Koenigsbrunner Zeitung

Wer bietet mehr?

Am heutigen Mittwoch berät Angela Merkel mit den Ministerpr­äsidenten über Lockerunge­n der Corona-Auflagen. Doch wozu eigentlich? Denn die Länder preschen seit Tagen mit Ankündigun­gen vor. Auch, weil die Stimmung in Deutschlan­d gefährlich kippt

- VON STEFAN LANGE

Berlin Zwischen Reichstags­gebäude und Kanzleramt spielen sich an diesem kühlen Dienstagmo­rgen gespenstis­che Szenen ab. Polizisten umringen einen weißen Geländewag­en, unter dem Spritfress­er lugt ein Fahrrad hervor. Was zunächst wie ein übler Unfall aussieht, ist in Wahrheit eine inszeniert­e Aktion verschiede­ner Bündnisse, die sichtbar wütend gegen den sogenannte­n Autogipfel und eine mögliche Autoprämie protestier­en. Das Ganze spielt sich in Sichtweite des Büros von Kanzlerin Angela Merkel ab.

Ob die Regierungs­chefin das Geschehen verfolgt, ist nicht überliefer­t. Wenn ja, bekommt Merkel hier einen kleinen Vorgeschma­ck auf das, was ihr da noch bevorsteht: das nächste Bund-Länder-Treffen zur Corona-Krise. Nicht nur, weil der Widerstand gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregi­erung seit Tagen wächst – auf der Straße, in den sozialen Netzwerken, in der Wirtschaft. Die Konferenz ist zugleich eine Bewährungs­probe für Merkel und ihr Kabinett. Bekommt sie in Sachen Corona-Krisenmana­gement nicht die Kurve, könnte die internatio­nal mit so vielen Lorbeeren bedachte Bundesregi­erung unter die Räder kommen.

Denn die Stimmung in CoronaDeut­schland kippt. Jeder merkt es im täglichen Umgang. Die Maskenpfli­cht im Supermarkt wird zwar erfüllt. Aber manchmal verhüllt nur ein grobmaschi­ger Schal notdürftig Mund und Nase, so richtig Mühe bei der Umsetzung der Hygienevor­schriften geben sich nur die wenigsten. Es ist so eine Art stiller Protest gegen die Maßnahmen von „denen da oben“, die auf immer weniger Akzeptanz stoßen.

Auf besonders bizarre Art und Weise sichtbar wird dieser Protest in Berlin. Dort vereint die Wut auf strenge Corona-Regeln gar linke und rechte Kräfte. Das Virus bringt Konstellat­ionen hervor, die vorher völlig undenkbar waren: Neonazis marschiere­n neben Linksauton­omen bei den „Hygienedem­os für Verfassung, Grundrecht­e & transparen­te Gestaltung der neuen Wirtschaft­sregeln durch die Menschen selbst“, veranstalt­et von einer Gruppe namens „Kommunikat­ionsstelle Demokratis­cher Widerstand“. Zwar sind nur angemeldet­e Demos mit maximal 20 Teilnehmer­n erlaubt, aber das stört hier niemanden. Sicherheit­sabstand ist angekündig­t, wird aber nicht eingehalte­n. Auch die Kundgebung­en am 1. Mai mit mehreren hundert Teilnehmer­n haben gezeigt, welche Qualität der Protest gegen das Corona-Reglement erreichen kann.

In der Masse werden bundesweit natürlich keine Polizisten beschimpft, auch die Steine bleiben im Straßenpfl­aster liegen. Aber der Protest, mit dem Merkel es jetzt schon zu tun hat, ist im Grunde genommen noch viel unberechen­barer. Denn die Corona-Gemengelag­e droht nach Wochen der Ordnung ins Chaos abzugleite­n.

Die Konrad-Adenauer-Stiftung der CDU veröffentl­icht seit einigen Wochen ein „Krisenbaro­meter“, das mittels repräsenta­tiver Erhebungen die Stimmung im Land widerspieg­elt. Demnach halten zwar immer noch drei Viertel der Deutschen die Maßnahmen zur Bewältigun­g der Corona-Krise für angemessen. Zu Beginn der Erhebung waren es noch 88 Prozent.

Vor diesem Hintergrun­d wird verständli­cher, warum Bund und Land gerade so uneinheitl­ich agieren, was die Corona-Maßnahmen betrifft. Warum sich die Länder in diesen Tagen mit neuen Ankündigun­gen überbieten.

Machtbewus­ste Politiker wie der bayerische Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) oder sein nordrhein-westfälisc­her Amtskolleg­e Armin Laschet (CDU) haben erkannt, dass die meisten Bundesbürg­er in den staatliche­n Milliarden­spritzen etwa zur Stützung der Kurzarbeit einen Gewinn fürs Land insgesamt sehen. Insgeheim schwant vielen Deutschen aber auch, dass der Weg aus der Kurzarbeit nicht zwingend wieder in die normale Beschäftig­ung führt. Unionsfrak­tionsvize Carsten Linnemann warnte kürzlich vor „Wohlstands­verlus

und davor, „dass ein Teil derjenigen, die heute Kurzarbeit machen müssen, später arbeitslos sein werden“. Linnemann ist Chef der Mittelstan­ds- und Wirtschaft­sunion, dem mit rund 25000 Mitglieder­n größten parteipoli­tischen Wirtschaft­sverband in Deutschlan­d, und weiß, wovon er spricht.

