Wie leicht kommt man in Deutschland eigentlich an eine Waffe?
Das deutsche Waffengesetz gilt als streng. Trotzdem besaß etwa der Todesschütze von Hanau ganz legal zwei Pistolen. Wir haben den Test gemacht: Wie leicht kommt man an eine Waffe?
Augsburg Unerlaubter Waffenbesitz. Vor allem im Zusammenhang mit Organisierter Kriminalität taucht dieses Delikt im neuen bayerischen Verfassungsschutzbericht, den Innenminister Joachim Herrmann (CSU) eben vorgestellt hat, mehrfach auf. Gerade im Rockermilieu stießen die Fahnder auf illegale Waffen. Doch es gibt auch Menschen, die ganz gesetzeskonform eine Waffe besitzen und damit Straftäter werden, wie zuletzt Mitte Februar beim Amoklauf in Hanau, bei dem der Täter zehn Menschen und sich selbst erschoss. Thorsten R. besaß völlig legal zwei Pistolen. Wie kann das sein? Das ist eine Frage, die die Angehörigen der Mordopfer jetzt geklärt haben wollen. Sie forderten diese Woche Einsicht in die Ermittlungsakten.
Ich will eine Waffe. Kann man das einfach beschließen – und bekommt sie dann auch? Hier soll es ein Selbstversuch zeigen.
Thorsten R. war seit 2012 aktiv im Frankfurter Schützenverein Diana Bergen-Enkheim. Deshalb hatte er eine Waffenbesitzkarte – die braucht jeder Sportschütze oder Jäger, um scharfe Waffen zu kaufen.
Auch ich war Mitglied eines Schützenvereins. Jahrelang habe ich Wettkämpfe bestritten, bestes Ergebnis auf 40 Schuss: 371 Ringe. Das ist ziemlich mittelmäßig und war in den Nullerjahren. Wenn ich also vorgäbe, wieder mit dem Schießen anfangen zu wollen: Wie schnell käme ich an eine scharfe Waffe?
Anruf beim Fachbereich für Öffentliche Sicherheit im Landkreis Augsburg. Dort werden Waffenbesitzkarten ausgestellt. Sie berechtigen dazu, scharfe Waffen daheim zu lagern, sie ungeladen zum Schießstand zu transportieren und dort zu nutzen. Also: „Ich hätte gern eine Waffenbesitzkarte.“Dazu schildere ich meine Situation: volljährig, ohne körperliche oder psychische Erkrankungen, viele Jahre Mitglied eines Schützenvereins. Christoph Liebert, der die Waffenberechtigungen ausstellt, blockt ab: „Jeder, der eine Waffenbesitzkarte beantragen will, muss hier im Amt vorbeikommen. Per Telefon geht das nicht.“Wer einmal aus dem Schützenverein ausgetreten sei, könne auch keinen Anspruch auf Waffen mehr begründen. „Dann sind Sie wie jeder andere Bürger auch – und müssen eine neue Waffenbesitzkarte beantragen.“
Die Waffenerlaubnis ist an eine Reihe von Voraussetzungen geknüpft. Ich muss erst wieder ein ganzes Jahr aktiv im Schützenverein sein, mir dort 18 Trainingseinheiten bestätigen lassen. Das heißt: Es würde mindestens ein Jahr plus Bearbeitungszeit meines Falls im Amt vergehen, bis ich meine Karte in Händen hielte. So lange hat es auch beim Täter von Hanau gedauert.
Der einzige Vorteil eines einstigen Schützen, der schon einmal eine waffenrechtliche Erlaubnis hatte, ist, dass er keine neue Sachkundeprüfung absolvieren muss. Die ist eine weitere Bedingung für den Waffenbesitz und – Stand heute – ein Leben lang gültig. Jeder andere Antragsteller muss in einem meist zweitägigen Kurs den Umgang mit dem Schussgerät lernen.
Wer eine Waffe will, braucht eine zu 100 Prozent weiße Weste. Denn ein weiteres Kriterium ist die Zuverlässigkeit. Das Landratsamt prüft genau die Vorgeschichte jedes potenziellen Waffenbesitzers – unter anderem bei der Polizei und im Bundeszentralregister. Als nicht zuverlässig gelten etwa verurteilte Straftäter, Mitglieder verbotener Vereine und verfassungswidriger Parteien. Seit 1. Februar muss Liebert auch beim Verfassungsschutz anfragen. Das ist eine Reaktion auf den Tod des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, dessen rechtsextremer Mörder einst vom Verfassungsschutz beobachtet worden war.
