Koenigsbrunner Zeitung

Der Sport hatte sie längst zum Krüppel gemacht

- VON ANDREAS KORNES ako@augsburger-allgemeine.de

D er große Sport fängt da an, wo er längst aufgehört hat, gesund zu sein.“Diese Erkenntnis des Schriftste­llers Bertolt Brecht ist genauso alt wie richtig. Hochleistu­ngssport nennen wir, was Menschen treiben, um Olympiasie­ger oder Weltmeiste­r zu werden. Sie setzen ihren Körper im Training extremen Belastunge­n aus, die extreme Anpassungs­reaktionen provoziere­n. Dabei neigt der menschlich­e Körper zur Faulheit. Er will Energie sparen. Muskeln sind Energiefre­sser, nur widerwilli­g werden sie aufgebaut. No pain, no gain – heißt ein beliebter Spruch in Athletenkr­eisen. Kein Schmerz, kein Ertrag.

Schmerzen gehören also dazu, wenn es einer zu etwas bringen will im Sport. Was liegt da näher, als diesen Schmerz zu lindern? So war es auch bei Birgit Dressel. Die ehrgeizige Siebenkämp­ferin wäre am 4. Mai 60 Jahre alt geworden. Sie starb am 10. April 1987 in der Universitä­tsklinik Mainz.

Der Spiegel gelangte einige Monate nach Dressels Tod an das rechtsmedi­zinische Gutachten. Wer es liest, dem graust. Mehr als 100 Medikament­e – darunter auch Anabolika – und rund 400 Injektione­n hatte Dressel in den Monaten vor ihrem Tod eingenomme­n und erhalten. Oft waren es Schmerzmit­tel. Sie machten Training auch dann noch möglich, als der Körper längst eine Pause brauchte. Seit 1981 hatte der umstritten­e Freiburger Sportmediz­iner

Armin Klümper sie betreut. Die über die Einnahmen nicht informiert­en Ärzte in Mainz behandelte­n die extremen Schmerzen (bei der Obduktion stellte sich heraus, dass die Nerven des Rückenmark­s entzündet waren) mit hohen Dosen eines Schmerzmit­tels. Das führte zu einem multiplen Organversa­gen und tödlichen Schock.

All das ist lange her. Ein Schuldiger wurde nie gefunden. Vielleicht gibt es den auch gar nicht. Einiges von dem, was damals noch erlaubt war, ist heute verboten. Die Medizin hat sich weiterentw­ickelt. Geblieben sind der Ehrgeiz und der Schmerz, den es zu überwinden gilt – und damit auch die Verlockung. Hier ein Pülverchen, dort eine Tablette. Das meiste davon ist unnützes Zeug, sagen Doping-Experten wie der Pharmakolo­ge Fritz Sörgel. Der Weg zum Doper ist aber ein schleichen­der. Und er beginnt mit einem harmlosen Pülverchen.

Dressel, so schrieb der Spiegel damals, sei „eine chronisch kranke, mit hunderten von Arzneimitt­eln vollgepump­te junge Frau“gewesen. Der Sport habe sie längst zum Krüppel gemacht, ihre Gelenke zerstört, die inneren Organe vor der Zeit zerschliss­en. Sie wurde 26 Jahre alt.

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Foto: dpa Siebenkämp­ferin Birgit Dressel starb im Alter von 26 Jahren.
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