Der Räuber, der auf Schalke stürmte
Wie aus dem Fußballprofi Willi Kraus ein Berufsverbrecher wurde, der auch Banken überfiel. Noch als er starb, war der Staatsanwalt hinter ihm her (Teil 19)
Der Berufsverbrecher saß auf der Anklagebank und erinnerte sich an seine Zeit als Fußballer. „Mit meinen Toren habe ich den Abstieg von Schalke verhindert“, erzählte Willi Kraus, bevor er 1998 in Essen zu fünf Jahren Haft verurteilt wurde.
Die Bild-Zeitung berichtete großflächig über den „Gangsterkönig“, der 20 Jahre seines Lebens hinter Gittern verbrachte. Die ersten Schlagzeilen hatte Willi Kraus auf den Sportseiten geschrieben, doch auf dem Weg zum Star bog er falsch ab. Zwischen 1966 und 1968 erzielte der bullige, furchtlose Mittelstürmer 16 Tore für die Königsblauen, die damals schwer um den Klassenerhalt zu kämpfen hatten. 36000 Zuschauer jubelten ihm am 2. Dezember 1967 in der überfüllten Glückaufkampfbahn zu, als er sein größtes Spiel machte: Zwei Tore steuerte der 24-Jährige zum 3:0 gegen den Hamburger SV bei, mancher Experte bescheinigte ihm das Zeug zu einer internationalen Karriere. „Ein Kerl wie ein Baum, ein frecher Hund, unerschrocken und torgefährlich“, beschrieb ihn sein inzwischen verstorbener Mitspieler, der langjährige Bundesligatrainer Friedel
Rausch, „ein echter Draufgänger – aber leider nicht nur auf dem Rasen“.
In seiner Heimatstadt Essen hatte Kraus Elektriker gelernt, in der Schalker Jugend – zusammen mit „Stan“Libuda – gespielt und bei Tennis Borussia Berlin den Durchbruch geschafft; für eine Ablöse von 50000 DM holte Schalke ihn zurück und glaubte bald mit einigem Recht, ein Ass gezogen zu haben. Doch Kraus verkehrte gern in der Halbwelt des Ruhrgebiets und geriet an falsche Freunde. Lange hielt der damalige Präsident Günter Siebert die Hand über den Torjäger. Damit traf der hemdsärmelige Klubchef wohl auch die Haltung vieler SchalkeFreunde. Einer schrieb in einem Leserbrief an das Sport-Magazin, das über die Eskapaden von Kraus berichtet hatte: „Lieber ein schwarzes Schaf im Stall als nächstes Jahr Regionalliga spielen.“
Im Februar 1968 allerdings war Schluss mit Kraus in Königsblau: Sie entließen ihn fristlos, weil er mit seinen Kumpanen die Espresso-Bar des Ex-Schalkers Günter Herrmann demoliert hatte. Regionalligist Eintracht Gelsenkirchen gab ihm eine Bewährungschance und einen Vertrag für die Regionalliga-Saison 1968/69, doch nach einem Banküberfall war endgültig Schluss mit dem Fußball. Am 31. Januar 1969 beraubte Kraus mit einem Komplizen eine Bank in Bramsche bei Osnabrück; in der Gegend war er schon zuvor an Einbrüchen beteiligt gewesen. Von einer Putzfrau, mit deren Mann er die Zelle im Gefängnis geteilt hatte, besorgte er sich den Schlüssel zur Bank und wartete frühmorgens im Gebäude. Die Gangster zwangen den Filialleiter und zwei Angestellte, den Tresor zu öffnen, fesselten und knebelten sie – und flohen mit über 60 000 DM im knallroten Alfa Romeo des Fußballers. Der auffällige Wagen war am frühen Morgen vor dem Haus der Putzfrau gesehen worden – so kam die Polizei schnell auf die
Spur von Kraus. Vor dem Schwurgericht Osnabrück schwieg er beharrlich und verzichtete auch auf sein Schlusswort. Seine Frau brach auf der Zuschauerbank in Tränen aus, als das Urteil verkündet wurde: sieben Jahre Haft. Der Richter, der mit dem Schuldspruch die Fußballkarriere von Kraus endgültig beendete, verriet Jahrzehnte später aus dem Ruhestand mit einem Schmunzeln, dass ihm das Urteil nicht leichtgefallen sei. Er sei immer Schalke-Fan gewesen, „und der Kraus war wirklich ein Klassestürmer. Aber leider…“So wurde aus der Mittelstürmer-Hoffnung endgültig ein Berufsverbrecher. Einbrüche, Erpressung und Drogenhandel – zwei weitere Male wurde Kraus nach schlagzeilenträchtigen Prozessen zu Haftstrafen verurteilt. „Keine Ahnung, was ihn auf die schiefe Bahn gebracht hat“, grübelte Rausch über das Schicksal des früheren Teamkollegen, mit dem er im Trainingslager vor den Spielen das Zimmer teilte. Einmal, so Rausch, habe ihm der Stürmer eine Pistole gezeigt, die er unterm Kopfkissen verbarg.
Eine Gewohnheit, die er offenbar auch als Rentner nicht abgelegt hatte: Als Willi Kraus im Oktober 2008 im Westerwald verstarb, war vor dem Landgericht Essen ein Prozess anhängig gegen den 65-Jährigen – wegen unerlaubten Waffenbesitzes.