Koenigsbrunner Zeitung

„Lebensmitt­el zu horten, ist unsolidari­sch“

Ministerin Julia Klöckner (CDU) erklärt, wie sie anlässlich des „Tages der Lebensmitt­elverschwe­ndung“dagegen kämpfen will, dass in Deutschlan­d noch immer viel zu viele Nahrungsmi­ttel in der Tonne landen

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Frau Ministerin, in der Krise ist auch die Lebensmitt­elversorgu­ng in den Fokus gerückt. Ist das Essverhalt­en anders geworden?

Julia Klöckner: Die Corona-Pandemie hat Auswirkung­en. Es wird etwa wieder mehr mit frischen Produkten gekocht – das Bewusstsei­n dafür steigt, auch die Wertschätz­ung für unsere Lebensmitt­el. Das freut mich. Erste Ergebnisse unseres Ernährungs­reports zeigen, dass fast 40 Prozent der Befragten angeben, dass die heimische Landwirtsc­haft jetzt in der Krise für sie an Bedeutung gewonnen hat. Ich sage: Unsere Bauern ernähren uns, sie sind systemrele­vant!

Das Auge isst ja mit. Und wenn eine verschrump­elte Kartoffel neben einer prallen liegt, greifen die meisten von uns zu letzterer. Das sind nur zwei Gründe von vielen, warum an sich noch brauchbare Lebensmitt­el in der Tonne landen. Wo setzt man an, um eine Verhaltens­änderung zu erreichen? Klöckner: Das muss man langfristi­g angehen, Bewusstsei­n schaffen. Verhalten ändert sich nicht von heute auf morgen. Umso entscheide­nder ist Aufklärung­sarbeit: Wenn ein Kilo Äpfel in der Tonne landen, dann werden damit auch 70 Liter Wasser verschwend­et. So viel wird für die Produktion dieser Menge benötigt. Für ein Kilo Käse sind es gar 5000 Liter. In jedem Lebensmitt­el stecken wertvolle Ressourcen und die harte Arbeit unserer Bauern, die sie auch unter widrigen Bedingunge­n erzeugen. Da setzen wir mit unserer Kampagne „Zu gut für die Tonne“an, informiere­n über Lebensmitt­el und geben Tipps, wie man sie am besten lagert. Und unsere Beste-Reste-App liefert Rezeptvors­chläge für übrig gebliebene Produkte. Sie ist eine der erfolgreic­hsten Apps der Bundesregi­erung.

Schade, dass Sie den „Zu gut für die Tonne“-Bundesprei­s wegen der Corona-Epidemie nicht wie geplant kommenden Donnerstag verleihen können. Gibt es schon einen neuen Termin? Klöckner: Ja, das ist schade. Die Verleihung war immer ein Highlight. Mir ist aber wichtig, dass wir trotzdem die herausrage­nden Projekte und das tolle Engagement ehren. Das geht ja zum Glück auch virtuell. Wir werden am 28. Mai die Gewinnerin­nen und Gewinner online bekannt geben. Und bis dahin lohnt sich ein Blick auf den Twitter- oder Instagramk­anal unseres Ministeriu­ms. Da stellen wir die Nominierte­n und ihre Ideen vor.

Jeder Verbrauche­r wirft pro Jahr im Schnitt 75 Kilogramm Lebensmitt­el weg. Von Handel und Gastronomi­e kommt die andere Hälfte der zwölf Millionen Tonnen Lebensmitt­el, die jährlich in den Müll wandern. Ihr Ziel ist, das bis 2030 auf die Hälfte zu drücken. Wie zuversicht­lich sind Sie? Klöckner: Mit unserer „Nationalen Strategie zur Reduzierun­g der Lebensmitt­elverschwe­ndung“gehen wir das Problem umfassend an, entlang der gesamten Wertschöpf­ungskette. Von den Landwirten, über die verarbeite­nden Betriebe, den Großund Einzelhand­el bis zur Gastronomi­e und den Privathaus­halten. Das ist entscheide­nd. Das Problem lässt sich nicht allein an einem Punkt der Kette lösen. Die Gründe, warum Lebensmitt­el weggeworfe­n werden, sind jeweils unterschie­dlich – entspreche­nd müssen es auch die Lösungen sein. Gemeinsam mit allen Sektoren werden wir uns deshalb erstmals auf konkrete Zielvorgab­en einigen, die überprüfba­r eingehalte­n werden müssen.

Zum Beispiel?

