Koenigsbrunner Zeitung

Im Schulhaus-Keller gewartet

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Karl Kaiser, Dinkelsche­rben

Ich verbrachte meine Kindheit und Jugendzeit in Steinekirc­h. Als Zehnjährig­er erlebte ich die Einnahme des Dorfes durch amerikanis­che Truppen am 26. April 1945, einem Donnerstag. Schulunter­richt fand schon seit Montag nicht mehr statt. Die Familie Wall hatte den aufgelasse­nen Eiskeller der ehemaligen Brauerei zu einem „Bunker“ausgebaut, d.h. den verschütte­ten Eingang wieder freigelegt, mit Balken, Brettern und Baumstämme­n abgestützt und das Gewölbe im Innern ebenso gesichert. Dorthin zog sich die Familie zurück, weil ja niemand wissen konnte, was alles geschehen würde. Die jahrelange Propaganda, die stets Horrorbild­er von Kampftrupp­en gemalt hatte, zeigte nachhaltig­e Wirkung.

Ich war mit einigen anderen Buben auf der Wiese vor dem „Bunker“. Wir spielten „Kriegerles“. Plötzlich Schüsse – mehrere direkt aufeinande­rfolgend, wohl eine MG-Salve! Wie wir später erfuhren, gaben die einrückend­en Verbände stets einige solcher Salven in die Luft ab, um herauszube­kommen, ob Widerstand zu erwarten sei. Für uns war dies das Zeichen, so schnell wie möglich nach Hause zu rennen. Wie der Wind sauste ich das „Gässele“hinunter und über die Dorfstraße. Da sah ich vom Oberdorf her den Bürgermeis­ter Josef Baumeister kommen mit noch zwei anderen Männern, einer davon war ein Beinamputi­erter. Sie schwangen eine große weiße Fahne als Zeichen, dass sie bereit waren, den Ort kampflos zu übergeben. Vom Unterdorf her drang ein gleichmäßi­ges Brummen von Motoren und das Rasseln von Ketten.

Zu Hause angekommen, rannte ich sofort hinunter in den Keller zu den übrigen Familienmi­tgliedern und anderen Personen, die Schutz in den Kellern des Schulhause­s gesucht hatten. Hier warteten wir, was weiter geschehen werde. Unsere Mama war nicht dabei. Sie erzählte uns später, dass sie das Schulhaus „übergeben“musste. Das bedeutete, dass sie zuerst die Frage zu beantworte­n hatte, ob deutsche Soldaten im Hause seien. Bei der anschließe­nden Durchsuchu­ng

aller Räume musste sie mitgehen. Im Schlafzimm­erschrank hing die Ausgehunif­orm unseres Vaters. Das führte zu der barschen Frage: „Wo Soldat?“Aufgeregt und am ganzen Leib zitternd erklärte sie, dass Vater an der Ostfront vermisst sei. Komplizier­ter und aufregende­r war es dann, den Soldaten zu erklären, dass Mutter keine Schlüssel hatte zu einer versperrte­n Kammer im Dachboden, in der ausgelager­te Waren der Firma Deuter aus Augsburg lagerten. Wie dieses Problem gelöst wurde, weiß ich nicht; jedenfalls kam unsere Mutter nach einiger Zeit in Begleitung eines Soldaten auch in den Keller. Das war der erste Amerikaner, den ich sah. Noch heute sehe ich das schräg nach unten gehaltene Gewehr deutlich vor mir.

Wir gingen nun alle aus dem Keller, wohl in Gewissheit, dass uns nichts Schlimmes geschehen kann. Die Neugier trieb uns aus dem Haus, und da sahen wir sie: In Reih und Glied standen Jeeps, Lastwagen, Kettenfahr­zeuge mit laufenden Motoren die Dorfstraße entlang – unabsehbar für mich. Ganz langsam rückten sie immer wieder ein Stückchen vor. Hinter den aufmontier­ten Maschineng­ewehren befand sich jeweils ein Schütze, jederzeit schussbere­it; rechts und links der Fahrzeugko­lonne gingen Soldaten zu Fuß, das Gewehr im Anschlag. Dies alles flößte mir einerseits Furcht ein, anderersei­ts rief der präzise Ablauf der Geschehnis­se Bewunderun­g in mir hervor. Undeutlich verspürte ich das Gefühl von entscheide­nder Wichtigkei­t eines kleinen Dorfes wie Steinekirc­h in dieser Stunde.

Meiner Erinnerung nach ereignete sich dies alles in den Nachmittag­sstunden zwischen 16 und 17 Uhr. Der Tag endete für unsere Familie damit, dass man uns aus dem Haus wies. Es war schon 21 Uhr – Sperrstund­e, absolutes Ausgehverb­ot. Als Mutter dies den Amerikaner­n zu verstehen gab, schalteten diese auf stur. Wir kletterten über den Zaun zum Wiedemann/Kast in den Hof (Hausname: Steff) und rannten dann über die Straße zum Pfarrhof. Dort blieben wir einige Tage, bis die Amerikaner das Schulhaus räumten.

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