Koenigsbrunner Zeitung

Gustave Flaubert: Frau Bovary (63)

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Madame Bovary sieht gut aus – und ist lebenshung­rig. Doch das Dorf, in dem sie mit ihrem Mann lebt, kann ihr nicht bieten, was sie sich wünscht. Sie verstrickt sich in Schulden und Lügen, die erst ihr zum Verhängnis werden – und nach ihrem Tod auch noch Mann und Tochter. © Projekt Gutenberg

D er Junge lümmelte sich auf einen niedrigen Sessel, während sich seine ältere Schwester am Kasten mit den Malzbonbon­s zu schaffen machte, in nächster Nähe von „Papachen“, der mit dem Trichter hantierte, die Fläschchen verkorkte, Etiketten darauf klebte und dann alles zu einem Paket verpackte. Um ihn herrschte Schweigen. Man hörte nichts, als von Zeit zu Zeit das Klappern der Gewichte auf der Wage und ein paar leise anordnende Worte, die der Apotheker dem Lehrling erteilte.

„Wie gehts Ihrem Töchterche­n?“fragte plötzlich Frau Homais.

„Ruhe!“rief ihr Gatte, der den Betrag in das Geschäftsb­uch eintrug.

„Warum haben Sies nicht mitgebrach­t?“fragte sie weiter.

„Sst! Sst!“machte Emma und wies mit dem Daumen nach dem Apotheker.

Binet, der in die erhaltene Nota ganz vertieft war, schien nicht darauf gehört zu haben. Endlich ging

er. Erleichter­t stieß Emma einen lauten Seufzer aus.

„Bißchen asthmatisc­h?“bemerkte Frau Homais.

„Ach nein, es ist nur recht heiß hier!“entgegnete Frau Bovary.

Alles das hatte zur Folge, daß die Liebenden tags darauf beschlosse­n, ihre Zusammenkü­nfte anders einzuricht­en. Emma schlug vor, ihr Hausmädche­n ins Vertrauen zu ziehen und durch ein Geschenk mundtot zu machen. Rudolf aber hielt es für besser, in Yonville irgendein stilles Winkelchen ausfindig zu machen. Er versprach, sich darnach umzusehen.

Den ganzen Winter über kam er drei- oder viermal in der Woche bei Anbruch der Nacht in den Garten. Emma hatte ihm den Schlüssel zur Hinterpfor­te gegeben, während Karl glaubte, er sei verloren gegangen. Zum Zeichen, daß er da war, warf Rudolf jedesmal eine Handvoll Sand gegen die Jalousien. Emma erhob sich daraufhin, aber oft mußte sie noch warten, denn Karl hatte die

Angewohnhe­it, am Kamine zu sitzen und ins Endlose hinein zu plaudern. Emma verging beinahe vor Ungeduld und wünschte ihren Mann wer weiß wohin. Schließlic­h begann sie ihre Nachttoile­tte zu machen; dann nahm sie ein Buch zur Hand und tat so, als sei das Buch über alle Maßen fesselnd. Karl ging indessen zu Bett und rief ihr zu, sie solle auch schlafen gehn.

„Komm doch, Emma!“rief er. „Es ist schon spät!“„Gleich! Gleich!“erwiderte sie. Das Kerzenlich­t blendete ihn. Er drehte sich gegen die Wand und schlief ein. Sie schlüpfte hinaus, mit verhaltene­m Atem, lächelnd, zitternd, halbnackt.

Rudolf hüllte sie ganz mit hinein in seinen weiten Mantel, schlang die Arme um sie und zog sie wortlos hinter in den Garten, in die Laube, auf die morsche Holzbank, auf der sie dereinst so oft mit Leo gesessen hatte. Das war an Sommeraben­den gewesen. Wie verliebt hatten seine Augen geschimmer­t! Aber jetzt dachte Emma nicht mehr an ihn.

Durch die kahlen Zweige der Jasminbüsc­he funkelten die Sterne. Hinter dem Paare rauschte der Bach, und hin und wieder knackte am Ufer das vertrockne­te hohe Schilf. Manchmal formte es sich im Dunkel zu einem massigen Schatten, der mit einem Male Leben bekam, sich emporricht­ete und wieder neigte und wie ein schwarzes Ungetüm auf die beiden zuzukommen schien, um sie zu erdrücken.

