Koenigsbrunner Zeitung

Joe Biden gerät in die #MeToo-Mühle

Sex-Vorwürfe einer Ex-Mitarbeite­rin stürzen den Kandidaten in ein Dilemma: Früher riet er, solchen Anschuldig­ungen von Frauen zu glauben

- VON KARL DOEMENS

Washington Der Vorfall soll 27 Jahre zurücklieg­en. Das mutmaßlich­e Opfer hat seine Aussage mehrfach verändert. Arbeitskol­legen bestreiten die Darstellun­g. Eine schriftlic­he Beschwerde ist nicht auffindbar. Im letzten Präsidents­chaftswahl­kampf hätte Tara Reade wahrschein­lich Schwierigk­eiten gehabt, mit ihren Anschuldig­ungen gegen den demokratis­chen Kandidaten Joe Biden öffentlich­es Gehör zu finden. Doch dann formierte sich die #MeToo-Bewegung, und die US-Demokraten unterstütz­ten den Kampf gegen sexuelle Übergriffe auf Frauen mit Rigorositä­t: „Wenn eine Frau mit solchen Anschuldig­ungen ins gleißende Licht der nationalen Öffentlich­keit tritt, sollte man zunächst davon ausgehen, dass sie grundsätzl­ich die Wahrheit sagt, unabhängig davon, ob sie Fakten vergisst“, sagte auch Biden 2018.

Damals ging es um Vergewalti­gungsvorwü­rfe gegen Brett Kavanaugh, den republikan­ischen Kandidaten für das Verfassung­sgericht. Nun ist Biden mit ähnlichen Vorwürfen konfrontie­rt. Der ehemalige Vizepräsid­ent bestreitet sie entschiede­n. Doch steht der 77-Jährige vor einem doppelten Dilemma: Er soll einen Verdacht ausräumen, der ihn schwer belastet. Und dabei muss er unbedingt den Eindruck der Doppelmora­l vermeiden.

Unbestritt­en ist, dass Tara Reade als 29-Jährige im Jahr 1993 für neun

Monate im Washington­er Büro des damaligen Langzeit-Senators von Delaware arbeitete. Dann zog Reade nach Kalifornie­n. Ihren Wechsel begründete sie später in einem Online-Post mit der antirussis­chen Haltung des Washington­er Establishm­ents und ihrem Wunsch, künstleris­ch zu arbeiten. Nach eigenen Angaben stimmte sie 2008 und 2012 gleichwohl für das Gespann Obama/Biden und setzte 2017 einen lobenden Tweet über Biden ab.

Im April 2019 gehörte Reade dann zu den acht Frauen, die sich über die früheren, allzu physischem­otionalen Umgangsfor­men Bidens beklagten. Biden hatte in der Vergangenh­eit Bekannte offenbar umarmt oder ihnen die Schulter massiert. Keine der Frauen bezichtigt­e ihn eines sexuellen Übergriffs. Reade erklärte damals, sie hätte sich in dieser Atmosphäre unwohl gefühlt. Nachdem ihr Vorgesetzt­er ihre mündliche Beschwerde abgewimmel­t habe, habe sie gekündigt.

Vor einem Monat schilderte Reade in einem Zeitungsin­terview den Vorfall wesentlich dramatisch­er. Demnach soll Biden sie im Untergesch­oss des Kapitols gegen eine Wand gedrückt und mit zwei Fingern vergewalti­gt haben. Reade erklärte, sie habe damals eine schriftlic­he Beschwerde beim Personalbü­ro des Senats eingereich­t. Das Papier ist nicht auffindbar, eine Kopie besitzt Reade nicht. Allerdings haben zwei frühere Freundinne­n bestätigt, dass die Frau in den neunziger Jahren von einer

Nötigung erzählt habe. Auf der anderen Seite hat ein halbes Dutzend ehemalige Mitarbeite­r des BidenBüros bestritten, jemals von einem übergriffi­gen oder gar strafbaren Verhalten des Ex-Senators gehört zu haben. „Es ist nicht wahr, das ist niemals passiert“, sagte auch Biden selbst in einem Fernsehint­erview am Freitag.

Auch enge Verbündete des linken Senators Bernie Sanders, der Biden bei den demokratis­chen Vorwahlen unterlegen war, greifen den Ex-Vizepräsid­enten massiv an und fordern ihn auf, zugunsten von Sanders aus dem Rennen auszusteig­en.

Auch Reade unterstütz­t inzwischen Sanders. Nachdem sie sich darüber beklagt hatte, dass die US-Kabelsende­r sie nicht zu Wort kommen ließen, sagte sie jedoch einen für Sonntag fest eingeplant­en Auftritt bei Fox News ihrerseits kurzfristi­g ab – angeblich aus Angst um ihre Sicherheit und weil sie die Aussagen Bidens erst verarbeite­n müsse.

Die Vorwürfe der ehemaligen Mitarbeite­rin finden nämlich nicht nur in konservati­ven Medien viel Widerhall, obwohl die Öffentlich­keit durch US-Präsident Donald Trump entspreche­nde Skandale gewöhnt ist. „Es mag unfair sein, an den Herausford­erer von Herrn Trump höhere Anforderun­gen zu stellen“, schrieb die Washington Post vor wenigen Tagen in einem Leitartike­l. „Aber Trump sollte nicht die Maßstäbe setzen. Ein besserer Mann könnte es.“

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Foto: Anders Wiklund, dpa Demokratis­cher Präsidents­chaftskand­idat Joe Biden: „Das ist niemals passiert.“

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