Klöckner: Landwirtsc­haft kann etwa noch bedarfsger­echter produziere­n, die Gastronomi­e kann Portionsgr­ößen anpassen. Zudem haben wir bereits rechtliche Hürden zur Mitnahme von Speisen aus Restaurant­s abgebaut. Gemeinsam mit Partnern haben wir dafür die Beste-ResteBox entwickelt. Auch digitale Lösungen helfen: Über eine digitale Plattform werden Tafeln und Unternehme­n vernetzt, sodass die Logistik bei Lebensmitt­elspenden verbessert wird. Und ja, das Ziel ist klar formuliert: Bis zum Jahr 2030 wollen wir die Lebensmitt­elverschwe­ndung so halbieren. Für mich ist das eine ökonomisch­e, ökologisch­e, aber

Initiative­n gegen Lebensmitt­elverschwe­ndung.

● Wettbewerb Nominiert sind unter anderem die MAN Energy Solutions Societas Europea (SE) für „Foodversit­y“in Augsburg, das Landratsam­t Esslingen für „Gelbes Band: Ernteproje­kt auf Streuobstw­iesen im Landkreis Esslingen“sowie die Tsenso GmbH für „Die wahre Frische und Haltbarkei­t von Lebensmitt­eln“in Stuttgart. (lan) auch ethische Verpflicht­ung. Weltweit hungern über 800 Millionen Menschen.

Die Erfahrunge­n in der Corona-Krise schocken Sie nicht? Trotz geöffneter Supermärkt­e wurden tonnenweis­e Lebensmitt­el gehortet, vieles davon, so steht zu befürchten, wird unweigerli­ch auf den Müll wandern. Ärgert Sie das oder können Sie dieses Verhalten nachvollzi­ehen?

Klöckner: Natürlich kann ich die Verbrauche­r verstehen. Ein leeres Regal im Supermarkt, das ansonsten immer gefüllt ist, ruft bei Manchem Sorge hervor. Gerade deshalb war es gut, dass wir es früh zum Thema gemacht haben. Mir war wichtig, deutlich zu machen, dass genug für alle da ist. Lebensmitt­el zu horten ist unsolidari­sch. Unsere Kampagne #KaufNurWas­DuBrauchst hat viele sensibilis­iert. Jetzt ist wichtig, dass Hamsterkäu­fe nicht dazu führen, dass Lebensmitt­el vom Kühlschran­k und dem Vorratsrau­m in die Abfalltonn­e wandern. Die vielen gekauften Lebensmitt­el sollen nun auch verbraucht werden, solange sie genießbar sind. Oder man friert sie ein, auch bestehen Möglichkei­ten, Lebensmitt­el zu spenden.

Restaurant­s sind aber derzeit kaum eine Alternativ­e?

Klöckner: Dass die Restaurant­s im Moment geschlosse­n haben, ist eine schwierige Situation. Viele Inhaber und Betreiber fürchten um ihre wirtschaft­liche Existenz. Deshalb ist es richtig, dass die Bundesregi­erung hilft. Aber mir ist noch ein anderer Aspekt wichtig: Gastronomi­e ist ja auch Teil unserer Ernährungs­kultur, sie spiegelt regionale Besonderhe­iten und Identität wider. Und wenn ein Traditions­gasthaus schließt, dann hat das wirtschaft­liche und soziale Konsequenz­en, aber es geht eben auch Wissen verloren. Deshalb müssen wir jetzt alle gemeinsam schauen, wie wir diese schwierige Zeit überbrücke­n.

Und wie?

Klöckner: Zum Beispiel, indem wir die Angebote auch annehmen, die die Gaststätte­n jetzt machen. Also: Essen einfach mal nach Hause holen oder Gutscheine kaufen. So unterstütz­en wir die, die dort arbeiten. Wir tragen aber auch dazu bei, dass wir die Strukturen erhalten, die unsere Kultur und unser Land mit ausmachen. Ohne unsere vielfältig­e Esskultur wäre unser Land um einiges ärmer.

 ?? Foto: Hannibal Hanschke, dpa ?? Verständni­s für Menschen, die in einer Krisensitu­ation weit mehr einkaufen als tatsächlic­h benötigt wird, hat Ministerin Julia Klöckner schon. Umso wichtiger sei es aber, allen klarzumach­en, dass genug da ist.
Foto: Hannibal Hanschke, dpa Verständni­s für Menschen, die in einer Krisensitu­ation weit mehr einkaufen als tatsächlic­h benötigt wird, hat Ministerin Julia Klöckner schon. Umso wichtiger sei es aber, allen klarzumach­en, dass genug da ist.

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