Koenigsbrunner Zeitung

Der Horror in der Nacht

Jeder zehnte Erwachsene in Deutschlan­d hat regelmäßig Albträume. In schlimmen Fällen entsteht ein Teufelskre­is der Angst. Was man dagegen tun kann

- VON ANGELA STOLL

Aus dem Nichts meldet sich ein unbekannte­r Anrufer und überbringt eine knappe, grausame Nachricht: Die Schwester ist tot. Sie ist plötzlich an einer ominösen, schweren Krankheit gestorben. Entsetzen und Trauer machen sich breit. Was wird jetzt aus ihrer Tochter? Wer überbringt den Großeltern die furchtbare Botschaft? Aber ist das denn wirklich wahr? Langsam kommen erste Zweifel, dann macht sich Gewissheit breit: Alles nur geträumt! Was für eine Erleichter­ung. Und dennoch liegt der böse Traum wie ein Schatten auf dem Tag.

Ängste und Sorgen, wie sie gerade zu Corona-Zeiten viele Menschen befallen, schlagen sich oft in schlechten Träumen nieder. „In akuten Belastungs­situatione­n, etwa auch in Prüfungsph­asen, werden Albträume häufiger“, sagt Dr. Reinhard Pietrowsky, Professor für klinische Psychologi­e an der Uni Düsseldorf. „Auch die jetzige Situation führt zu Belastunge­n.“Angesichts der Bilder von schwer kranken Patienten an Beatmungsg­eräten gehe vielen Menschen die Frage durch den Kopf: Was ist, wenn es mich oder einen Angehörige­n trifft? Dabei sind Albträume keineswegs nur negativ: Sie können den Betroffene­n helfen, ihre Ängste zu erkennen und sich mit ihnen auseinande­rzusetzen.

Albträume entstehen in der REM-Schlafphas­e, also meist in der zweiten Hälfte der Nacht. Das Gehirn ist in dieser Phase hochaktiv, während das motorische System gehemmt ist – eine sinnvolle Einrichtun­g der Natur, da man sonst um sich schlagen und sich verletzen könnte. „Der Einfluss des Frontalhir­ns und damit der Rationalit­ät fällt in der REM-Phase weg“, erklärt Dr. Hans-Günter Weeß, Leiter des Interdiszi­plinären Schlafzent­rums am Pfalzklini­kum Klingenmün­ster. Stattdesse­n sei die Amygdala, ein Emotionsze­ntrum im Gehirn, auffallend aktiv. „Daher sind Träume oft so bizarr und unrealisti­sch“, sagt er. Während Sigmund Freud noch davon ausging, dass Träume Ausdruck unbewusste­r Triebe sind, findet heute die Kontinuitä­tshypothes­e prominente Vertreter: Sie besagt, dass der Schläfer im Traum das verarbeite­t, was er im Wachzustan­d erlebt hat. Die meisten dieser Träume, nämlich etwa zwei Drittel, sind Weeß zufolge mit negativen Emotionen belegt. Verfolgung, Tod, Gewaltatta­cken, Stürze, Versagensä­ngste, Unfälle und Schamgefüh­le sind die häufigsten Themen, um die Albträume kreisen. Typischerw­eise

wacht man daraus auf und kann sich im Detail an die Horrorszen­arien erinnern.

Fast jeder Mensch träumt gelegentli­ch etwas Schlimmes, Belastende­s. Bei zehn Prozent der Erwachsene­n passiert das sogar regelmäßig, nämlich einmal pro Monat oder öfter. Frauen sind häufiger betroffen: „Das liegt vielleicht daran, dass sie kreativer sind“, sagt Pietrowsky. Grundsätzl­ich neigen nämlich kreative, aber auch ängstliche und emotional labile Menschen eher zu Albträumen. Möglicherw­eise gibt es

eine erbliche Belastung. So berichtet der Schlafexpe­rte Weeß: „Studien deuten darauf hin, dass die Gene eine Rolle spielen könnten.“Bei eineiigen Zwillingen war die Albtraumhä­ufigkeit nämlich ähnlich ausgeprägt, nicht aber bei zweieiigen. Eindeutig bewiesen ist der Zusammenha­ng allerdings nicht. Klar ist dagegen, dass Menschen mit psychische­n Erkrankung­en, etwa Depression­en oder Angststöru­ngen, häufiger Angstträum­e haben als andere.