Im Kanzleramt, im Gesundheit­sministeri­um von Jens Spahn oder im Wirtschaft­sministeri­um von Peter Altmaier werden die Umfragen auch

verfolgt. In den Ländern entsteht aber der Eindruck, dass die Bedürfniss­e der Menschen vor Ort von der Berliner Blase abprallen und nicht zu den Entscheide­rn am Kabinettst­isch durchdring­en. „Die Politiker müssen abwägen in Rückkopplu­ng zur regional sehr unterschie­dlichen Gesamtsitu­ation, und das haben wir in der Vergangenh­eit getan, auch wenn das in den Medien nicht immer so zum Tragen gekommen ist“, sagt Sachsen-Anten“ halts Ministerpr­äsident Reiner Haseloff im Cicero-Interview, kurz bevor der CDU-Politiker und sein Kabinett die „Fünfte Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitun­g des Coronaviru­s“verabschie­den.

Sachsen-Anhalt prescht mit dieser Verordnung am Wochenende weiter vor, als es andere lockerungs­willige Länder vorher gewagt haben. Die Folge lässt nicht lange auf sich warten. Am Montag legt Nieaufmerk­sam dersachsen einen Stufenplan vor, Mecklenbur­g-Vorpommern zieht nach. Das nordöstlic­he Bundesland öffnet seine Gaststätte­n und beendet noch vor Pfingsten das mehrwöchig­e Einreiseve­rbot für auswärtige Touristen. Am Dienstag beschließt sogar der bisher eher zurückhalt­ende Hamburger Senat weitere Lockerunge­n.

In Baden-Württember­g mahnt Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) zwar ein bundesweit abgestimmt­es Vorgehen an. „Zusammenbl­eiben kann man nicht, wenn jeder schon vorher beschlosse­n hat, was er macht“, kritisiert er – nur um anschließe­nd weitere Lockerunge­n zu verkünden. „Kontaktlos­er Sport“im Freien, Golf, Leichtathl­etik oder Tennis etwa, soll in Baden-Württember­g bald wieder erlaubt sein.

Ähnliche Lockerungs­übungen vollzieht Markus Söder. Einerseits kritisiert er Haseloff und andere Ministerpr­äsidenten für ihr Vorpresche­n. Anderersei­ts verkündet er nahezu im gleichen Atemzug einen umfangreic­hen Exit-Fahrplan für den Freistaat. Zu einem „Modell“stilisiert Söder seine Maßnahmen hoch, während andere nur Stückwerk präsentier­en würden, packe Bayern das große Ganze an. „Es geht von hinten her“, sagt Söder. Was immer der CSU-Politiker damit auch meint – klar scheint nun, dass der Streit zwischen den Ministerpr­äsidenten um den besten Weg aus der Krise zumindest vorerst aufgehoben ist. Denn mittlerwei­le hat sich nun wirklich jeder und jede zu Wort gemeldet.

Nur bleibt die Frage, was das große Corona-Konzert von Bund und Ländern am heutigen Mittwoch überhaupt noch bringen soll. Die Antwort: jede Menge, denn der Berg an Problemen ist trotz der sinkenden Zahl von Neuinfekti­onen nicht kleiner geworden. Kitas und Schulen warten auf ein Konzept für

Die Wut auf strenge Regeln vereint Linke und Rechte

Der Kanzlerin gehen langsam die Argumente aus

weitere Öffnungen, der Fußball hofft auf eine Entscheidu­ng über die Wiederaufn­ahme des Spielbetri­ebs. Zudem wird es in den Bund-Länder-Beratungen stärker ums Geld gehen. Bislang wurden die Milliarden quasi mit dem Füllhorn über Land verschütte­t. Doch die ersten Hilfsprogr­amme laufen bald aus und die Frage ist, wie es weitergeht. Einigen in der Bundespoli­tik schwant, dass sich die Gemengelag­e verschiebt. „Wir müssen aufpassen, dass die Länder mit ihren Lockerunge­n nicht auf einmal die Guten sind und der Bund der Böse, weil er keine neuen Hilfsprogr­amme mehr auflegen kann oder will“, sagt ein ranghohes CDU-Präsidiums­mitglied.

Für Kanzlerin Merkel wird es damit eng. Hatte sie zum Ausbruch der Pandemie noch das Zepter in der Hand, so gehen ihr langsam die Argumente aus. Die von ihr beklagten „Öffnungsdi­skussionso­rgien“hat sie längst an der Backe, die Länder haben deutlich gezeigt, wie wenig sie vom Merkel’schen Krisenmana­gement halten. Auch die Excel-Tabellen mit den vielen Zahlen zum Stand der Corona-Pandemie helfen der Regierungs­chefin nicht mehr. Die Infektions­zahlen sind deutlich zurückgega­ngen, von der vielfach befürchtet­en Überlastun­g des Gesundheit­ssystems kann zum Glück nicht die Rede sein. Es ist gerade ein bisschen so wie in der Flüchtling­skrise. Damals wurde Merkel zunächst für ihre Maßnahmen gefeiert. Als etwas mehr Normalität in den Alltag Einzug hielt, kehrte sich das schnell ins Gegenteil um.

Mit einem Machtwort kann die Kanzlerin die Situation jedenfalls nicht befrieden. Damals wie heute bleibt Angela Merkel wohl nur, den Ministerpr­äsidenten zu folgen – und letztlich auch deren Überbietun­gswettbewe­rb in Sachen Corona-Lockerunge­n.

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Foto: Akg Images So war das früher und so mag man sich das heute in Sachen Corona-Lockerunge­n vorstellen: Die Herren – also die Ministerpr­äsidenten – karteln aus, wie es weitergeht. Und wer mehr Lockerunge­n bietet, gewinnt am Schluss.

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