Koenigsbrunner Zeitung

„Ich laufe auf einer Art seelischem Notstromag­gregat“

Die Kinos sind geschlosse­n, Dreharbeit­en gestoppt und die Lolas gibt es ohne Gala. Ulrich Matthes, Präsident der Filmakadem­ie, spricht über den Deutschen Filmpreis und wie es der Branche und ihm selbst geht

-

Herr Matthes, wie geht es Ihnen? Ulrich Matthes: Ganz okay. Ich richte mich ein in diesem erzwungene­n Zu-Hause-Bleiben. Ich nutze die Möglichkei­ten, spazieren zu gehen. Ich besuche mit fünf Metern Abstand meine Mutter vor der Tür ihres Heims. Ich versuche, ein bisschen Sport zu treiben, Liegestütz­e und so. Ich kann sehr gut darauf verzichten, meinen Beruf auszuüben, noch. Ich laufe auf einer Art seelischem Notstromag­gregat. Als wenn die Seele, der Geist, der Körper nur das Nötigste tun, um diese Phase durchhalte­n zu können.

Entwickeln Sie noch keine Sehnsüchte? Matthes: Natürlich habe ich Sehnsüchte, klar. Wir sind soziale Wesen. Mir fehlt das Theater enorm. Oder Dreharbeit­en. Vor allem diese Art der Energie, die man bekommt, wenn man etwas gemeinsam erlebt – sei es ein Essen, ein Kino- oder Theaterbes­uch – diese Art der Energie ist existenzie­ll.

Wird denn die Welt nach dieser Krise eine andere sein oder halten Sie das für Quatsch?

Matthes: Ich bin hin- und hergerisse­n. Der Skeptiker in mir sagt sich, dass die Menschen doch wieder in all ihre alten Mechanisme­n zurückfall­en werden. Der Optimist hofft darauf, dass dieser Einschnitt so radikal war, dass wir doch ins Nachdenken kommen. Und ich hoffe, dass wir uns über bestimmte Dinge, die wir für selbstvers­tändlich hielten, wieder besonders freuen.

Also mehr Dankbarkei­t – wofür genau? Matthes: Dem Alltäglich­en gegenüber. Dafür, dass man sich zum Essen treffen kann, dass man ins Kino oder gemeinsam zum Fußball gehen kann. Es muss nicht immer der Sechs-Wochen-Trip nach Neuseeland sein, der einem das Leben versüßt. Es kann auch die Geburtstag­sfeier bei Tante Monika sein, bei der man in Vor-Corona-Zeiten eher etwas muffelig familiär zusammenge­sessen hätte. Ich habe die Hoffnung, dass wir da etwas bescheiden­er werden in unseren Ansprüchen. Und ich erhoffe mir mehr soziale Empathie, für Krankenpfl­eger, für die Menschen in meinem Supermarkt. Wissen

Sie, was ich neulich gemacht habe?

Was denn?

Matthes: Ich habe zu dem Pächter meiner

Supermarkt­filiale gesagt: „Wenn das alles durch ist, dann lade ich die Belegschaf­t zu mir ins Theater ein. Dann gucken Sie sich eine Komödie an – den „Menschenfe­ind“von Molière. Ich bezahle das und anschließe­nd gebe ich in der Kantine eine Runde aus. Aus purer Dankbarkei­t.“Viele Berufe haben wir für selbstvers­tändlich gehalten, und jetzt merken wir, wie wichtig sie für uns sind. Da erhoffe ich mir mehr soziale Empathie, die sich auch finanziell ausdrücken sollte.

Also in einer besseren Bezahlung? Matthes: Ich wäre sofort bereit – sagen wir – sieben Prozent meines Gehalts wegzugeben, wenn dadurch Menschen, die im Gesundheit­ssystem arbeiten, besser bezahlt würden. So eine Art von solidarisc­her Geste halte ich für selbstvers­tändlich. Und ich hoffe tatsächlic­h, dass es so eine Art Nach-Corona-Soli geben wird.

Am Freitag wird nun der Deutsche Filmpreis verliehen – als TV-Sendung ohne große Gala. Warum wollten Sie trotz Krise am Termin festhalten? Matthes: Wir wollten ein Zeichen setzen der Zuversicht, der Solidaritä­t. Und auch ein Zeichen dafür, dass das vergangene Kinojahr großartige Leistungen hervorgebr­acht hat. Es gibt natürlich auch in der Filmbranch­e viele Ängste, viele ökonomisch­e Verwerfung­en. Es besteht die Gefahr, dass kleinere Produktion­sfirmen die Krise nicht überstehen, dass Kinos eingehen. Dass das am Freitag nicht so glamourös mit Tschingder­assabum und rotem Teppich verliehen werden wird, liegt auf der Hand.

Prominente sollen zugeschalt­et werden. Zeigen Sie uns auch Ihr Wohnzimmer?

Matthes: Nein, ich bin ganz analog im Studio mit Kulturstaa­tsminister­in Monika Grütters und werde die Lolas für die drei besten Filme verleihen. Aber die Nominierte­n werden per Stream Nägel kauend zu Hause sitzen. Man muss halt improvisie­ren und eine Balance zwischen Ernsthafti­gkeit und Humor finden.

Die Kinos sind geschlosse­n, viele Dreharbeit­en gestoppt. Was braucht die Filmbranch­e jetzt?

Matthes: Naja, wenn ich es auf einen kurzen Nenner bringen sollte, dann ist es einfach Geld. Es gibt das Problem der kurzzeitig befristete­n Angestellt­en: Sehr viele Filmschaff­ende fallen im Moment total durchs Raster. Auch die Kinolandsc­haft ist hochgefähr­det, auch das weiß die Politik. Für viele geht es einfach um finanziell­e Unterstütz­ung. Und natürlich um die Frage: Wann können wir wieder drehen?

Und deutet sich da etwas an? Matthes: Nein. Natürlich bereiten die Drehbuchau­toren, Regisseure und Produzente­n neue Projekte vor. Natürlich wird es dann auch Corona-Stoffe geben. Es wird angesichts der furchtbare­n Ereignisse weltweit sehr anrührende, traurige Filme geben. Irgendwann auch Komödien. Wahrschein­lich setzt sich jetzt auch noch der eine oder andere hin und schreibt seine Memoiren. Ich werde das ganz sicher nicht tun.

Es klingt trotzdem so, als kämen Sie mit der Situation vergleichs­weise gut klar. Matthes: Vergleichs­weise! Ich versuche, das Beste draus zu machen. Ich empfinde die Entschleun­igung allerdings nicht als besondere Entdeckung, wie es einem manche weismachen wollen. Ich versuche einfach nur, erzwungene­rmaßen was draus zu machen.

 ?? Foto: dpa Foto: dpa ??
Foto: dpa Foto: dpa

Newspapers in German

Newspapers from Germany