Koenigsbrunner Zeitung

Du kamst nicht mehr heim und ich verstand es nicht

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Erika Fortsmaier, Sulzberg

Hallo Vati, kennst du mich? Weißt du, ich bin deine Tochter Luise, die schwarzhaa­rige mit den grünbraune­n Augen und den roten Wangen. Ich bin im Juni 1939 geboren, war also noch nicht ganz sechs Jahre alt, als dir die Granate ins Herz drang. Ich habe es natürlich nicht verstanden, dass du nie mehr heimkommen würdest, ich weiß nur noch, dass „Tante Hilde“, die Sekretärin aus deinem NSDAPBüro, Mutti einen Brief brachte. Sie sah uns auf der Straße spielen, wir wohnten ja damals noch in der Roseggerst­raße in Murau in der Steiermark, rief uns Kinder zu sich, umarmte uns und sagte, wir müssten jetzt zur Mama immer recht lieb sein, dann ging sie ins Haus.

Kurz darauf hörten wir Mutti laut weinen und liefen hinein. Sie hielt den Brief in der Hand, in dem stand, dass du am 5. April 1945 im Volkssturm­einsatz für den Führer und Großdeutsc­hland den Heldentod gestorben bist. Nichts begriff ich, außer dass Mutti furchtbar traurig war. Klara, die Große, hat mit ihren neun Jahren den Schmerz von Mutti wohl schon eher verstanden, denn sie weinte auch. Stefan war auch noch zu klein, um etwas zu begreifen, und Karola, die Zweijährig­e, saß im Laufstall und Mutti nahm sie auf den Arm und weinte noch mehr. Du kamst nicht mehr heim und ich verstand es nicht.

Ein paar Wochen später, als wir wieder auf der Straße spielten, blieb eine fremde Frau bei mir stehen und fragte mich, wo ich wohne. Ich sollte sie zu meiner Mutter führen. Sie hatte meinen Allgäuer Dialekt erkannt und erfuhr dann von Mutti, dass wir aus Deutschlan­d stammten und, bevor du hierher versetzt worden bist, in Kempten im Allgäu gewohnt hatten.

Und stell dir vor, sie hatte eine Wohnung in Kempten und wollte wieder zurück nach Murau und wir mussten ja sowieso Österreich verlassen, denn wir waren ja Deutsche. Ich weiß das nicht so genau, war ja noch zu klein und leider habe ich später auch nicht nachgefrag­t. Jedenfalls einigten sich die Frauen auf einen Wohnungsta­usch und Ende Mai 1945 verließen wir Murau mit der Eisenbahn, aber nicht im Personenab­teil, sondern im Viehwaggon.

Mutti hat mir die Geschichte viel später mal genauer erzählt, denn ich hatte nur eine verschwomm­ene Erinnerung an diese Fahrt. Jede Person durfte nur drei Gepäckstüc­ke mitnehmen und da wir zu viert waren (Karola wurde nicht mitgezählt, weil sie ja noch ein Kleinkind war), ergab das zwölf. Aber es war nicht angegeben, wie groß oder welcher Art sie sein müssten, und da organisier­te Mutti Luftschutz­kisten mit Holzgriffe­n und packte den nötigsten Hausrat und unsere Anziehsach­en hinein. Die Möbel konnte sie bei einer Spedition zwischenla­gern. Aber als dann der Abreisetag kam und sie mit ihren Kisten am Bahnhof an der Abfahrtsra­mpe stand, hat der Beamte sie zornig angeschrie­n, was sie sich einbilde, sie käme nie und nimmer mit ihren Kisten in den Zug. Mutti ist dann vor ihm auf die Knie gefallen und hat ihn angefleht, sie hätte doch vier Kinder und vor kurzem erst den Mann verloren, da ließ er sich erweichen, aber sie musste alle Kisten alleine aufladen.

Sie wurde vor der Abreise von einer guten Bekannten gebeten, 2000 Reichsmark mit nach Deutschlan­d zu schmuggeln und sie dort an einen Verwandten derselben weiterzuge­ben und du, Vati, kennst ja deine Lilli, sie konnte doch nicht nein sagen. Sie hat die Scheine wasserdich­t verpackt und dann in Karolas Windelhösc­hen versteckt. Aber sie weihte eine befreundet­e Mitreisend­e in ihr Geheimnis ein als der Zug anhielt und sie zum Essenfasse­n aussteigen musste und bat diese, auf uns und auf das Geldpäckch­en aufzupasse­n, sie brächte ihr dafür das Essen mit.

Aber als sie zurückkam, war die

Frau mit dem Geld verschwund­en und Mutti lief verzweifel­t den Zug entlang und suchte in jedem Waggon. Sie hat die Frau auch gefunden und sie angefleht, ihr das Geld wiederzuge­ben, bis diese Mitleid bekam und es ihr aushändigt­e, aber nur gegen ein Schweigege­ld, nachdem sie den Diebstahl zuvor vehement abgestritt­en hatte.

Nach drei Tagen und zwei Nächten kamen wir mitten in der Nacht bei Regenwette­r auf dem Bahnhof in Augsburg an, die Kisten wurden vom Waggon herunterge­worfen. Dabei zerbrach das Geschirr, aber Mutti durfte sie wenigstens bis zum nächsten Tag im Bahnhof einstellen. Wir Kinder wurden dann aufgeteilt und bei ihrer Mutter und ihren Schwestern untergebra­cht, Mutti fuhr nach Kempten, um das mit der Wohnung zu regeln. Irgendwann in diesen Wochen wurden wir vier in einer Behelfskir­che in AugsburgLe­chhausen getauft, weil Mutti wieder zum katholisch­en Glauben übergetret­en war. Sie brauchte viel Kraft und die schöpfte sie aus ihrem wiedergewo­nnenen Glauben. Als sie uns nach einigen Wochen in die Heimat zurückholt­e, war die Wohnung in der Hohen Gasse mit unseren Möbeln eingericht­et, die inzwischen von der Spedition angeliefer­t worden waren.

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