, mit einem Musicaltheater fern der Metropolen überhaupt Geld zu verdienen.
Wie auch immer: Vorerst wagte sich niemand mehr an ein neues Ludwig-Projekt. Der König schien endgültig gestorben. In den Jahren 2007 bis 2015 dümpelte das Theaterhaus dahin. Eine Handvoll Mitarbeiter hielten den Betrieb notdürftig am Laufen, indem sie das Haus an Show-, TV- und Musicalproduktionen vermieteten. Öffentlich und hinter verschlossenen Türen versuchten potenzielle Investoren und besorgte Regionalpolitiker immer wieder, ein schlüssiges Betriebskonzept zu finden. Ohne Erfolg.
Dann kam Benjamin Sahler. Der Stuttgarter Unternehmer und Regisseur startete eine CrowdfundingAktion, um Ludwig2 neu zu starten. Was er schaffte. Sahler, Produzent und Regisseur in einer Person, mietete sich im Festspielhaus ein und ließ im August 2016 den König wiederauferstehen. Sinnigerweise nannte er seine Überarbeitung „Ludwig2 – Der König kommt zurück“. Doch kaum war die erste Staffel des Musicals erfolgreich über die Bühne gegangen, meldeten die Besitzer des Hauses Insolvenz an – Pleite Nummer drei. Angeblich beliefen sich die Verbindlichkeiten auf 12,7 Millionen Euro.
Wieder nahte Rettung, diesmal in Person von Manfred Rietzler. Der Diplom-Ingenieur und Unternehmer aus dem nahe gelegenen Marktoberdorf, der mit Entwicklungen in der Computerbranche zu Geld gekommen war, kaufte das Gebäude im November 2016, steckte Geld in die dringend nötige Renovierung und intensivierte bald die Kooperation mit Sahler. Im September 2017 machte er ihn zum Theaterdirektor. Das inzwischen in „Ludwigs Festspielhaus“umgetaufte Theater glänzte plötzlich wie in früheren Zeiten. Sahler inszenierte mit der „Päpstin“ein weiteres Musical und holte weitere Produktionen ins Haus. Im November soll ein Zeppelin-Musical von Ralph Siegel Uraufführung feiern. Im Zentrum steht aber nach wie vor das Ludwig-Musical, dessen Aufführungen laut Sahler durchweg sehr gut besucht sind.
Trotz dieser erfreulichen Entwicklung sei es schwierig, das Haus kostendeckend zu führen, räumte Theaterdirektor Sahler im Sommer letzten Jahres ein. Das jährliche Defizit beläuft sich ihm zufolge auf eine Million Euro. Besitzer Manfred Rietzler gibt in diesem Spiel den Mäzen und gleicht das Minus aus eigener Tasche aus. Er hätte gern ein Fünf-Sterne-Hotel neben das Theater gebaut. Nur damit, so lautet die Begründung, sei ein dauerhafter Betrieb des Festspielhauses gewährleistet. Doch anhaltende Proteste von Naturschützern brachten ihn dazu, das Projekt auf Eis zu legen.
Noch geben Rietzler und Sahler nicht auf. Durch Kostenreduzierungen und den Ausbau des Programmangebots wollen sie das Defizit auf „die lang ersehnte schwarze Null“bringen, erklärt Sahler. „Es lief in den vergangenen Monaten so vielversprechend, dass der Ausblick auf das Jubiläumsjahr allen Grund zum Jubeln versprach.“Jetzt könnte ihnen das Coronavirus einen Strich durch diese Rechnung machen.