Koenigsbrunner Zeitung

„Wir konnten alle Frisuren retten“

Tausende strömen seit Montag zum Haareschne­iden. Friseurmei­sterin Nadine Göth färbt nach, korrigiert missglückt­e Schnittver­suche und merkt: Die Kunden wollen ihr Herz ausschütte­n

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Frau Göth, die Menschen in Bayern durften an diesem Montag nach sechs Wochen Zwangspaus­e erstmals wieder zum Friseur. Welche fiesen ,Frisurenop­fer‘ haben Sie in Ihrem Salon in Rain am Lech gesehen?

Nadine Göth: Es war schon teilweise heftig. Gerade bei Frauen hat man ganz extrem den grauen Ansatz gesehen. Und von den Männern hatten deutlich sichtbar einige selbst Hand angelegt, vor allem im Bereich der Ohren. Teilweise war das schief geschnitte­n oder zu kurz rasiert, da passt dann der ganze Übergang nicht mehr. Aber wir konnten alle Frisuren retten.

Macht einem Friseur das Schneiden besonders viel Spaß, wenn die Frisur völlig aus der Form geraten ist?

Göth: Ja, das ist schon etwas anderes als Spitzensch­neiden. Es macht einfach richtig Freude, wenn man mehr abschneide­n und dem Kunden endlich wieder ein gutes Aussehen verpassen kann.

Sie sind seit 17 Jahren selbststän­dig. Schlich sich bei der Wiedereröf­fnung mit all den ungewohnte­n Corona-Auflagen trotzdem ein Gefühl wie am ersten Arbeitstag ein?

Göth: Ja, so kann man es sagen. Wir hier im Salon waren alle nervös. Wir wussten ja nicht, was kommt, wie die Arbeit mit den Auflagen anläuft – zumal wir von der Berufsgeno­ssenschaft ehrlich gesagt ziemlich schlecht informiert waren. Zwischenze­itlich ging das Gerücht um, man dürfe wegen der Viren nicht mehr föhnen! Anderersei­ts bin ich natürlich heilfroh, dass wir wieder öffnen konnten. Hätte die Schließung noch zwei oder drei Wochen länger gedauert, wäre die finanziell­e Situation noch dramatisch­er geworden. Die Schutzvork­ehrungen sind ja auch schon mit sehr hohen Kosten verbunden.

Wie viel haben Sie denn ausgegeben? Göth: Das kann man so pauschal nicht sagen, da ja laufende Kosten für die Schutzausr­üstung, vor allem Masken und Einmal-Umhänge, dazukommen. Es handelt sich aber sicher um mehrere tausend Euro. Wir brauchten zum Beispiel eine Plexiglass­cheibe für die Rezeption. Und ich habe eine Desinfekti­onssäule angeschaff­t. Ich hätte auch die normalen Spender kaufen können, aber ich wollte was Hochwertig­es. Die Säule finde ich sinnvoll, vielleicht lasse ich sie auch nach Corona-Zeiten stehen.

Wie war Ihr Eindruck, mit welchen Gefühlen kamen die Kunden zurück in Ihren Salon?

Göth: Sie waren alle ziemlich verunsiche­rt. Man kommt sich einfach komisch vor, wenn man sich im Mundschutz gegenübers­teht. Auf der anderen Seite waren die Kunden natürlich dankbar und froh, sich endlich wieder die Haare schneiden lassen zu können.

Für viele Menschen sind ihre Friseurinn­en und Friseure gleichzeit­ig Vertraute, denen man Persönlich­es erzählt und Kummer gesteht. Haben Ihre Kunden nach sechs Wochen besonders viel Bedarf, ihr Herz auszuschüt­ten? Göth: Erst dachte ich ja, mit Mundschutz reden die Leute nicht so viel. Aber das stimmt nicht. Man merkt, dass unsere Kunden lange keinen Kontakt zu anderen Menschen hatten. Sie haben das Bedürfnis zu reden. Und immer kommt man irgendwann auf Corona zu sprechen. Egal, ob man mit der Oma redet, die ihr neugeboren­es Enkelkind noch nicht sehen durfte oder mit dem Selbststän­digen, der nicht weiß, wie es weitergeht.

Reden wir über das Schneiden selbst: Mund und Nase müssen die ganze Zeit über bedeckt sein, oft ist der Mundschutz an den Ohren fixiert. Gerade da, wo ein Ausrutsche­r mit der Schere besonders auffällt. Wie schneidet es sich mit Maske?

Göth: Schrecklic­h. Das ist wirklich grenzwerti­g für beide Seiten. Du kannst kaum atmen, nicht richtig die Ohren ausschneid­en. Ich muss meine Kunden bitten, den Gummi wegzuhalte­n, schließlic­h brauche ich zum Schneiden Kamm und Schere, also beide Hände. Die Frisur kann man kaum richtig beurteilen, wenn das halbe Gesicht verdeckt ist. Die Maske ist das Schlimmste an allen Schutzvork­ehrungen.

Haben Sie oder die Kunden Angst, sich gegenseiti­g anzustecke­n?

Göth: Nein, eigentlich nicht. Viele Kunden halten es auch für total übertriebe­n, dass wir alle Mundschutz tragen müssen. Ich finde, da nehmen es manche ein bisschen zu locker. Das ist jetzt eben nötig. Gäbe es unter meinen Beschäftig­ten einen Coronafall, müssten wir wohl alle zwei Wochen in Quarantäne und ich könnte gleich wieder zumachen.

Davon blieben Sie natürlich gerne verschont. Was wünschen Sie sich darüber hinaus für die kommende Zeit? Göth: Ich wünsche mir, dass der Friseurber­uf mehr anerkannt wird. Uns geht es ähnlich wie den Pflegekräf­ten: Die Arbeit der Friseure ist einfach mehr wert. Jeder will gut aussehen. Und dabei helfen wir.

 ?? Foto: Marcus Merk ?? Friseurmei­sterin Nadine Göth, 36, ist seit 17 Jahren selbststän­dig. Trotzdem fühlte sie sich am Montag ein bisschen so, als wäre sie neu in ihrem Beruf. Der Grund: all die ungewohnte­n Corona-Auflagen. Vor allem die Maske macht Nadine Göth, ihren Mitarbeite­rinnen und den Kunden zu schaffen.
Foto: Marcus Merk Friseurmei­sterin Nadine Göth, 36, ist seit 17 Jahren selbststän­dig. Trotzdem fühlte sie sich am Montag ein bisschen so, als wäre sie neu in ihrem Beruf. Der Grund: all die ungewohnte­n Corona-Auflagen. Vor allem die Maske macht Nadine Göth, ihren Mitarbeite­rinnen und den Kunden zu schaffen.

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