„In Moria droht eine Katastrophe“
Der langjährige bayerische Kultusminister Hans Maier engagiert sich für die Menschen in dem überfüllten griechischen Flüchtlingslager und erklärt, warum er sich an den Krieg erinnert fühlt
Herr Maier, wie ist aktuell die Lage im Flüchtlingscamp Moria auf Lesbos?
Die Lage ist nach wie vor katastrophal. Das ist ja auch kein Wunder, wenn man sich vor Augen führt, dass das Camp Moria ursprünglich für 3000 Menschen ausgelegt war, jetzt aber rund 20000 Geflüchtete dort leben. Erschwerend kommt hinzu, dass die Hilfsorganisationen aus Angst um ihre Mitarbeiter, die ja ebenfalls von Ansteckung bedroht sind, Personal weitgehend abgezogen haben. Sorgen macht uns auch, dass sich die Übergriffe im Lager häufen. Einmal unter den verschiedenen Nationalitäten im Lager, anderseits gibt es aber auch die griechischen Einwohner und vor allem Leute vom Festland, die zunehmend gegen die Situation protestieren. Sie müssen sich vor Augen führen, dass es auf der Insel lediglich ein Krankenhaus gibt.
Ist denn das Virus in Moria bereits nachgewiesen worden?
Tatsächlich gibt es erste Fälle. Sie können sich vorstellen, dass es unter den Bedingungen in dem Camp völlig unmöglich ist, den medizinisch gebotenen Abstand einzuhalten. Unter diesen Umständen wäre es kaum möglich, die Ansteckung unter Kontrolle zu bringen. Es droht eine humanitäre Katastrophe. Jetzt rächt sich, dass die Europäische Union, also auch Deutschland, Griechenland seinem Schicksal überlassen hat. Immerhin ist es ein kleines Hoffnungszeichen, dass Deutschland und Luxemburg damit begonnen haben, unbegleitete Kinder auszufliegen.
Wie kamen Sie darauf, sich für die Menschen auf Lesbos zu engagieren?
Unsere zweitälteste Tochter Barbara hat mich zuerst darauf gebracht. Ich selber war zwar noch nie auf Lesbos, aber meine Tochter hat mich überzeugt, dass ich da helfen kann.
Werden Sie auch angefeindet dafür, dass Sie mit Ihrer Hilfsinitiative bereits eine sechsstellige Summe eingesammelt haben?
Glücklicherweise bekomme ich in erster Linie Zuschriften, die positiv sind. Allerdings werfen mir auch einige vor, dass ich doch lieber Deutschen helfen sollte. Aber das sind nur Ausnahmen. Ich sage dann immer, dass das Virus keine Grenzen kennt. Wir müssen alles daran setzen, die Infektionen zu stoppen, ob in Deutschland oder anderswo.
Wie sorgen Sie dafür, dass das Geld der Initiative „Ein Osterlicht für Moria“(https://osterlichtmoria.de) – es handelt sich ja bereits um eine sechsstellige
Das ist immerhin ein guter erster Schritt. Aber es muss einfach noch mehr passieren. Die Europäische Union ist gefordert. Wir brauchen eine solidarische Politik.
Wie soll das gehen, wenn man zum Beispiel nach Ungarn blickt. Die CSU hat den Ministerpräsidenten Victor Orbán ja lange hofiert. Doch Orbán hält von Solidarität ja offensichtlich gar nichts.
Ich war in der Tat gar nicht glücklich darüber, dass die CSU eine Zeit lang diesen Kurs gefahren hat. Glücklicherweise hat da unter dem Ministerpräsidenten Markus Söder ein Umdenken stattgefunden. Mit Leuten wie Victor Orbán kann man gerade in Krisenzeiten keine sinnvolle Politik machen. Generell muss ich sagen, dass Söder sich tatsächlich zu einem verantwortungsvollen und konstruktiven Politiker gewandelt hat.
Man hört jetzt immer wieder, dass diese Krise nur noch mit dem Zweiten Weltkrieg zu vergleichen ist. Sie sind 1931 in Freiburg geboren, haben also diesen schrecklichen Krieg noch erlebt. Ist das nicht ein schräger Vergleich? nur hoffen, dass sich die europäische Zusammenarbeit nach der CoronaKrise wieder belebt und intensiviert; im Augenblick sehe ich mit Sorge den Rückfall in Abschottung, Grenzpfähle, Zollstationen ...
Ist das in Zeiten, in denen die USA unter Präsident Donald Trump nur noch schwer zu berechnen sind, nicht eine Option, die sträflich vernachlässigt wird?
Genauso ist das. Für Europa gibt es keine Alternative. Das sollte gerade heute jeder begreifen.
Für Sie als Katholik muss es doch bitter gewesen sein, dass Sie das Osterfest nicht in Ihrer Gemeinde begehen konnten.
Ich habe mich in diesen Tagen an das Osterfest 1946 erinnert. Das war nach dem Krieg für mich ein ganz besonderes Ereignis. Dass dies in diesem Jahr nicht ging, war eine schmerzhafte Erfahrung.
Wie ist der Zusammenhalt in Ihrer Familie? Fällt es Ihnen schwer, dass es keinen direkten Kontakt geben kann?
Das fällt mir natürlich nicht leicht. Aber die Töchter, die in München leben, kaufen für uns ein und kümmern sich. Das funktioniert sehr gut. Ich sage mal: Das werden wir überleben.
geboren 1931 in Freiburg im Breisgau war von 1970 bis 1986 Kultusminister in Bayern, 1978 bis 1987 Abgeordneter des Bayerischen Landtages für den Stimmkreis Günzburg sowie von 1976 bis 1988 Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken.