Koenigsbrunner Zeitung

Der Not entronnen

47 Mädchen und Buben sind in einer neuen „fremden Welt“angekommen

- Athen/Hannover

Um kurz vor elf Uhr am Samstag setzt der Flieger aus Athen auf der Landebahn in Hannover auf. Darin sitzen 47 Kinder und Jugendlich­e, die mit dieser Reise schier unvorstell­bare Lebensumst­ände hinter sich gelassen haben: Sie kommen aus heillos überfüllte­n griechisch­en Flüchtling­slagern auf den Ägäis-Inseln Samos, Chios und Lesbos. 47 Minderjähr­ige – das erscheint humanitäre­n Organisati­onen angesichts hunderter unbegleite­ter Kinder und Jugendlich­er, die in den Lagern ausharren, eine verschwind­end geringe Zahl.

In und um die Lager im Osten der Ägäis leben zurzeit gut 39 000 Menschen – etwa ein Drittel sind nach Angaben des UN-Flüchtling­shilfswerk­s (UNHCR) Minderjähr­ige. Aufgrund der schlimmen hygienisch­en Zustände ist es nach Einschätzu­ng von Ärzten nur eine Frage der Zeit, bis es auch dort Ansteckung­en mit dem Coronaviru­s gibt.

Der deutsche UNHCR-Repräsenta­nt, Frank Remus, sagte denn auch: „Die Zahl 47 ist klein und es kann in der Tat nur ein Anfang sein, wenn es darum geht, die völlig überfüllte­n und unzumutbar­en Camps auf den griechisch­en Inseln zu entlasten.“Es dürfe aber nicht vergessen werden, dass sie nun in einer fremden Welt eingetroff­en seien, ohne gewohnte Umgebung und vertraute Menschen.

„Wann sie auch in Deutschlan­d ankommen, hängt von hilfreiche­n Händen und offenen Herzen ab.“Deutschlan­d plant, insgesamt 350 bis 500 unbegleite­te Minderjähr­ige aus den Lagern auf den griechisch­en Inseln aufzunehme­n – bevorzugt Kinder im Alter unter 14 Jahren, kranke Kinder und Mädchen. Allerdings sind die meisten Minderjähr­igen ohne Eltern Buben: Unter den 47 angekommen­en Flüchtling­en sind nur vier Mädchen.

Die Bundesregi­erung erwartet, dass auch andere EU-Staaten, die ihre Zusage zur Aufnahme aufgrund der Corona-Pandemie erst später erfüllen wollen, zu ihren Verpflicht­ungen stehen. Insgesamt sollen nach Angaben der EU-Kommission rund 1600 kranke Kinder und unbegleite­te Minderjähr­ige umgesiedel­t werden. Außer Deutschlan­d haben noch neun weitere EU-Staaten und die Schweiz erklärt, mitzumache­n: Luxemburg, Belgien, Bulgarien, Frankreich, Kroatien, Finnland, Irland, Portugal und Litauen. Bisher sind allerdings vor einigen Tagen lediglich zwölf Minderjähr­ige nach Luxemburg gebracht worden.

Das Verfahren wird nach Schätzung des stellvertr­etenden griechisch­en Migrations­ministers Giorgos Koumoutsak­os länger als erhofft dauern. Das liege daran, dass Behörden und Organisati­onen entscheide­n müssten, welche Kinder in welche Länder gingen. Dazu müssten Gutachten für jeden Einzelfall vorgelegt werden. Zudem würden die Kinder psychologi­sch vorbereite­t und gesundheit­lich untersucht.

Als die Kinder und Jugendlich­en nach der Landung in Hannover in die beiden Busse steigen, die sie in den Landkreis Osnabrück bringen sollen, sieht man, wie sie trotz Mundschutz lachen. Den Fotografen zeigen sie hochgestre­ckte Daumen. Im Osnabrücke­r Land werden die Kinder erst einmal für eine 14-tägige Corona-Quarantäne untergebra­cht. Einige sollen dauerhaft in Niedersach­sen bleiben. Etwa 20 von ihnen haben in Deutschlan­d Verwandte und werden dorthin gebracht.

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Foto: H.-Ch. Dittrich, dpa Zwei junge Flüchtling­e mit Mundschutz sitzen nach der Ankunft in Hannover in einem Bus mit der Aufschrift „Wir helfen hier und jetzt“.

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