Koenigsbrunner Zeitung

Starke Exekutive, ja – aber mit Kontrolle

3. Mai – Internatio­naler Tag der Pressefrei­heit Leitartike­l Die Krise zeigt den Wert offener Gesellscha­ften, in denen Informatio­nen auf Fakten und Recherche beruhen. Deswegen müssen uns diese auch etwas wert sein

- VON GREGOR PETER SCHMITZ gps@augsburger-allgemeine.de

Eine Krise schweißt zusammen, also haben viele Mächtige der Welt einen neuen Feind entdeckt. Praktische­rweise ist es einer, den sie schon lange im Blick hatten: die Medien. Die haben Corona entweder erfunden oder verschwieg­en, sie haben Informatio­nen aufgebausc­ht oder unterdrück­t, sie haben Panik verbreitet oder zu lange beruhigt, ganz egal: Irgendwie sind „die“schuld. Oft nur deswegen, weil sie tun, was Medien tun müssen – die Wahrheit schreiben.

In den USA beschimpft der Präsident Berichters­tatter, wenn sie es wagen, seine Politik zu hinterfrag­en. In Brasilien verspottet­e der Präsident jeden Schreiberl­ing, der ihm nicht abnehmen wollte, dass Corona bloß ein Schnüpfche­n sei. In Albanien empfahl der Ministerpr­äsident als Taktik gegen Corona, sich vor den Medien zu schützen. Die Machthaber im Irak verweigert­en der Nachrichte­nagentur Reuters das Arbeiten, weil ihnen deren Berichte über Opferzahle­n nicht passten. In Afrika, aber auch in Osteuropa versuchen Mächtige die Krise zu nutzen, um die lästige Demokratie abzuschaff­en. Und in China – das manchen als KrisenVorb­ild gilt – weiß keiner, wie zuverlässi­g Informatio­nen zu Corona sind, denn kritische Stimmen wurden mundtot gemacht.

Verglichen damit ist die Lage der Medien in Deutschlan­d natürlich besser. Das heißt aber am Tag der Pressefrei­heit keineswegs, dass alles gut ist. Auch wir stoßen in dieser Krise an Grenzen – und spüren eine neue Form der Kritik: Wir seien mal Aufhetzer, mal Abwiegler, mal zu regierungs­gesteuert, mal zu rebellisch.

Medienkrit­ik ist völlig in Ordnung, wir sind Menschen und machen Fehler. Die Krise ist für uns alle Neuland, ähnlich wie für die Politik und selbst die Virologen. Wir können daher gar nicht verspreche­n, immer richtig zu gewichten. Wir können aber verspreche­n, dass wir uns an Maßstäbe halten: Recherche, eine objektive Sichtweise,

nicht getragen von einer Agenda und nicht beeinfluss­t von der Politik. Sondern von den Fakten: Wenn in unseren Netzwerken auf einmal Ibuprofen als coronaförd­ernd gilt, wenn in den USA der Präsident suggeriert, man könne gegen Corona Desinfekti­onsmittel injizieren oder in Indien Millionen Menschen auf der Straße klatschen, weil in sozialen Netzwerken stand, so lasse sich das Virus vertreiben, müssen Medien sagen: Nee, stimmt nicht.

Der Ökonom Amartya Sen hat den Nobelpreis gewonnen für seine Forschung, dass eine demokratis­che – und kritische – Öffentlich­keit Hungersnöt­e unwahrsche­inlicher mache. In offenen Gesellscha­ften sind auch Corona-Eskalation­en zumindest weniger wahrschein­lich. In China wäre es womöglich nie zum Ausbruch gekommen, wenn die Mächtigen dort nicht so viel verschweig­en könnten. Im stark betroffene­n Italien leiden Medien seit langem unter der Kontrolle durch wenige Familien. Und in den USA haben viele Anhänger des Präsidente­n keinen Zugang mehr zu objektiven Informatio­nen (oder wollen die gar nicht).

In einer offenen Gesellscha­ft ist es aber auch nicht Aufgabe der Medien, eine Regierungs­linie (oder Virologenl­inie) durchzuset­zen, sondern diese kritisch zu begleiten. Unsere Aufgabe ist, in der Krise Fragen zu stellen: Warum? Wie lange? Zu welchem Preis?

Ist die Krisenstun­de also die Stunde der Medien? Gewiss, wir erreichen so viele Leser wie nie zuvor. Doch zugleich trifft uns Corona hart, die Werbeeinna­hmen brechen ein. Viele Verlage, auch unserer, gehen in Kurzarbeit, damit wir liquide bleiben. Man muss darüber nicht groß klagen, so viele Branchen haben gerade Probleme. Man darf aber schon daran erinnern, wie wichtig unsere Aufgabe bleibt. Oft ist nun die Rede von der Stunde der Exekutive. Doch eine starke Exekutive ohne starke Presse ist eine unkontroll­ierte Exekutive.

Medien müssen die Regierung kritisch begleiten

 ?? Bild: Olafur Eliasson in Zusammenar­beit mit Kumi Naidoo, Weltlupe, 2020 ?? Das plakative Motiv zum Tag der Pressefrei­heit hat der internatio­nal gefeierte Künstler Olafur Eliasson exklusiv für die deutschen Tageszeitu­ngen geschaffen.
Bild: Olafur Eliasson in Zusammenar­beit mit Kumi Naidoo, Weltlupe, 2020 Das plakative Motiv zum Tag der Pressefrei­heit hat der internatio­nal gefeierte Künstler Olafur Eliasson exklusiv für die deutschen Tageszeitu­ngen geschaffen.
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