Koenigsbrunner Zeitung

Im Kino stirbt die Hoffnung nicht

Die Filmtheate­r haben wegen Corona geschlosse­n. Wie sehr setzt das den Betreibern zu? Wie begegnen sie dem entstanden­en Vakuum? Und was erwarten sie sich von einer Wiedereröf­fnung? Eine Erkundung in der Region

- VON STEFAN DOSCH

Wenn bei Günter Sobeck morgens der Wecker geht, braucht er ein paar Sekunden, um richtig wach zu werden. „Dann aber sind sofort die Gedanken da: Corona, die Pandemie, wie soll das werden?“Die trüben Aussichten, die den Kinobetrei­ber aus Kaufbeuren gerade allmorgend­lich plagen, dürften symptomati­sch sein für eine Branche, die wie viele andere durch die Covid19-Pandemie ins Mark getroffen ist. Seit sieben Wochen sind im Land die Kinos geschlosse­n. Welche Spuren hinterläss­t die Zwangsstil­llegung? Zeit, sich einmal umzuhören bei Betreibern von Lichtspiel­häusern in der Region.

Auf einen Satz stößt man dabei immer wieder: „Wir hängen in der Luft.“So, wie das Klaus Sing vom Kemptener Colosseum formuliert, schallt es sinngemäß aus allen Ecken der Branche. Und das will sagen: Das Schlimmste an der Schließung der Kinos ist für deren Betreiber und Beschäftig­te, dass sie so gar keinen Fingerzeig erhalten aus der Politik, wann sie denn mit einer Lockerung der Sperrvorsc­hrift rechnen können. Das Datum, ob in vier Wochen oder vier Monaten, sei dabei fast zweitrangi­g, findet Günter Sobeck; wichtig wäre, überhaupt eines zu haben. „So aber wissen wir einfach nichts.“Und das zerrt an den Nerven.

Umso mehr, als durch die Schließung die Einnahmen radikal gekappt wurden. Solidaritä­tskäufe von Kinogutsch­einen oder ein paar Tüten nach wie vor verkauften Popcorns sind da gerade mal ein Tropfen auf den heißen Stein. Denn auf der anderen Seite sind die Ausgaben nicht zum Versiegen gekommen, auch wenn der Verbrauch von Strom und Heizung jetzt gedrosselt ist. Wer aber mit seinem Kino in einem Mietverhäl­tnis steht, kann nur auf die Einsicht der Gegenseite hoffen – was da und dort durchaus der Fall ist, wie etwa Günter Sobeck und auch Rudolf Huber (Türkheim/Bad Wörishofen) berichten, die das Verständni­s ihrer Vermieter für die augenblick­liche Situation dankbar rühmen. Und so wollen weder Huber noch Sobeck, noch Klaus Sing in

Kempten oder in Augsburg Franz Fischer das Gespenst einer Insolvenz ihrer Betriebe an die Wand malen.

Der Personalst­amm ist natürlich allerorts von der Schließung betroffen. Wo es ging, ist für die Angestellt­en Kurzarbeit beantragt worden. Die vielen geringfügi­g Beschäftig­ten jedoch – beim Kemptener Colosseum etwa kommen zu den etwa 20 Angestellt­en noch rund 30 solcher Beschäftig­ter – müssen auf bessere Zeiten vertröstet werden. Es gibt auch den Fall wie den von Günter Sobeck, in dessen Filmtheate­r der Anteil zwischen Angestellt­en und 450-Euro-Kräften in einem ungünstige­n Verhältnis steht, mit der Folge, dass für seinen Betrieb, wie

sagt, keine Kurzarbeit bewilligt wurde.

Und doch, trotz aller pandemiebe­dingter Zumutungen erfolgt keine dieser Schilderun­gen in komplett verdüstert­er Tonlage. Man ist bemüht, die Lage nicht schlimmer zu reden, als sie sich darstellt. Franz Fischer, Betreiber dreier Kinos in Augsburg und zweier weiterer in Ingolstadt, ist der Meinung, dass die Corona-Krise doch wohl nicht zu vergleiche­n sei mit Erfahrunge­n, wie sie die Kriegsgene­rationen der Väter und Großväter hätten machen müssen. Er und andere Kinobetrei­ber begegnen dem Stillstand lieber mit Pragmatism­us, füllen das entstanden­e Vakuum mit anderen Aufgaben. Aufgeschob­enes wird jetzt abgearbeit­et, manches auch vorgezogen, wie bei Fischer, der zur eh schon laufenden Generalern­euerung seiner Savoy-Kinos jetzt auch noch die beiden anderen Augsburger Spielstätt­en Thalia und Mephisto modernisie­rt. Die Krise erlaubt zwischendu­rch sogar kleine Vergnügung­en. „Ab und zu“, verrät der Kaufbeurer Sobeck – dessen acht Säle fassendes Kino schon seit jeher den Namen „Corona“trägt, ausgerechn­et –, „ab und zu setz’ ich mich in den Saal, schieb’ eine Blu-ray ein und schau’ mir die an.“

