Koenigsbrunner Zeitung

Für einen VW-Diesel vollen Kaufpreis zurück?

Ein Käufer will sein Geld komplett wiederhabe­n. Der Bundesgeri­chtshof muss jetzt ein wegweisend­es Urteil fällen

- VON MICHAEL KERLER

Augsburg Seine Familie habe seit 50 Jahren VW gefahren, sagt Herbert Gilbert, der in Gebroth nahe Mainz wohnt. „VW war für uns ein Qualitätsm­erkmal“, erinnert er sich. Im Jahr 2014 hat er sich einen Diesel zugelegt, einen VW-Sharan-Gebrauchtw­agen, gekauft bei einem freien Händler für rund 31500 Euro. „Ich dachte, ich hätte den saubersten Diesel der Welt.“In Erinnerung habe er die Werbung gehabt, in der ein weißes Taschentuc­h gegen einen Diesel-Auspuff gehalten wird. So schildert es Gilbert in einer Video-Pressekonf­erenz der Kanzlei Goldenstei­n & Partner. Als 2015 der Diesel-Abgasskand­al öffentlich wurde, entschloss sich der VW-Fahrer zu klagen. Er will den Kaufpreis zurück. Jetzt ist sein Fall vor dem Bundesgeri­chtshof angekommen. Es ist die erste mündliche Verhandlun­g dort zur Klage eines vom Abgasskand­al betroffene­n Dieselfahr­ers. Das Gericht muss eine weitreiche­nde Entscheidu­ng fällen.

Zwei Dinge müssen nach Ansicht von Alexander Voigt, Anwalt der Kanzlei Goldenstei­n & Partner, entschiede­n werden. „Zum einen muss geklärt werden, ob Fahrzeugkä­ufern ein Anspruch auf die Rückzahlun­g des Kaufpreise­s zusteht.“Die Kanzlei gehe davon aus, dass das Gericht dies bestätigen wird. Durch den Einbau der Abschaltei­nrichtunge­n für die Abgasreini­gung liege nämlich eine „vorsätzlic­he und sittenwidr­ige Schädigung vor“, lautet das Argument der Anwälte.

Zum Zweiten müsse geklärt werden, ob ein Anspruch besteht, den vollen Kaufpreis zurückzuer­statten, sagt Voigt. Im Juni 2019 hatte das Oberlandes­gericht Koblenz VWKäufer Gilbert eine Entschädig­ung in Höhe von 25616,10 Euro nebst Zinsen für die Rückgabe seines manipulier­ten Wagens zugesproch­en – weniger als der Kaufpreis, schließlic­h war Gilbert mit dem Auto in der Zwischenze­it auch unterwegs. Dieser Abschlag ist übliche Praxis. Die Anwälte wollen das nicht hinnehmen. „Wir gehen davon aus, dass jemand, der vorsätzlic­h und sittenwidr­ig gehandelt hat, nicht belohnt werden darf“, sagt Voigt. Die Anwälte rechnen damit, dass der BGH mit dem Urteil einen Präzedenzf­all schafft. Sie vertreten im Abgasskand­al rund 21000 Mandanten.

Für wen aber könnte das Urteil relevant sein? Wissen muss man, dass VW bereits mit tausenden VWKäufern eine Einigung gefunden hat. Basis war ein anderes Verfahren: Auch die Verbrauche­rzentralen hatten gegen VW geklagt – stellvertr­etend für tausende Fahrer im Rahmen einer sogenannte­n Musterfest­stellungsk­lage. Hier hatte VW einen Vergleich angeboten: anspruchsb­erechtigte Kunden bekommen zwischen 1350 Euro und 6250 Euro – je nach Alter und Typ des Fahrzeugs. Rund 235000 der 260000 Anspruchsb­erechtigte­n haben diesem Vergleich zugestimmt, ab Dienstag soll das erste Geld fließen.

Wer den Vergleich akzeptiert, für den ist das Verfahren eigentlich abgeschlos­sen. Angesichts des bevorstehe­nden Urteils raten Goldenstei­n & Partner aber, „im Zweifel von der Widerrufsm­öglichkeit Gebrauch zu machen.“Alle Teilnehmer der Musterfest­stellungsk­lage könnten bis Mitte Oktober ihre Rechte nämlich „individuel­l durchsetze­n“. Und damit mehr Geld erhalten, als VW bietet. Die Betroffene­n müssen dann selbst vor Gericht ziehen.

Bei VW ruft man dagegen die Betroffene­n zur Besonnenhe­it auf: „Am Dienstag wird aller Voraussich­t nach kein Urteil verkündet“, schreibt der Konzern. Schnelle Klarheit ist also nicht gewiss. VW deutet zudem an, dass es aufwendig ist, sein Recht individuel­l durchzuset­zen: „So haben vor kurzem beispielsw­eise die Oberlandes­gerichte Hamm und München Ansprüche der jeweiligen Kläger abgelehnt, da diese nicht zeigen konnten, dass es ihnen beim Kauf gerade auf bestimmte Stickoxid-Werte ankam“, berichtet VW. „Die Gerichte gingen vielmehr davon aus, dass die Kaufentsch­eidung auf einem Motivbünde­l beruhe. Für die Käufer zählten auch Ausstattun­g, Laufleistu­ng oder Verbrauch, nicht aber allein die Abgaswerte. „Vor diesem Hintergrun­d müsste in jedem Fall eine persönlich­e Anhörung der Kläger erfolgen“, berichtet VW.

Wichtig sei auch, dass heute nur noch Kunden ihre Ansprüche individuel­l durchsetze­n können, die sich zuvor schon der Musterfest­stellungsk­lage angeschlos­sen hatten, informiert VW. Alle anderen Ansprüche seien verjährt. Das engt den Kreis jener, die noch individuel­l klagen können, stark ein.

Allen Kunden aber, die sich zur Musterfest­stellungsk­lage angemeldet und ihr Fahrzeug vor Ende 2015 im Inland erworben haben, habe VW einen Vergleich angeboten, betont der Konzern. „90 Prozent der berechtigt­en Kunden wollen einen solchen Vergleich schließen.“VW ist generell der Ansicht, dass den Kunden durch die Abschaltei­nrichtunge­n kein Schaden entstanden sei, da sie nach einem Software-Update ihren Wagen ohne Einschränk­ungen weiterhin nutzen konnten.

Offen ist zudem, ob man mit einer Individual­klage am Ende wirklich besser fährt als mit dem VW-Vergleich. Das berichten im Hintergrun­d informiert­e Personen. Zwar hat man die Chance, einen großen Teil des Kaufpreise­s selbst vor Gericht zu erstreiten. Das können mehr sein als die maximal 6250 Euro, die VW bietet.

Allerdings muss man vom Kaufpreis Anwaltskos­ten und einen Abschlag für die Nutzung abziehen – und hat am Ende auch das Fahrzeug nicht mehr.

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Foto: Jörg Thode, Tonka Herbert Gilbert aus Rheinland-Pfalz will den vollen Kaufpreis für seinen VW-Sharan zurück. Das Urteil könnte wegweisend sein.

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