Vom Modell Schweden lernen?
Das Land geht in der Corona-Krise einen Sonderweg. Es gab viele Tote. Nun aber auch Lob: von der WHO
Stockholm Schwedens Sonderweg in der Coronakrise wurde mit Misstrauen verfolgt. Trotz Pandemie blieben alle Geschäfte, Bars, Restaurants, Fitnessstudios, Büchereien und sogar einige Kinos geöffnet. Kinder bis zur neunten Klasse konnten in die Schulen gehen, auch die Kindergärten waren offen. Nur in Altenheimen gilt ein Besuchsverbot. Relativ lange galt die Regel, dass maximal 500 Menschen gleichzeitig zusammenkommen dürfen, Ende März wurde die Zahl auf im EU-Vergleich großzügige 50 Personen begrenzt.
Das Land setzt auf Freiwilligkeit und das Verantwortungsbewusstsein seiner Bürger. Hände waschen, Abstand halten, daheim bleiben, wenn man sich auch nur leicht krank fühlt oder einer Risikogruppe angehört, lauten die dringenden Empfehlungen. Auch daher ist die Wirtschaft nicht so stark eingebrochen.
„Schwedens Art zu reagieren kann ein zukünftiges Modell dafür sein, wie man einer Pandemie begegnet“, lobt nun WHO-Nothilfedirektor Michael Ryan. „Es herrscht die Auffassung, dass Schweden keine Kontrollmaßnahmen ergriffen und nur die Ausbreitung der Krankheit zugelassen hat. Nichts ist aber weiter von der Wahrheit entfernt“, betont er. „Die Behörden“hätten sich dabei aber auf ihr gutes Verhältnis zu den Bürgern verlassen.
Tatsächlich sind die Schweden extrem pflichtbewusst. Dringende Empfehlungen reichen häufig schon aus. Zum Teil geben die derzeitigen Entwicklungen der Regierung recht: Prognosen zufolge könnte Schweden viel schneller als andere Länder eine Herdenimmunität gegen Corona erreichen. Alleine in Stockholm sollen bis zu 26 Prozent der Einwohner eine Corona-Infektion durchgemacht haben und damit immun sein, schätzt das nationale Gesundheitsamt. Die Zahl der Neuinfizierten und Schwerkranken auf Intensivstationen geht derzeit zurück, ebenso wie die Reproduktionszahl, die knapp unter 1 liegt.
Gleichzeitig ist die schwedische Regierung bemüht, eine Überlastung des Gesundheitssystems durch zu viele Corona-Infizierte zu vermeiden. Bis jetzt ist das, ähnlich wie in Deutschland, gelungen. In den vergangenen Wochen gab es trotz Corona auf den Intensivstationen genug freie Betten.
Auf Statistiken aber kann man sich in Schweden nur beschränkt verlassen. Zuletzt wurde die Zahl der Corona-Infizierten mit 22317 angegeben. Doch weil fast nur Schwerkranke und Krankenpersonal getestet werden, ist die Kennziffer nicht aussagekräftig. Stattdessen schaut man in Schweden lieber auf die Zahl der Corona-Patienten auf Intensivstationen. Die befindet sich seit über einer Woche im Abwärtstrend. Zuletzt waren es täglich um die zehn, in Corona-Hochzeiten 40 und 50 neue Einlieferungen von schwerkranken Corona-Patienten.
Inzwischen sind in dem Land nach offiziellen Angaben 2679 Menschen gestorben, die mit dem Coronavirus infiziert waren. Berechnet auf die Einwohnerzahl sind dies mehr als dreimal so viele Todesopfer wie in Deutschland. Das schwedische Gesundheitsamt aber betont, dass die Werte nicht von Land zu Land vergleichbar seien und schon gar nicht an die gewählte Strategie eines Landes gekoppelt werden könnten.
Zuletzt aber gab es Meldungen, dass vor allem die Alten in Schweden schlecht behandelt werden. Die Rede war von über 80-Jährigen, die nicht mehr auf der Intensivstation behandelt werden. Klar ist: Vor allem in den schwedischen Altenheimen gibt es große Probleme. Wie die Zeitung DN berichtet, gab es in 541 schwedischen Altenheimen Corona-Fälle oft mit tödlichem Ausgang. „Es ist sehr unglücklich, dass es dort schon sehr früh eine große Ausbreitung gab“, räumt auch der stellvertretende Staatsepidemiologe Anders Wallensten ein.
Ob das auch an fehlenden Schutzmaßnahmen für Senioren liegen könnte? WHO-Nothilfedirektor Ryan hält diesen Schluss für falsch. „Eine Reihe von Ländern habe das Gleiche erlebt. Das muss genau untersucht werden.“Zugleich betont er: „Unsere Alten sterben in ganz Europa.“