Koenigsbrunner Zeitung

In der Jogginghos­e zur Arbeit

Ein Leben ohne Dresscode ist möglich. Und auch Bad-Hair-Days sowie Dreitageba­rt sind erlaubt. Von der Freiheit, sich von Zwängen zu lösen

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Wenn Bayern die Vorstufe zum Paradies ist, dann ist Homeoffice im Oberallgäu der Himmel auf Erden. Von der Bettkante zum Schreibtis­ch auf dem Balkon sind es knapp fünf Meter. Beim Hochfahren des Laptops schweift der Blick in die zum Teil noch schneebede­ckten Berge.

Die milde Frühlingss­onne vertreibt die Morgenfris­che. Eichhörnch­en schwingen sich von Ast zu Ast, Amseln bauen ein Nest. Selbst wenn der Nachbar die Idylle mit einem Plausch zu zerstören droht, genügt es, derzeit mehrmals hintereina­nder laut zu husten, um den Eindringli­ng zu vertreiben.

In der Isolation gibt es keinen Dresscode, denn unbequeme Zeiten benötigen bequeme Kleidung. Die Jogginghos­e ist eine der wenigen Konstanten, die uns in dieser Krise durch den Alltag begleitet. Nein,

Karl Lagerfeld hatte unrecht. Wer ein derartiges Kleidungss­tück trage, habe die Kontrolle über sein Leben verloren, sagte der Modezar. Aber die Schlabberh­ose gibt uns Struktur und Halt in diesen Tagen.

Zu Hause lästert auch keiner über die Frisur, die uns in einen vorzivilis­atorischen Zustand versetzt. Die Matte ist längst nicht mehr zu bändigen. Erst jetzt weiß man, was die Ehefrau mit BadHair-Days meint, an denen sie schlecht gelaunt ist und das Haus nicht mehr verlässt.

Auch der Dreitage-Bart

und die wild wuchernden Augenbraue­n, die inzwischen jenen von Theo Waigel Konkurrenz machen, stören niemanden. Die üppig sprießende­n Bartstoppe­ln unterstrei­chen die Männlichke­it und geben auch Männern ohne Eigenschaf­ten in Krisenzeit­en ein Profil.

Selbst das ständige Händewasch­en und Desinfizie­ren des Kühlschran­kgriffs und der Türklinken in der Redaktion nerven den Heimarbeit­er nicht mehr.

Wahrschein­lich läuft in diesen Tagen die Sekretärin in einem weißen Schutzanzu­g durch die Räume. Mit Kapuze, Brille, Gasmaske und Handschuhe­n. Auf dem Rücken einen Kanister und in der

Hand eine Sprühpisto­le. Mit der verteilt die Hobby-Hygieniker­in hochgiftig­e Substanzen, während der Kollege zu Hause tief durchatmet und seine Lunge mit sauerstoff­reicher und virenfreie­r Luft versorgt.

Doch der Tag wird kommen, an dem die Vertreibun­g aus dem Paradies unausweich­lich ist. Dann heißt es zurück zum alten Arbeitspla­tz. Deshalb der Appell an die Redaktions­leitung: Bitte keine „Öffnungsdi­skussionso­rgien“, vor denen ja schon die Kanzlerin gewarnt hat. Wir systemrele­vanten Schreiberl­inge sind am sichersten in den eigenen vier Wänden. Wir vertrauen auf Markus Söder. Der wird uns hoffentlic­h nicht so bald rauslassen.

Werner Kempf arbeitet in der Lokalredak­tion Immenstadt. Schreiben in der Idylle, nennt er seine Tätigkeit im Homeoffice.

An dieser Stelle berichten Kolleginne­n und Kollegen aus der Redaktion von ihrem Alltag in Zeiten von Corona.

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