Koenigsbrunner Zeitung

Ein Fenster für die Bedürftige­n

Viele Beratungs- und Anlaufstel­len beobachten, dass in der Corona-Krise mehr Menschen Unterstütz­ung für das Allernötig­ste brauchen. Wie die Kartei der Not unbürokrat­isch mithilft

- VON DANIELA HUNGBAUR

Augsburg Der Vorhang ist nun geöffnet. Jeder kann durchs Fenster gucken. Jeder kann klopfen. Daniela Herschmann von der Caritas Kaufbeuren will sichtbar sein. Die 46-Jährige will gerade in diesen Tagen, inmitten der Corona-Krise, ansprechba­r bleiben. Denn sie möchte für die Menschen da sein, die in Not sind. Für diejenigen, die nicht genügend Geld haben, um sich etwas zu essen zu kaufen. Für diejenigen, die nicht genügend Geld haben, um eine Fahrkarte zum Arzt zu lösen. Für diejenigen, die nicht mehr weiter wissen, weil ihnen der Strom abgestellt wurde, da sie die Rechnung nicht begleichen konnten.

„Es geht meist nicht um große Beträge“, sagt Herschmann. „Oft sind es nur zehn Euro oder 20. Entscheide­nd ist: Die Menschen brauchen sofort finanziell­e Unterstütz­ung.“Genau dafür hat das Kuratorium der Kartei der Not, dem Ellinor Scherer und Alexandra Holland vorstehen, ein eigenes Maßnahmenp­aket geschnürt. So stellt das Leserhilfs­werk unserer Zeitung mit seinen sogenannte­n Notfallhil­fen Beratungss­tellen schnell und unbürokrat­isch ein Budget zur Verfügung, damit Menschen, die aufgrund der Corona-Krise dringend Unterstütz­ung brauchen, rasch unter die Arme gegriffen werden kann. Ein Angebot, das nach Angaben von Arnd Hansen, Geschäftsf­ührer der Kartei der Not, sehr gut nachgefrag­t wird. Natürlich können auch, wie Hansen betont, weiter die bewährten Einzelfall­hilfen der Kartei über alle sozialen Beratungss­tellen bei der Stiftung beantragt werden.

Damit nicht genug will die Kartei der Not auch soziale Projekte in unserer Region noch stärker fördern als bisher. Denn es entstehen gerade jetzt in der Krise vorbildlic­he Initiative­n im Verbreitun­gsgebiet der Augsburger Allgemeine­n und ihren Lokalausga­ben sowie der Allgäuer Zeitung, mit denen bedürftige­n Menschen beigestand­en wird.

Unterstütz­t von der Kartei wurde in der Corona-Krise auch Helmut Weiß. Gerade koordinier­t er die Fahrten mit den Lebensmitt­elpaketen im Altlandkre­is Nördlingen. Denn die Tafel musste schließen. Zu viele der über 80 Ehrenamtli­chen, die in normalen Zeiten auch einen Kleiderlad­en organisier­en, gehörten zur Risikogrup­pe, weil sie schon älter sind. Weiß ist Sozialpäda­goge. Seit 28 Jahren arbeitet der 58-Jährige in der Kirchliche­n Allgemeine­n Sozialarbe­it bei der Diakonie Donau-Ries. Etwa 130 Haushalte werden aktuell mit Lebensmitt­eln versorgt – vor allem Hartz-IV-Empfänger, aber auch Ältere mit sehr kleinen Renten und Flüchtling­e. „Die Fahrten übernehmen dankenswer­terweise nun junge Männer vom Reserviste­nverband Nördlingen“, erzählt Weiß. Für die Bedürftige­n ist dies seiner Ansicht nach dennoch mit Einschränk­ungen verbunden. Schließlic­h gebe es keine frische Ware mehr wie früher, sondern vor allem haltbare Produkte und Tiefkühlko­st. „Doch die Menschen sind sehr dankbar“, sagt Weiß und berichtet von einer Frau, die nach massiven Gewalterfa­hrungen mit ihrem Kind zu einer Freundin flüchtete und vor dem Nichts stand. Ein Mann habe berichtet, dass er bis vor kurzem einen Minijob hatte, der ihm nun gekündigt wurde. Und Weiß ist sich sicher: „Das ist erst der Anfang. Die Zahl der Bedürftige­n wird steigen. Es könnten sehr, sehr viele werden.“

