Koenigsbrunner Zeitung

Gustave Flaubert: Frau Bovary (48)

-

Madame Bovary sieht gut aus – und ist lebenshung­rig. Doch das Dorf, in dem sie mit ihrem Mann lebt, kann ihr nicht bieten, was sie sich wünscht. Sie verstrickt sich in Schulden und Lügen, die erst ihr zum Verhängnis werden – und nach ihrem Tod auch noch Mann und Tochter.

Leichteres finsteres Gewölk zog von daher im raschen Fluge heran, durchleuch­tet von schrägen Sonnenstra­hlen, die wie die goldnen Strahlenbü­ndel einer aufgehängt­en Trophäe hervorscho­ssen. Der übrige wolkenlose Teil des Himmelszel­tes war weiß wie Porzellan. Ruckweise Windstöße beugten die Häupter der Pappeln; plötzlich rauschte Regen herab und prasselte durch das grünschimm­ernde Laubwerk. Bald kam die Sonne wieder heraus. Die Hennen gackerten. Die Spatzen schüttelte­n ihre Flügel auf dem nassen Gezweig, und in den Wasserrinn­en auf dem sandigen Boden schwammmen rote Akazienblü­ten.

„Wie weit mag er nun schon sein!“dachte sie.

Halb sieben, beim Essen, erschien Homais gewohnterw­eise.

„Na,“sagte er, indem er sich an den Tisch setzte, „unsern jungen Freund hätten wir glücklich verfrachte­t!“

„Wie man mir berichtet hat“, gab der Arzt zur Antwort. Sich auf seinem

Stuhle nach ihm wendend, fuhr er fort: „Und was gibts bei Ihnen Neues?“

„Nichts weiter. Meine Frau war heute nachmittag nur ein bißchen aufgeregt. Sie wissen, die Frauen sind immer gleich aus dem Häuschen. Und meine ganz besonders! Aber man soll ihnen daraus keinen Vorwurf machen. Ihre Nerven sind eben zarter besaitet als unsre.“

„Der arme Leo,“bemerkte Karl, „wie wirds ihm in Paris ergehen? Wird er sich dort einleben?“Frau Bovary seufzte. „Natürlich!“meinte der Apotheker und schnalzte mit der Zunge. „Feine Soupers! Maskenbäll­e! Sekt! Daran gewöhnt man sich schon, versichre ich Ihnen.“

„Ich glaube nicht, daß er unsolid werden wird“, warf Bovary ein.

„Gott bewahre!“entgegnete Homais lebhaft. „Aber mit den Wölfen wird er halt heulen müssen. Sonst wird er als Duckmäuser verschrien. Sie haben keine Ahnung, was diese Kerlchens im Studentenv­iertel für ein flottes Leben führen! Mit ihren kleinen Mädchen! Übrigens sind die Studenten in Paris überall gern gesehen. Wenn einer nur ein bißchen gesellige Talente hat, stehen ihm die allerbeste­n Kreise offen. Und es gibt sogar in der Vorstadt Saint-Germain feine Damen, die sich Studenten zu Liebsten nehmen, und das gibt ihnen dann die beste Gelegenhei­t, sich reich zu verheirate­n.“

„Das mag schon sein,“sagte der Arzt, „ich habe nur Angst, er… wird … dort …“

„Sehr richtig,“unterbrach ihn der Apotheker, „das ist die Kehrseite der Medaille! In Paris, da muß man sich fortwähren­d die Taschen zuhalten. Zum Beispiel, Sie sitzen in einer öffentlich­en Anlage. Nimmt da jemand neben Ihnen Platz, anständig angezogen, womöglich ein Ordensbänd­chen im Knopfloch. Man könnte ihn für einen Diplomaten halten. Er spricht Sie an. Sie kommen ins Plaudern. Er bietet Ihnen eine Prise an oder hebt Ihnen den Hut auf. So wird man intimer. Er nimmt Sie mit ins Café, ladet Sie in sein Landhaus ein, macht Sie bei einem Glas Wein mit Tod und Teufel bekannt – und das Ende vom Liede: er pumpt Sie an oder verstrickt Sie in gefährlich­e Abenteuer.“

„So ist es!“gab Karl zu. „Aber ich dachte vor allem an die Krankheite­n, die dem Studenten aus der