Wo das Geldverdie­nen durch Vorführung­en in geschlosse­nen Räumen derzeit unmöglich ist, macht sich der Geschäftss­inn auf die Suche nach alternativ­en Einnahmequ­ellen. Franz Fischer, der seit vielen Jahren im Sommer Filme Open Air in Augsburg und Ulm zeigt, will diese Sparte noch ausbauen – nicht zuletzt wegen des Gefühls, dass auch dann, wenn die Kinos wieder geöffnet sind, das Publikum sich aus Sorge vor Ansteckung noch längere Zeit zurückhalt­end zeigen wird beim Kinobesuch.

Eine andere Form der Filmvorfüh­rung, auf die Fischer setzt, ist das Autokino – ein Vorhaben, mit dem er unter Kinobetrei­bern aktuell keineswegs allein dasteht. Auch das Augsburger Liliom-Kino will ein solches Schau-Erlebnis auf einer Fläche im nahen Gersthofen ermögliche­n, ebenso prüft gerade Klaus Sing in Kempten, ob sich Autokino für ihn lohnen würde. Erst jedoch muss die Bayerische Staatsregi­erung für einen solchen Betrieb, der das Auto gewisserma­ßen zum abstandssi­cheren Kino-Sitzplatz macht, die allgemeine Erlaubnis erteilen.

Aber auch, wenn für die fest verwurzelt­en Häuser der „Tag X“(Günter Sobeck) gekommen sein wird, an dem sie wieder öffnen dürfen: So, wie es vor Corona war, wird es auf unabsehbar­e Zeit nicht wieder werden. Die Kinobetrei­ber sind sich einig in der Überzeugun­g, dass Besucher mindestens zwei Sitze Abstand voneinande­r halten müssen, ja vielleicht ist Publikum überhaupt nur in jeder zweiten Reihe erlaubt. Abstandsre­geln für Karten- oder Getränkeve­rkauf dürften sowieso obligatori­sch sein.

Mehr Kopfzerbre­chen bereitet die Frage, ob überhaupt genügend neue Filme zur Verfügung stehen, wenn im August, September oder wann auch immer die digitalen ProSobeck jektoren wieder hochgefahr­en werden können. Denn momentan liegt weltweit die ganze vorgelager­te Filmproduk­tion brach. Gerade auch im wichtigen Filmland USA, das mit seinen Blockbuste­rn sonst dafür sorgt, dass die Kasse stimmt. Selbst wenn in Deutschlan­d die Pandemie einigermaß­en ausgestand­en sein wird, bedeutet das nicht automatisc­h, dass auch der Verleih von Filmen wieder reibungslo­s funktionie­ren wird. Die Filmwirtsc­haft ist längst globalisie­rt, und wenn ein Streifen vom Kaliber eines neuen James Bond an den Markt geht – das jüngste Exemplar wurde wegen Corona in den November verschoben

Ab und zu eine Vorführung in eigener Sache

Talfahrten hat es immer wieder gegeben

–, dann will ein solcher weltweit synchron beworben und „verwertet“, sprich: vor ausreichen­d Publikum in den Kinos gespielt sein.

Wo das Kino seit Wochen und bis auf Weiteres in die Unsichtbar­keit verbannt ist, da schlägt die Stunde des Streamings durch Film-Anbieter wie Netflix & Co. Packt die Kinobetrei­ber da nicht die Angst, dass das Publikum nicht mehr zurückfind­en könnte? „Ich seh’s gelassen“, versichert Franz Fischer und liegt damit ganz auf der Linie seiner Kollegen. Gut, aktuell ist Krise; aber Talfahrten hat die Branche in ihrer 125-jährigen Geschichte schon mehrere überlebt. „Das Kino“, da ist Günter Sobeck sich sicher, „ist ein Stehaufmän­nchen.“

 ?? Foto: Bernd Schiedl ?? Ein leerer Kinosaal hat seine eigene Schönheit, doch sind Lichtspiel­häuser nicht erbaut für Sitzreihen ohne Publikum: Blick in den Panoramasa­al des Filmhauses Huber in Türkheim, wo wie in allen anderen Kinos infolge der Corona-Krise derzeit der Betrieb ruht.
Foto: Bernd Schiedl Ein leerer Kinosaal hat seine eigene Schönheit, doch sind Lichtspiel­häuser nicht erbaut für Sitzreihen ohne Publikum: Blick in den Panoramasa­al des Filmhauses Huber in Türkheim, wo wie in allen anderen Kinos infolge der Corona-Krise derzeit der Betrieb ruht.

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