Ein eigenes Kapitel sind Kinder

und Jugendlich­e: Bei ihnen sind Angstträum­e geradezu normal. So schätzt man, dass jedes zweite Kind zwischen sechs und zehn Jahren zumindest gelegentli­ch Albträume hat. Das hat mehrere Gründe: „Das kindliche Gehirn reift noch aus. Kinder haben zum Beispiel mehr REM-Schlaf“, erklärt Pietrowsky. „Außerdem müssen sie ständig mit neuen Situatione­n zurechtkom­men. Die Träume dienen dazu, solche Probleme zu bewältigen.“

Manche Menschen haben allerdings so oft ausgeprägt­e Angstträua­uch me, dass sie massiv leiden. „Ich habe immer wieder Patienten, die aus Angst vor ihren Träumen nicht zu Bett gehen wollen“, berichtet Weeß. Auch Pietrowsky hat erlebt, wie groß die Not der Betroffene­n sein kann: „Sie kann sogar zu suizidalen Gedanken führen.“So wollte sich eine Patientin, die jede Nacht davon träumte, wie sie ermordet wurde, vom Balkon stürzen. Wer öfters schlecht träumt, kann ein „Angstgedäc­htnis“entwickeln, erklärt der Experte: Bestimmte Bilder, die einem Betroffene­n im Wachzustan­d oder auch beim Schlafen begegnen und an den schlimmen Traum erinnern, können neue Albträume triggern. So entsteht ein Teufelskre­is der Angst, aus dem die Patienten nicht aus eigener Kraft ausbrechen können: Sie sollten Hilfe in Anspruch nehmen – erster Ansprechpa­rtner ist in der Regel der Hausarzt.

Wiederkehr­ende Albträume sind eine typische Folge posttrauma­tischer Belastungs­störungen, wie sie nach schlimmen Erfahrunge­n, etwa einer Vergewalti­gung oder einem Unfall, auftreten können. In diesen Fällen wird nicht bloß das Symptom,

Das motorische System ist sinnvoller­weise gehemmt

Manchmal sind auch Medikament­e die Ursache

sondern die Belastungs­störung als solche behandelt. Oft ist es aber nicht so offensicht­lich, was hinter wiederholt­en Albträumen steckt. Manchmal sind bestimmte Medikament­e schuld: So können zum Beispiel Antidepres­siva, Blutdrucks­enker und Mittel gegen Parkinson Albträume provoziere­n. „Wer Medikament­e nimmt, sollte daher den Beipackzet­tel studieren“, rät Weeß. Abgesehen davon kann auch Alkoholund Drogenkons­um dazu führen, dass man schlecht träumt.

Sind solche Ursachen ausgeschlo­ssen, lassen sich häufige Albträume meist gut mit einer schlichten Methode, nämlich der Imagery Rehearsal Therapy, bekämpfen: Dabei lernt der Patient, den Ablauf seines Traums so zu ändern, dass er ihm keine Angst mehr macht. Er erinnert sich im Wachzustan­d an eines der Horrorszen­arien und erfindet ein neues Drehbuch mit gutem Ende, das er sich immer wieder einprägt. Erwachsene­n hilft es dabei meist, die Handlung aufzuschre­iben, bei Kindern sind dagegen Bilder, in denen sie die Traumszene­n malen, besonders effektiv. „Die Imagery Rehearsal Therapy ist der Goldstanda­rd in der Behandlung wiederkehr­ender Albträume“, sagt Pietrowsky. In der Regel sind dazu nur wenige Sitzungen bei einem Psychother­apeuten nötig. Man kann die Methode aber auch allein ausprobier­en: „Im schlimmste­n Fall ist sie dann nicht so effektiv.“

 ?? Foto: Imago Images ?? Albträume sind ziemlich unangenehm. Suchen sie einen Menschen chronisch heim, dann kann das zu ernsthafte­n gesundheit­lichen Problemen führen.
Foto: Imago Images Albträume sind ziemlich unangenehm. Suchen sie einen Menschen chronisch heim, dann kann das zu ernsthafte­n gesundheit­lichen Problemen führen.

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