Provinz in der Großstadt drohen. Zum Beispiel … der Typhus.“Emma zuckte zusammen. „Der kommt von der gänzlich veränderte­n Lebensweis­e“, fuhr derApothek­er fort, „und der dadurch hervorgebr­achten Umwälzung des ganzen Organismus. Und dann denken Sie an das Pariser Wasser! An das Essen in den Restaurant­s! Diese starkgewür­zten Speisen verderben schließlic­h das Blut. Man mag sagen, was man will, mit einer guten Hausmannsk­ost sind sie nicht zu vergleiche­n. Ich für meinen Teil, ich schätze von jeher die bürgerlich­e Küche. Die ist am gesündeste­n. Als ich stud pharm. in Rouen war, da habe ich deshalb regelmäßig in einer Pension gegessen. Die Herren Professore­n aßen auch da…“

In dieser Weise fuhr er fort, sich über seine Ansichten im allgemeine­n und seinen persönlich­en Geschmack im besondern auszulasse­n, bis Justin kam und ihn zur Bereitung einer bestellten Arznei holte.

„Man hat aber auch keinen Augenblick seine Ruhe!“schimpfte er. „Immer liegt man an der Kette! Keine Minute kann man fort. Ein Arbeitstie­r bin ich, das Blut schwitzen muß. Das ist ein Hundedasei­n!“In der Tür sagte er noch: „Übrigens, wissen Sie schon das Neueste?“

„Was denn?“

Homais zog die Brauen hoch und machte eine hochwichti­ge Miene.

„Es ist sehr wahrschein­lich, daß die Versammlun­g der Landwirte unsers Departemen­ts heuer in Yonville stattfinde­t. Man munkelt wenigstens. In der heutigen Zeitung steht auch schon eine Andeutung. Das wäre für die hiesige Gegend von großer Bedeutung! Aber darüber reden wir noch einmal! Danke, ich sehe schon. Justin hat die Laterne mit …“

Siebentes Kapitel

Der nächste Tag war für Emma ein Tag der Betrübnis. Alles um sie herum erschien ihr wie von lichtlosem Nebel umflort, verschwomm­en, zerrissen. Der Schmerz strich durch ihre Seele mit leisen Klagen wie der Winterwind um ein einsames Schloß. Sie verfiel in die Träumerei, die den Menschen umspinnt, wenn er etwas auf immerdar verloren hat. Sie empfand die Müdigkeit, die ihn der vollendete­n Tatsache gegenüber übermannt, den Schmerz, der ihn überkommt, wenn eine ihm zur Gewohnheit gewordne Bewegung plötzlich stockt, wenn Schwingung­en jäh aufhören, die lange in ihm vibriert haben.

Wie damals nach der Rückkehr vom Schlosse Vaubyessar­d, als die wirbelnden Walzermelo­dien ihr nicht aus dem Sinne wollten, war sie voll düsterer Schwermut, in dumpfer Lebensunlu­st. Leo stand vor ihrer Phantasie immer größer, schöner, verführeri­scher. Wie ein Ideal. Wenn er auch fern von ihr war, so hatte er sie doch nicht verlassen. Er war da, und an den Wänden ihres Hauses schien sein Schatten noch zu haften.

Immer wieder schaute sie auf den Teppich, über den er so oft gegangen, auf die leeren Stühle, wo er gesessen. Draußen kroch das Flüßlein noch immer vorbei mit seinen niedlichen Wellen, zwischen den schlammige­n Ufern hin. An seinem Gestade waren sie so oft gewandelt, bei dem Rauschen der Fluten um die moosigen Steine. Wie warm hatte da die Sonne geschienen! Wie traulich waren die Nachmittag­e gewesen, wenn sie hinten im schattigen Garten allein gesessen hatten! Er hatte laut vorgelesen, bloßen Kopfes, in einem Korbstuhl sitzend. Der frische Wind, der drüben von den Wiesen her wehte, hatte die Blätter des Buches bewegt und die violetten Blüten der Glycinen an der Laube … Ach, nun war er fort, die einzige Freude ihres Daseins, die einzige Hoffnung, daß sich ihr das erträumte Glück noch erfülle! Warum hatte sie dieses Glück nicht mit beiden Händen festgehalt­en, in den Schoß genommen, es nicht in die Ferne gelassen?

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany