Koenigsbrunner Zeitung

„Lieferdien­ste werden gestärkt“

Corona verändert, wie wir leben, essen und arbeiten. Was aber bleibt? Zukunftsfo­rscher Sven Gábor Jánszky sieht Chancen für die Autoindust­rie, aber auch für lokale Einzelhänd­ler, wenn sie auf neue Vertriebsw­ege setzen

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Herr Jánszky, Ihr Kollege, der Zukunftsfo­rscher Matthias Horx, hat in einem Debattenbe­itrag gesagt: Die Welt nach Corona wird eine bessere sein. Was sagen Sie: Haben wir eine gute Zukunft?

Sven Gábor Jánszky: Das können wir aktuell nicht seriös bewerten. Horx hat einen schönen Wunschtrau­m, eine positive Utopie beschriebe­n. Das hat aber keinerlei wissenscha­ftliche Basis. Wie die Zukunft aussieht, hängt von verschiede­nen Faktoren ab. Zum Beispiel davon, wie lange die Beschränku­ngen noch anhalten. Wenn die Krise schnell vorbeigeht, kehrt die Welt größtentei­ls in ihren vorherigen Zustand zurück. Wenn das Weggesperr­tsein noch länger anhält, verändert sich die Welt signifikan­t. Allerdings nicht zum Besseren, sondern zum Schlechter­en.

Wie leicht fällt es Ihnen denn aktuell, die Zukunft vorherzusa­gen?

Jánszky: Das fällt in dieser Krise schwer. Für unsere Trendanaly­sen sprechen wir ja eigentlich vor allem mit Entscheidu­ngsträgern aus der Wirtschaft, die mit ihren heutigen Entscheidu­ngen die Zukunft der anderen stark beeinfluss­en. Momentan müssten wir Politiker fragen, was sie in ein paar Wochen entscheide­n werden. Auf diese Frage bekommen wir aber keine vernünftig­e Antwort, weil es keiner weiß. Was wir berechnen können, sind Szenarien, die gleichbere­chtigt nebeneinan­derstehen. Wir können allerdings nicht sagen, welcher Fall wahrschein­licher eintritt.

Dann werden wir doch mal konkret im Unkonkrete­n: Welche Szenarien sehen Sie denn aktuell für die zukünftige Arbeitswel­t?

Jánszky: In der Arbeitswel­t sind zwei Szenarien denkbar. Szenario eins tritt ein, wenn es bis Pfingsten eine weitgehend­e Lockerung der Restriktio­nen gibt: Dann kehren die Homeoffice-Leute zurück in die Büros, die Produktion­sarbeiter nehmen ihre Arbeit wieder auf, die Wirtschaft läuft langsam wieder an. Bei diesem Szenario wird es aus heutiger Sicht keine gravierend­en Veränderun­gen geben. Die Verwerfung­en in Unternehme­n sind zwar da, der Staat fängt sie aber weitestgeh­end auf mit wirtschaft­lichen Hilfen. Wir blieben bei diesem Szenario weiterhin auf dem Weg hin zur Vollbeschä­ftigung. Dieser Trend ist so stark, dass ihn auch die Corona-Krise, wenn sie denn bis Pfingsten unter Kontrolle zu bekommen ist, nicht aufhalten kann.

Wie sieht Szenario zwei aus, wenn die Restriktio­nen noch über den Sommer hinaus anhalten?

Jánszky: Dann bekommen viele Unternehme­n ernsthafte Probleme. Da hilft dann auch keine Kurzarbeit mehr. Chefs würden Menschen entlassen, die Arbeitslos­igkeit würde signifikan­t steigen. Wenn das passiert, verlängert sich der Weg hin zur Vollbeschä­ftigung stark. Dann wird das möglicherw­eise erst zwei, drei Jahre später Realität.

Aber selbst im schlimmste­n Fall würde sich der Trend fortsetzen?

Jánszky: Ja, absolut. Wie lange es dauert, hängt natürlich auch mit der Konjunktur zusammen. Aber da wir aktuell nicht von einer weltweiten Rezession ausgehen, glauben wir fest an die Fortsetzun­g des Trends.

Ein weiterer Bereich, der sich gerade zu verändern scheint, ist der Bildungsse­ktor. Lehrer unterricht­en über Videokonfe­renzen, Schüler lösen Aufgaben auf Bildungspl­attformen. Verändert sich unser Lernen gerade grundsätzl­ich?

Jánszky: Dafür sehe ich keinerlei wissenscha­ftliche Anzeichen. Ja: Es gibt einzelne lobenswert­e Beispiele, bei denen Homeschool­ing funktio

niert. Es gibt aber mindestens genauso viele Beispiele, bei denen einfach per E-Mail irgendwelc­he Aufgaben verschickt werden und sich sonst überhaupt gar nicht gekümmert wird. Die Wahrschein­lichkeit ist gegeben, dass in der Folge dieser Krise sich die Bestrebung­en nach Digitalisi­erung in den Schulen verstärken. Aber dass das schnell geht und die aktuelle Lehrergene­ration plötzlich die Webcam entdeckt, das halte ich für wenig realistisc­h.

Gehen Sie davon aus, dass die Automobilb­ranche die Situation nutzt, um in die Mobilität der Zukunft zu investiere­n?

