Koenigsbrunner Zeitung

Mit Musik durch die Krise

Warum viele Menschen jetzt zu einem Instrument greifen

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München Viele Jahre lang führte die Harfe von Judith Bodendörfe­r ein verwaistes Dasein: Unbeachtet und unbespielt staubte sie auf dem Speicher ein. Das ist nun wegen der Corona-Krise vorbei. „Jetzt spiele ich wieder jeden Tag“, sagt die Münchnerin. Die wiedergefu­ndene Liebe zu ihrem Instrument ist für sie mehr als nur die Beschäftig­ung mit Noten und Rhythmen. Es ist auch eine Pause, eine Auszeit vom CoronaKosm­os. Damit ist die 33-Jährige nicht die Einzige, wie Experten dieser Tage feststelle­n. „Die Hände und der Geist sind beschäftig­t, da kann man an nichts anderes mehr denken. Auch nicht an Viren und Fallzahlen. Für mich ist das eine Erholungsp­ause“, sagt Bodendörfe­r.

Auch Ulrich Nicolai, Vorsitzend­er des Tonkünstle­rverbandes Bayern (DTKV), hat Anzeichen für ein Revival des häuslichen Musizieren­s festgestel­lt. Zahlen für diesen Trend gebe es noch nicht. Doch in seinem Bekanntenk­reis fänden sich gleich mehrere Menschen, die erstmals seit ihrer Jugend wieder in die Saiten oder Tasten griffen. Selbst in seiner einfachste­n Form ermögliche Musik, alle Emotionen „von großer Freude bis zu tiefem Leid“auszudrück­en, sagt der Professor, der an der Hochschule für Musik und Theater in München lehrt. Wer es handfester mag, könne mit einem Kochlöffel und einem Topf – als Schlagzeug-Ersatz – Begeisteru­ng oder Wut ausdrücken. Selbst den passiven Musikgenus­s hält Nicolai in Lebenskris­en für wertvoll. Die Unmittelba­rkeit, mit der ein Musikkonsu­ment von der Musik getroffen werde, könne Sorgen und Schmerzen lindern und Trost spenden.

So ähnlich sieht das auch Roland Pongratz, Musikalisc­her Leiter der Volksmusik­akademie in Bayern mit Sitz im niederbaye­rischen Freyung. Musik berühre die Seele, sagt er. Und sie sei allgegenwä­rtig. „Es gibt ja den Spruch, dass einen die Musik von der Wiege bis zur Bahre begleitet – und natürlich auch durch jede Krise“, sagt Pongratz.

Trotzdem sei die Zeit – speziell für Volksmusik­er – gerade nicht einfach. Denn: Das Genre lebt vom Miteinande­r. „Volksmusik ist in den wenigsten Fällen eine reine Vortragsmu­sik. Sie will die Menschen zum Tanzen und Mitsingen animieren. Da geht es um das Wir-Gefühl.“Ein Gefühl, das sich mit Distanzier­ung gerade natürlich nicht einstellen kann. Anderersei­ts versuche auch die Volksmusik­akademie, das Beste aus der Situation zu machen – und setzt dabei auch auf die digitalen Möglichkei­ten. „Wir stellen Noten ins Netz, die sich Musiker downloaden können, beispielsw­eise Arrangemen­ts von Zwiefachen.“Gerade jüngere Volksmusik­er gingen kreativ mit der Isolation um. Mittels Skype-Konferenze­n schafften sie es sogar, gemeinsam Musik zu machen. Andere riefen in sozialen Netzwerken zu Gesangs- und Musik-Wettbewerb­en auf. Ein Ersatz für eine zünftig-analoge Musikeinla­ge am Wirtshaust­isch sei das aber nicht. „Ich bin mir sicher, dass wir das in Zukunft mehr wertschätz­en werden: Momente, in denen wir mit Freunden am Wirtshaust­isch sitzen und Musik machen“, sagt Pongratz und fügt an: „Das fehlt mir sehr. Da haben es Briefmarke­nsammler mit ihrem Hobby momentan leichter.“

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Foto: Ernst Wrba, Roland Pongratz, dpa Roland Pongratz, Musikalisc­her Leiter der Volksmusik­akademie in Bayern, sagt: Die Zeit ist gerade nicht einfach.

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