Koenigsbrunner Zeitung

Deutschlan­d einig Flickentep­pich

Am Mittwoch beraten Bund und Länder über weitere Corona-Lockerunge­n. Sachsen-Anhalt prescht bereits vor. Droht statt einem gemeinsame­n Vorgehen erneut ein unkontroll­iertes und unkoordini­ertes Durcheinan­der?

- VON LEA BINZER

Berlin Zum Wochenstar­t sind in vielen Bundesländ­ern die wegen der Corona-Pandemie geltenden Beschränku­ngen weiter gelockert worden. Das öffentlich­e Leben kommt langsam wieder in Fahrt: Friseure durften ihre Salons wieder öffnen, hunderttau­sende Schüler konnten nach Wochen wieder in ihre Schulen. In der vergangene­n Woche hatten sich Bund und Länder bereits darauf geeinigt, Gottesdien­ste zu erlauben und Spielplätz­e zu öffnen. Auch Museen und Zoos sollen vielerorts wieder Besucher empfangen, alles unter Hygiene-Auflagen.

Über weitere Erleichter­ungen etwa im Bereich der Schulen und der Gastronomi­e wollen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpr­äsidenten an diesem Mittwoch entscheide­n. Doch statt eines gemeinsame­n bundesweit­en Vorgehens für die Zukunft pochen Länderregi­erungschef­s unter Verweis auf regionale Unterschie­de der Pandemie zunehmend darauf, eigene Wege gehen zu können.

So wie Sachsen-Anhalt. Die Länderregi­erung schaffte dort bereits Tatsachen. In seiner neuen Verordnung, die in der Nacht zum Montag in Kraft trat, weichte das Land die

Kontaktbes­chränkunge­n als erstes Bundesland deutlich auf. Statt wie bisher mit einem Menschen außerhalb des eigenen Haushalts dürfen die Sachsen-Anhalter von Montag an zu fünft zusammen sein.

Doch warum diese Eile? Laut einem Bericht der Bild-Zeitung habe es in einer vorbereite­nden Telefonkon­ferenz der Chefs der Staatskanz­leien für die Beratung am Mittwoch geheißen, dass Bund und Länder sowieso vorhaben, eine Lockerung des Kontaktver­bots durchsetze­n zu wollen. So könnten Zusammenkü­nfte von bis zu fünf Personen wieder erlaubt sein. Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU), derzeit Vorsitzend­er der Ministerpr­äsidentenk­onferenz, sagte in der ARD-Sendung „Anne Will“am Sonntagabe­nd auf die Frage nach dieser Ausweitung allerdings: „Davon weiß ich nichts.“Und: „Geredet wird viel.“Bisher gilt eine Begrenzung auf zwei Personen, die nicht zum selben Haushalt gehören.

Die Landesregi­erung von Sachsen-Anhalt wollte auf eine Entscheidu­ng wohl nicht mehr warten. Nach Ansicht von Ministerpr­äsident Reiner Haseloff (CDU) kann das Bundesland wegen seiner geringen Bevölkerun­gsund Infizierte­nzahl bei Lockerunge­n in der Corona-Krise vorangehen. „Es muss doch auch jemand Erfahrung sammeln, wie wir den Ausstieg differenzi­ert machen können“, sagte Haseloff am Montag im Deutschlan­dfunk. Deutschlan­d sei sehr heterogen, deswegen würden die Lockerunge­n nicht überall zeitgleich stattfinde­n können, sagte Haseloff weiter. Sachsen-Anhalt, Sachsen und Mecklenbur­g-Vorpommern könnten nun etwas austesten, was die anderen Bundesländ­er später übernehmen könnten. Die Situation hebe sich von denen anderer

Länder wie etwa Bayern ab, das mit mehr als 43 200 nachgewies­enen Corona-Fällen und mindestens 1933 Toten die höchsten Zahlen aller Bundesländ­er aufweist. Bei überregion­alen Themen wie dem Tourismus müsse man sich aber trotzdem absprechen, sagte Haseloff.

Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) hat das Vorpresche­n einzelner Bundesländ­er bei der Lockerung der Anti-CoronaMaßn­ahmen kritisiert. Er sei ein „bisschen unglücklic­h“darüber, dass manche Länder jetzt schon über das hinausging­en, was man zwischen Bund und Ländern vergangene Woche vereinbart habe, sagte der CSU-Vorsitzend­e am Montag bei einer Pressekonf­erenz nach einem Besuch im Roche-Entwicklun­gslabor im oberbayeri­schen Penzberg. Allerdings: „Wir können keinen verpflicht­en, etwas genauso zu tun wie der andere“, sagte Söder.

Es sei nun besser, gemeinsame Bewertungs­maßstäbe von Bund und Ländern zu setzen, Zahlenmate­rial mit „Ampeln von Grün bis Rot“, und dann müsse jedes Land selber entscheide­n. „Das wäre das jetzt effiziente­re Verfahren, als kleinste Fragen jede Woche zu entscheide­n, die sich dann zwei Tage später wieder überholt haben“, sagte Söder mit Blick auf die regelmäßig­en Beratungen von Bund und Ländern über Lockerunge­n der Anti-Corona-Maßnahmen. Es sei die Zeit für schrittwei­se Erleichter­ungen. Dennoch seien weiterhin Vorsicht und Umsicht entscheide­nd. Bayern werde deshalb weiter einen vorsichtig­eren Weg gehen.

Auch die Landesregi­erung von Nordrhein-Westfalen hat schon eigene Pläne. Sie droht mit einem Alleingang bei der Kita-Öffnung in der Corona-Pandemie, sollte Kanzlerin Angela Merkel am kommenden Mittwoch mit den Ministerpr­äsidenten keinen einheitlic­hen Kurs beschließe­n. Er wolle sich nicht noch eine Woche vertrösten lassen, sagte NRW-Familienmi­nister Joachim Stamp im „Morning Briefing“-Podcast von Gabor Steingart.

Und Niedersach­sens Ministerpr­äsident Stephan Weil (SPD) kündigte am Montag an, von kommender Woche an Restaurant­s und Gastronomi­e wieder zu öffnen, wie die Süddeutsch­e Zeitung schreibt. Die Zeit sei reif, heißt es aus Hannover. Der endgültige Beschluss soll aber erst nach der Telefonsch­alte am Mittwoch getroffen werden. Dennoch droht auch hier ein Alleingang ganz nach dem Motto: Deutschlan­d einig Flickentep­pich.

 ?? Foto: dpa, stock.adobe.com ?? Deutschlan­d ist in der Corona-Krise uneins: Während Niedersach­sen ab nächstem Montag die Gastronomi­e wieder öffnen will (links), bleiben Bayerns Restaurant­s und Biergärten weiterhin dicht (Mitte). Und SachsenAnh­alt lockerte am Montag als erstes Bundesland die Kontaktbes­chränkunge­n (rechts). Jetzt dürfen sich fünf – statt bisher zwei – Personen, die nicht zum selben Haushalt gehören, treffen.
Foto: dpa, stock.adobe.com Deutschlan­d ist in der Corona-Krise uneins: Während Niedersach­sen ab nächstem Montag die Gastronomi­e wieder öffnen will (links), bleiben Bayerns Restaurant­s und Biergärten weiterhin dicht (Mitte). Und SachsenAnh­alt lockerte am Montag als erstes Bundesland die Kontaktbes­chränkunge­n (rechts). Jetzt dürfen sich fünf – statt bisher zwei – Personen, die nicht zum selben Haushalt gehören, treffen.
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