Wiedererwachen einer Kinokultur?
Zwar sind Lichtspielhäuser wegen der Krise geschlossen. Aber in Baden-Württemberg etwa kann man sich Filme vom Auto aus ansehen. Vielleicht zieht Bayern bald nach
Stuttgart/München Montagabend, kurz vor 21 Uhr, Einfahrt zum Autokino Stuttgart-Kornwestheim. Der Rückstau hält sich in Grenzen. „Fenster geschlossen lassen“, signalisiert der Kartenkontrolleur. Die Tickets, online für acht Euro das Stück gebucht und per Code auf das Handy geschickt, werden durch die geschlossene Scheibe gescannt. Wer zuerst kommt, sichert sich die besten Parkplätze. Auf der 500-Quadratmeter-Leinwand läuft heute die Udo-Biografie „Lindenberg“, auf der kleineren 240-QuadratmeterLeinwand die Buchverfilmung „Die Känguru-Chroniken“. Die erste Vorstellung, für die vor einer Woche überhaupt Karten zu bekommen waren, abgesehen von den Nachmittagsvorstellungen, die auf kleinen LED-Leinwänden auch bei Tageslicht zu sehen sind. Alles andere am Abend: ausverkauft, inklusive der Mitternachtsvorstellungen.
Die Snackbar am Autokino ist aus Gründen des Infektionsschutzes geschlossen. Den Wagen darf man nicht verlassen. Klingt nach ordentlichen Einschränkungen. Dabei ist die Situation in Baden-Württemberg im Vergleich zu Bayern noch recht moderat. Die Corona-Regeln im Freistaat sind wesentlich strikter, dort sind derzeit alle Leinwände dunkel. Allerdings gibt es Bestrebungen, etwa in München, Nürnberg oder Würzburg, dennoch Autokino zu ermöglichen.
Zurück in Kornwestheim. Ordner in Sicherheits-Leuchtwesten winken die Autos durch auf einen der beiden Parkplätze. Dann heißt es, möglichst nicht hinter einem SUV zum Stehen zu kommen, wenn man nicht selbst in einem sitzt. Die Kinos fassen normalerweise 650 und 250 Fahrzeuge, in Corona-Zeiten ist die Kapazität auf 25 Prozent heruntergefahren. „Auch wir müssen Abstand garantieren“, sagt Heiko Desch, Theaterleiter des ältesten deutschen Autokinos im hessischen Gravenbruch bei Frankfurt. Kornwestheim ist seit 51 Jahren in Betrieb und das einzige ganzjährig betriebene seiner Art in Baden-Württemberg. Im Februar, vor Corona, wurde der Pachtvertrag für das Gelände um zwei Jahre verlängert.
Mehr als 20 Autokinos gab es zu Beginn des Jahres in Deutschland, oft sind sie nur kurze Zeit im Jahr geöffnet und kämpfen ums Überleben. „Jetzt aber gerade macht es richtig Spaß“, sagt Desch. „Es ist eine tolle Stimmung bei den Leuten, manchmal gibt es Hupkonzerte am Ende zum Dank.“In Corona-Zeiten kommen viele Menschen vorbei, die den Besuch im Autokino schon lange einmal auf dem Zettel hatten und einfach mal raus wollen – und sei es im eigenen Auto. Allein in Nordrhein-Westfalen sind während der Corona-Krise rund 15 Autokinos entstanden. Wobei natürlich nicht klar ist, ob sich diese nach Abklingen der Pandemie halten werden.
Die breite Leinwand in Kornwestheim ist an diesem Abend etwa 60 Meter entfernt, was sie nicht übermäßig groß erscheinen lässt. Das Bild ist in Ordnung, aber nicht mit dem im Kinosaal vergleichbar. Vor der Beifahrerseite ragt auch noch die Antenne des vorderen Fahrzeugs ins Bild. Das Einstellen der eingeblendeten Frequenz am Autoradio aber funktioniert problemlos, der Ton läuft. Er kommt von einem Sender am zentralen Projektorhäuschen. Ohne Autoradio kein Ton; die in normalen Zeiten verfügbaren Leihgeräte für Notfälle gibt es zu Corona-Zeiten nicht. Auch Untertitel oder Sprachwahl stehen nicht zur Verfügung.
Die UKW-Sendefrequenz wird den Autokinobetreibern von der Bundesnetzagentur zugeteilt. Sie ist auf eine bestimmte Grundstücksgröße und Reichweite begrenzt. Wichtig ist, dass es sich um ein abgrenzbares Grundstück handelt und nicht Grundstücke oder Gebäude Dritter „überstrahlt“werden. Seit Beginn der Corona-Krise wurden mindestens 120 Anträge bei der Bundesnetzagentur gestellt. Es geht dabei nicht nur um Autokinos, sondern etwa auch um Übertragungen von Gottesdiensten, Lesungen oder Konzerten.
In Bayern war bis zur CoronaKrise Autokino etwa in MünchenAschheim und zeitweise auch im Würzburger „Autoflimmern“möglich. „Wir versuchen gerade, eine Genehmigung von der Stadt/Regierung für ein Autokino 2020 zu erhalten. Leider sind die Auflagen zur Zeit in Bayern etwas strenger als in anderen Bundesländern“, erklären die Würzburger Betreiber. Ähnlich ist die Lage in Aschheim. Die Betreiber wollen online aber rasch kundtun, wenn es weitergeht.
Unterdessen meldet etwa der Bayerische Rundfunk, dass es zusätzliche Initiativen gibt, Autokinos auf der Theresienwiese oder dem Nürnberger Volksfestplatz zu realisieren. Noch schließen die Vorschriften der Staatsregierung Autokino aus. Aber vielleicht gibt es ja bei der nächsten Überprüfung des bayerischen „Lockdown“eine Lockerung – und eine eigentlich schon recht betagte Kinokultur erwacht aus unverhofftem Grund zu neuem Leben.