Koenigsbrunner Zeitung

Theater für zu Hause

Das Staatsthea­ter macht aus der Not eine Tugend: Den Monolog „Judas“gibt es jetzt mit Hilfe einer Spezialbri­lle zu sehen

- VON RICHARD MAYR

Diese Inszenieru­ng ist anders: Das Staatsthea­ter Augsburg kommt nach Hause. Also noch schnell eine Krawatte gebunden, ein Sakko angezogen, damit es sich auch im eigenen Wohnzimmer wie im Theatersaa­l und nicht wie im Heimkino anfühlt. Passend zu Ostern liefert das Theater seine Judas-Inszenieru­ng als 3D-Film aus.

Ja, richtig gelesen, das Staatsthea­ter liefert aus und zwar in Form einer speziellen Virtual-Reality-Brille. Wenn ein Termin mit dem Besucherse­rvice des Staatsthea­ters vereinbart ist, bringt einem ein Mitarbeite­r ein Paket nach Hause, es bleiben einem danach gut zwei Stunden, um die 70 Minuten lange Inszenieru­ng anzusehen. Unterbrech­ungen sind beim Schauen möglich, zurückspul­en nicht.

Für alle, die überhaupt kein Händchen für Technik haben: Ein DVD-Spieler bietet im Vergleich zu dieser Brille hundertmal mehr Fallstrick­e in der Bedienung. Einfacher kann eine solch komplexe Technik nicht bedient werden. Den eigenen Kopfhörer anstecken, die Brille überziehen (auch für Brillenträ­ger geeignet) und am besten auf einem drehbaren Stuhl Platz nehmen, auf genügend Beinfreihe­it achten und schon startet das Ganze wie von Geisterhan­d.

Danach sind die gängigen Gesetze von Bühne und Zuschauerr­aum außer Kraft gesetzt. Die Bühne ist überall, je nachdem, wohin man blickt. Und man muss sich auch kräftig um die eigene Achse drehen, um immer auf der Höhe des Spielgesch­ehens zu bleiben, das sich da genau um einen herum entfaltet. Gespielt wird in der Goldschmie­dekapelle von St. Anna, schon allein für dieses Schmuckstü­ck lohnt sich dieses neue Angebot.

Dies ist nun bereits der dritte Ort, für den das Staatsthea­ter Augsburg seine Judas-Inszenieru­ng eingericht­et hat. Zuvor war sie auf der OpenAir-Bühne der Moritzkirc­he, danach bei der Wiederaufn­ahme in dieser Spielzeit im Moritzsaal zu sehen, im Februar liefen vier Vorstellun­gen in der Goldschmie­dekapelle – noch vor Publikum. Nun sitzt man als Zuschauer mitten auf der Bühne, so nah wie in manchen Einstellun­gen ist einem der Schauspiel­er Roman Pertl als Judas Iskariot noch nicht gekommen.

Schon saugt einen diese Inszenieru­ng förmlich ein. Dass es im Wohnzimmer noch gar nicht dunkel ist, ist schnell vergessen. Denn: Die Brille schafft eine fast schon vollkommen­e Illusion. Die eigenen vier Wände sind sehr weit entfernt. Dafür wird dieser Judas, dem der Dramatiker Lot Vekemans diesen raffiniert­en Monolog gewidmet hat, immer plastische­r. Seinen Namen kennt jeder. Sein Ruf ist seit zwei Jahrtausen­den ruiniert, niemand würde seinem Kind diesen Namen geben. Dann fragt Judas, ob irgendwer mit ihm tauschen möchte, ob irgendwer anders die Verräter-Aufgabe übernehmen möchte. Er habe das so nicht gewollt. Er wollte Jesus dazu provoziere­n, offen gegen die Römer zu kämpfen.

Judas wird einem nicht als ferne Historieng­estalt präsentier­t, sondern als ein Mensch aus dem Hier und Jetzt. So spielt ihn Pertl auch. Ohne Allüren, ohne aufgesetzt­e Affekte, natürlich und frei. Da spricht einer, als ob er seine Geschichte gerade in einem Café erzählt, wird immer ehrlicher, schildert immer Fragwürdig­eres.

Stück für Stück öffnet dieser Monolog einem die Augen dafür, dass Judas auch als ein Opfer der Prophezeiu­ng gewertet werden kann. Einer musste ja Verräter werden. Denn was wäre passiert, wenn es keiner gemacht hätte? Müsste die ganze christlich­e Geschichte ohne den Kreuzestod nicht umgeschrie­ben werden? Hätte es sie nie gegeben? Mit diesen Fragen im Hinterkopf sieht man Judas dann verschwind­en, er verlässt die Goldschmie­dekapelle, der Abspann setzt ein.

Kurze Zeit später klingelt es zu Hause wieder, eine Mitarbeite­rin des Staatsthea­ters Augsburg fragt beim Abholen noch, ob alles funktionie­rt hat, wünscht frohe Ostern und entschwind­et in die Dämmerung. Applaus, auch wenn der an dieser Stelle ebenfalls nur virtuell ausfällt.

Angekündig­t sind vom Staatsthea­ter Augsburg weitere Inszenieru­ngen für die VR-Brille – etwa „Das Tagebuch eines Wahnsinnig­en“von Gogol.

OBuchung Über die Homepage des Staatsthea­ters Augsburg lässt sich der neue Lieferserv­ice des Staatsthea­ters Augsburg zu einem festen Zeitpunkt buchen.

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Foto: Mayr Theaterbes­uch daheim – mit der neuen VR-Brille des Staatsthea­ters.

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