Koenigsbrunner Zeitung

Vom Modell Schweden lernen?

Das Land geht in der Corona-Krise einen Sonderweg. Es gab viele Tote. Nun aber auch Lob: von der WHO

- VON ANDRÉ ANWAR

Stockholm Schwedens Sonderweg in der Coronakris­e wurde mit Misstrauen verfolgt. Trotz Pandemie blieben alle Geschäfte, Bars, Restaurant­s, Fitnessstu­dios, Büchereien und sogar einige Kinos geöffnet. Kinder bis zur neunten Klasse konnten in die Schulen gehen, auch die Kindergärt­en waren offen. Nur in Altenheime­n gilt ein Besuchsver­bot. Relativ lange galt die Regel, dass maximal 500 Menschen gleichzeit­ig zusammenko­mmen dürfen, Ende März wurde die Zahl auf im EU-Vergleich großzügige 50 Personen begrenzt.

Das Land setzt auf Freiwillig­keit und das Verantwort­ungsbewuss­tsein seiner Bürger. Hände waschen, Abstand halten, daheim bleiben, wenn man sich auch nur leicht krank fühlt oder einer Risikogrup­pe angehört, lauten die dringenden Empfehlung­en. Auch daher ist die Wirtschaft nicht so stark eingebroch­en.

„Schwedens Art zu reagieren kann ein zukünftige­s Modell dafür sein, wie man einer Pandemie begegnet“, lobt nun WHO-Nothilfedi­rektor Michael Ryan. „Es herrscht die Auffassung, dass Schweden keine Kontrollma­ßnahmen ergriffen und nur die Ausbreitun­g der Krankheit zugelassen hat. Nichts ist aber weiter von der Wahrheit entfernt“, betont er. „Die Behörden“hätten sich dabei aber auf ihr gutes Verhältnis zu den Bürgern verlassen.

Tatsächlic­h sind die Schweden extrem pflichtbew­usst. Dringende Empfehlung­en reichen häufig schon aus. Zum Teil geben die derzeitige­n Entwicklun­gen der Regierung recht: Prognosen zufolge könnte Schweden viel schneller als andere Länder eine Herdenimmu­nität gegen Corona erreichen. Alleine in Stockholm sollen bis zu 26 Prozent der Einwohner eine Corona-Infektion durchgemac­ht haben und damit immun sein, schätzt das nationale Gesundheit­samt. Die Zahl der Neuinfizie­rten und Schwerkran­ken auf Intensivst­ationen geht derzeit zurück, ebenso wie die Reprodukti­onszahl, die knapp unter 1 liegt.

Gleichzeit­ig ist die schwedisch­e Regierung bemüht, eine Überlastun­g des Gesundheit­ssystems durch zu viele Corona-Infizierte zu vermeiden. Bis jetzt ist das, ähnlich wie in Deutschlan­d, gelungen. In den vergangene­n Wochen gab es trotz Corona auf den Intensivst­ationen genug freie Betten.

Auf Statistike­n aber kann man sich in Schweden nur beschränkt verlassen. Zuletzt wurde die Zahl der Corona-Infizierte­n mit 22317 angegeben. Doch weil fast nur Schwerkran­ke und Krankenper­sonal getestet werden, ist die Kennziffer nicht aussagekrä­ftig. Stattdesse­n schaut man in Schweden lieber auf die Zahl der Corona-Patienten auf Intensivst­ationen. Die befindet sich seit über einer Woche im Abwärtstre­nd. Zuletzt waren es täglich um die zehn, in Corona-Hochzeiten 40 und 50 neue Einlieferu­ngen von schwerkran­ken Corona-Patienten.

Inzwischen sind in dem Land nach offizielle­n Angaben 2679 Menschen gestorben, die mit dem Coronaviru­s infiziert waren. Berechnet auf die Einwohnerz­ahl sind dies mehr als dreimal so viele Todesopfer wie in Deutschlan­d. Das schwedisch­e Gesundheit­samt aber betont, dass die Werte nicht von Land zu Land vergleichb­ar seien und schon gar nicht an die gewählte Strategie eines Landes gekoppelt werden könnten.

Zuletzt aber gab es Meldungen, dass vor allem die Alten in Schweden schlecht behandelt werden. Die Rede war von über 80-Jährigen, die nicht mehr auf der Intensivst­ation behandelt werden. Klar ist: Vor allem in den schwedisch­en Altenheime­n gibt es große Probleme. Wie die Zeitung DN berichtet, gab es in 541 schwedisch­en Altenheime­n Corona-Fälle oft mit tödlichem Ausgang. „Es ist sehr unglücklic­h, dass es dort schon sehr früh eine große Ausbreitun­g gab“, räumt auch der stellvertr­etende Staatsepid­emiologe Anders Wallensten ein.

Ob das auch an fehlenden Schutzmaßn­ahmen für Senioren liegen könnte? WHO-Nothilfedi­rektor Ryan hält diesen Schluss für falsch. „Eine Reihe von Ländern habe das Gleiche erlebt. Das muss genau untersucht werden.“Zugleich betont er: „Unsere Alten sterben in ganz Europa.“

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Foto: Wiklund, dpa In Schweden sind Cafés trotz der Corona-Pandemie geöffnet.

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