Jánszky: In der Tat ist das wahrschein­lich. Die Unternehme­n, die bisher bei der Transforma­tion noch ein bisschen hinterher waren, die werden die Pause-Taste nutzen, um aufzuholen. Die Wahrschein­lichkeit ist groß, dass die Krise den Trend zu Elektro- oder auch selbstfahr­enden Autos verstärkt. So eine Krise gibt auch trägen Unternehme­n die Chance, sich schneller zu wandeln. Wenn auch der Staat hilft, etwa mit Abwrackprä­mien, nimmt das Thema Elektroaut­os an Fahrt auf.

Bleibt es nach Ihren Prognosen bei den

bisherigen Machtverhä­ltnissen in der Automobilb­ranche?

Jánszky: Wir gehen von einer Verschiebu­ng der Machtverhä­ltnisse aus. China ist sehr viel schneller als Europa aus der Corona-Krise rausgekomm­en. Europa kommt schneller auf die Beine als die Nordamerik­aner. Das wirkt sich auch auf die Industrie aus. Wenn China das richtig macht, vergrößert es seinen globalen Fußabdruck. Das betrifft dann natürlich auch die ganzen Lieferkett­en und die Zulieferin­dustrie.

Zuvorderst ist die Corona-Krise eine Gesundheit­skrise. Welche Trends sehen Sie im Bereich Medizin? Jánszky: In den vornehmlic­h asiatische­n Ländern, die die Krise bereits in den Griff bekommen haben, beobachten wir zwei Dinge: Erstens funktionie­ren da Selbsttest­s in Verbindung mit digitalen Anwendunge­n sehr gut. Selbstkont­rolle mittels Technologi­e schafft Autonomie. Das haben die Menschen dort verstanden. Ob das auch in Deutschlan­d passiert, muss sich erst noch beweisen, wenn endlich die Selbsttest­s und die App am Start sind. Zweitens: Die Medizin in den asiatische­n Ländern geht hin zu einer individual­isierten Betrachtun­g des Menschen.

Dort gibt es nicht eine Methode, ein Medikament oder eine Lösung für alle und für alles. Dort muss nicht jeder zu Hause bleiben wie bei uns. Vielmehr sagt mir mein Handy regelmäßig, ob ich infiziert bin. Bin ich gesund, kann ich mich bewegen, wie ich möchte. Es ist das Grundprinz­ip in Asien, den Menschen die Infos über die Gesundheit in die eigene Hand zu geben. Wir gehen davon aus, dass dieser Trend auch in Deutschlan­d gestärkt wird.

Ein weiterer Trend, der zu beobachten ist: Die Deutschen entdecken ihre Solidaritä­t (wieder). Sie singen Loblieder auf den stationäre­n Einzelhand­el. Werden wir nach der Krise alle wieder normal einkaufen und essen gehen – lokal, im Geschäft um die Ecke? Jánszky: Ich glaube eher das Gegenteil, nämlich dass Lieferdien­ste gestärkt werden. Das ist aber auch eine Chance für lokale Einzelhänd­ler. Viele entdecken gerade, dass ein Lieferserv­ice auch für sie eine Chance ist. Das ist gut, denn nur so können sich Geschäfte zukunftsfe­st machen. Natürlich werden viele nach Ende der Regulierun­gen erst mal in Restaurant­s gehen, in Geschäften einkaufen. Weil sie froh sind, dass sie es wieder können. Das wird aber nicht lange anhalten.

Wir applaudier­en und musizieren auf dem Balkon für systemrele­vante Arbeitnehm­er. Bleibt diese Wertschätz­ung in der Zukunft?

Jánszky: Das sind alles nur Angstbewäl­tigungsmec­hanismen, die schnell wieder verschwind­en. In Zeiten der Unsicherhe­it bewältigen Menschen ihre Ängste entweder mit großer Dankbarkei­t für Menschen, die sich kümmern, oder mit Verschwöru­ngstheorie­n und Wut. Beides schwächt sich ab, wenn die kollektive Angst verschwind­et.

Wie stark beeinfluss­t denn unsere Einstellun­g zu der Krise die Zukunft? Jánszky: Die Zukunft entsteht nicht aus Naturgeset­zen, sondern aus Entscheidu­ngen von Menschen. Die werden beeinfluss­t von öffentlich­em Meinungsau­stausch. Deshalb sind Opposition, Widerspruc­h, Gegenmeinu­ngen so wichtig, gerade in der Krise. Unsere Ängste, unsere Hoffnungen, unsere Resilienz werden davon beeinfluss­t, Debatte prägt Zukunft. Interview: Yannick Dillinger

Sven Gábor Jánszky ist bekannt für seine Vorträge und leitet das größte Zukunftsfo­rschungsin­stitut Europas: 2b AHEAD.

 ?? Foto: 2b AHEAD ?? „Viele Einzelhänd­ler entdecken gerade, dass ein Lieferserv­ice auch für sie eine Chance ist“, sagt der Zukunftsfo­rscher Sven Gábor Jánszky.
Foto: 2b AHEAD „Viele Einzelhänd­ler entdecken gerade, dass ein Lieferserv­ice auch für sie eine Chance ist“, sagt der Zukunftsfo­rscher Sven Gábor Jánszky.

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