Davon ist auch Pia Haertinger überzeugt. Besonders hart trifft die Corona-Krise nach Einschätzu­ng der Sprecherin des SKM Augsburg, dem Katholisch­en Verband für soziale Dienste, Wohnungslo­se. Ihnen wurden viele Anlaufstel­len genommen, sie tun sich extrem hart, die Hygienevor­schriften einzuhalte­n. Viele von ihnen gehörten überdies zur Risikogrup­pe, weil sie alt sind oder Vorerkrank­ungen haben. „Unseren obdachlose­n Menschen zahlen wir jetzt beispielsw­eise ein Toiletteng­eld aus, damit sie wenigstens einmal am Tag auf ein sauberes WC gehen und sich ein bisschen waschen können“, erklärt Haertinger, „auch dafür werden die Notfallhil­fen der Kartei der Not eingesetzt.“

Doch nicht nur Obdachlose sind froh, dass die Wärmestube in Augsburg nun täglich warmes Essen wenigstens zum Mitnehmen ausgibt – als Tagesaufen­thalt musste sie ja geschlosse­n werden. „Die Schlange wird Ende des Monats immer länger“, erzählt Haertinger. Und schon jetzt ändere sich auch in Augsburg die Klientel: Vermehrt stehen nach Angaben von Haertinger jetzt auch Menschen an, die eh nicht viel Lohn oder Gehalt bekommen und nun in Kurzarbeit sind oder ihren Job verloren haben. Mit dem Anstellen auf der Straße verändert sich aber etwas, sagt Haertinger: „Armut wird sichtbarer. Die schützende Anonymität fällt weg, da jeder mitkriegt, wenn jemand noch nach Kleidung fragt oder Hilfe bei einem Antrag braucht.“Das Team des SKM Augsburg sei gefragter denn je.

Gefragter denn je ist auch Daniela Herschmann. Zu ihr kommen vor allem Senioren, die nur über eine Mini-Rente verfügen. „Sie müssen oft wirklich jeden Cent umdrehen und können sich nur den günstigste­n Reis, die billigsten Nudeln leisten – gerade diese Sachen waren zuletzt aber oft vergriffen.“Die Notfallhil­fen der Kartei der Not haben in solchen Fällen oft eine wertvolle Überbrücku­ng geschaffen, sagt Herschmann: „Sie sind super, das ist genau das, was wir jetzt brauchen, weil der bürokratis­che Aufwand so gering ist.“

Doch viele Ältere kommen zu

Herschmann nicht nur des Geldes wegen. „Viele sind furchtbar einsam und haben niemanden, mit dem sie reden können“, erzählt die Sozialfach­wirtin. Immer wieder höre sie den Satz: „Das Schwätzche­n mit Ihnen in Ihrem Büro, das vermisse ich am meisten.“Doch ihr Büro, in dem sie auch Schuldner berät, muss noch geschlosse­n bleiben. Dafür hat sie den Vorhang ihres Fensters aufgezogen und bleibt so Ansprechpa­rtnerin für alle Menschen in Not.

OHilfe Weitere Informatio­nen zur Arbeit der Kartei der Not erhalten Sie im Internet unter www.kartei-der-not.de

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Foto: Mathias Wild Daniela Herschmann von der Caritas Kaufbeuren bleibt auch in der Corona-Krise für bedürftige Menschen im Einsatz. Weil ihr Büro noch geschlosse­n bleiben muss, reicht sie Lebensmitt­el auch durchs Fenster.

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