Bei dieser Überprüfung treten auch Eigenschaften zutage, die einer weiteren Voraussetzung für den Waffenbesitz widersprechen: der
Eignung“. Experte Liebert erklärt es so: „Besteht nach der Überprüfung oder nach dem persönlichen Gespräch der Verdacht auf eine psychische Erkrankung oder eine Sucht, können wir ein psychologisches Gutachten anfordern.“Die Kosten trägt der Antragsteller.
Liebert und seine Kollegen entscheiden je nach Einzelfall, ob eine Besitzkarte ausgestellt wird oder nicht. Die Zahl derer, deren Antrag negativ ausfällt, bewege sich – zumindest im Kreis Augsburg – im „niedrigen einstelligen Bereich“.
In meinem Fall haben die Hürden im deutschen Waffengesetz funktioniert. Auf dem Papier gilt es als eins der strengsten weltweit. Die psychische Störung des Hanauers Thorsten R. hat trotzdem keiner erkannt. Ein Kritikpunkt am Waffengesetz ist, dass nicht jeder Antragsteller unaufgefordert ein ärztliches Gutachten vorlegen muss.
Mir selbst bleibt noch der Weg über das Darknet – jenen verschlüsselten Bereich des Internets, in dem Drogen, Pornos oder eben Waffen gedealt werden. Kann ich mir ohne großes Computerwissen dort eine Waffe besorgen? Stefan Mey kann das beurteilen. Er ist Autor des Buchs „Darknet: Waffen, Drogen,
Whistleblower“und sagt: „Ins Darknet zu gelangen, ist technisch sehr einfach.“Nötig dafür ist der kostenlose Anonymisierungsbrowser Tor. Ich finde ihn auf einer der gängigen Download-Plattformen, kann ihn problemlos installieren. Auf der Startseite ein Suchfeld wie bei anderen Browsern. Gibt man das Stichwort „Waffen“oder englisch „weapons“ein, wird man wie bei Google auf meist harmlose Seiten geleitet. Denn die Umschlagplätze im Darknet sind gut versteckt. Ein illegaler Waffenhandel dort heißt sicher nicht illegale-waffen.de. Die Namen dieser Läden bestehen aus willkürlichen Kombinationen von Zahlen und Buchstaben.
Mit ein bisschen Netz-Recherche erfahre ich, dass „Hidden Wiki“– eine Art verschlüsseltes Wikipedia – eine große Sammlung an DarknetPortalen enthält. Die Seite listet mir eine ganze Reihe kryptischer Links auf. Ich klicke mich durch die Masse an Seiten mit schwarzem Hintergrund. Hier ein Shop für Marihuana, ein zweiter für Methadon und Badesalze. Einen Waffenshop finde ich auch nach längerer Suche nicht.
Darknet-Experte Stefan Mey wundert das nicht. „Marktplätze mit Waffenhandel sind für die Poli„persönlichen zei sehr viel interessanter als reine Drogenumschlagplätze. Der überschaubare Umsatz mit Waffen steht für die Betreiber in keinem Verhältnis zum gesteigerten Fahndungsdruck.“Zudem gebe es im Darknet „eine Art Untergrundmoral“. Im Handel mit Drogen werde sehr viel weniger ein ethisches Problem gesehen als im Handel mit Waffen.
Selbst wenn ich einen Umschlagplatz fände: Um eine Pistole zu kaufen, bräuchte ich Erfahrung mit der Kryptowährung Bitcoin. Die ist das gängige Zahlungsmittel im Darknet. Ich als Laie wäre leichte Beute für Betrüger, sagt Mey. „Die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, dass es sich bei dem Waffenangebot um einen Fake, eine Fälschung, handelt, bei dem der angebliche Händler zwar die Bitcoins annimmt, die Ware aber nicht verschickt.“
Am Ende stehe ich ohne Waffe da. Der Selbstversuch, gescheitert.
Thorsten R. übrigens hat sein tödliches Geschoss nicht im Darknet gekauft – und auch nicht seinen Waffenschrank geöffnet. Er lieh sich die Neun-Millimeter-Pistole bei einem Waffenhändler. Auch dafür musste er seine Besitzkarte vorlegen. Später sagte der Händler: „Er wirkte völlig normal.“