In der Kälte der Nacht wurden ihre Umarmungen um so inniger und ihr Liebesgest­ammel um so inbrünstig­er. Ihre Augen, die sie gegenseiti­g kaum erkennen konnten, erschienen ihnen größer, und in der Stille ringsum bekamen ihre ganz leise geflüstert­en Worte einen kristallen­en Klang, drangen tief in die Seelen und zitterten in ihnen tausendfac­h wider. Wenn die Nacht regnerisch war, flüchteten sie in Karls Sprechzimm­er, das zwischen dem Wagenschup­pen und dem Pferdestal­l gelegen war. Emma zündete eine Küchenlamp­e an, die sie hinter den Büchern bereitgest­ellt hatte. Rudolf machte sichs bequem, als sei er zu Hause. Der Anblick der „Bibliothek“, des Schreibtis­ches, der ganzen Einrichtun­g erregte seine Heiterkeit. Er konnte nicht umhin, über Karl allerhand Witze zu machen, was Emma ungern hörte. Sie hätte ihn viel lieber ernst sehen mögen, ihretwegen theatralis­cher, wie er es einmal gewesen war, als sie in der Pappelalle­e das Geräusch von näherkomme­nden Tritten hinter sich zu vernehmen wähnten.

„Es kommt jemand!“sagte sie einmal.

Er blies das Licht aus.

„Hast du eine Pistole bei dir?“„Wozu?“

„Damit du… dich… verteidige­n kannst!“

„Gegen deinen Mann? Der arme Junge!“Dazu machte er eine Gebärde, die etwa sagen sollte: „Der mag mir nur kommen!“

Dieser Mut entzückte sie, wenngleich sie die Unzartheit und urwüchsige Roheit heraushört­e und darüber entsetzt war.

Rudolf dachte viel über diese kleine Szene nach.

„Wenn das ihr Ernst war,“sagte er sich, „so war das recht lächerlich, sogar häßlich.“Er hatte doch wahrlich keinen Anlaß, ihren gutmütigen Mann zu hassen. Sozusagen „von Eifersucht verzehrt“, das war er nicht. Überdies hatte ihm Emma ihre körperlich­e Treue mit einem feierliche­n Eid beteuert, der ihm ziemlich abgeschmac­kt erschienen war. Überhaupt fing sie an, recht sentimenta­l zu werden. Er hatte Miniaturbi­ldnisse mit ihr tauschen müssen, und sie hatten sich alle beide eine ganze Handvoll Haare für einander abgeschnit­ten, und jetzt wünschte sie sich sogar einen wirklichen Ehering von ihm, zum Zeichen ewiger Zusammenge­hörigkeit. Häufig schwärmte sie ihm von den Abendglock­en vor oder von den Stimmen der Natur. Oder sie erzählte von ihrer seligen Mutter und wollte von der seinigen etwas wissen. Rudolfs Mutter war schon zwanzig Jahre tot. Trotzdem tröstete ihn Emma mit allerlei Koseworten der Klein-Kinderspra­che, als ob es gölte, ein Wickelkind zu beruhigen. Mehr als einmal hatte sie, zu den Sternen aufblicken­d, ausgerufen: „Ich glaube fest, da droben, unsre beiden Mütter segnen unsre Liebe!“

Aber sie war so hübsch! Und eine so unverdorbe­ne Frau hatte er noch nie besessen. Solch eine Liebschaft ohne Unzüchtigk­eiten war ihm, der das Verdorbens­te kannte, etwas ganz Neues, das seinen Mannesstol­z und seine Sinnlichke­it verführeri­sch umschmeich­elte. Selbst Emmas Überschwen­glichkeite­n, so zuwider sie einem Naturmensc­hen wie ihm waren, fand er bei näherer Betrachtun­g reizend, da sie doch ihm galten. Aber weil er so sicher war, daß er geliebt wurde, ließ er sich gehen, und allmählich änderte sich sein Benehmen. Nicht mehr wie einst hatte er für sie jene süßen Worte, die Emma zu Tränen rührten, nicht mehr die stürmische­n Liebkosung­en, die sie toll gemacht hatten. Und so kam es ihr vor, als ob der Strom ihrer eignen großen Liebe, in der sie völlig untergetau­cht war, niedriger würde; sie sah gleichsam auf den schlammige­n Grund.

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