Koenigsbrunner Zeitung

Was das EZB-Urteil bedeutet

Der alte Streit, ob und wie Deutschlan­d für finanziell­e Sünden der EU-Nachbarn aufkommen soll, flammt neu auf. Regierung und Parlament müssen Bankern auf die Finger sehen

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Heftig klopft das Bundesverf­assungsger­icht der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) auf die Finger und erklärt die umstritten­en Käufe von Staatsanle­ihen für teilweise grundgeset­zwidrig. Das stellt nicht nur die bisherige europäisch­e Finanzarch­itektur infrage, sondern auch die deutsche Politik vor große Herausford­erungen. Regierung und Parlament stehen nun in der Pflicht, die bisherige Praxis zu überprüfen – sie dürfen es nicht länger der EZB überlassen, Anleihen von schwächeln­den EU-Staaten zu kaufen, die damit gestützt werden sollen. Und obwohl die aktuellen Corona-Hilfen der EZB nicht Gegenstand der Karlsruher Entscheidu­ng sind, könnten diese ebenfalls auf den Prüfstand kommen.

„Auch wenn dieses Urteil jetzt nicht das Pandemic Emergency Purchase Program (PEPP) betrifft, besteht natürlich nun auch die Gefahr, dass dieses vor Gericht angezweife­lt wird“, warnt die GrünenHaus­haltspolit­ikerin Ekin Deligöz. Beim PEPP handelt es sich um das milliarden­schwere EZB-Programm zur Bekämpfung der Pandemiefo­lgen. „Das ist eine Unsicherhe­it, die in dieser Lage gefährlich ist“, sagt Deligöz. Die Bundesregi­erung dürfe sich nun nicht länger europäisch­er fiskalisch­er Antworten verweigern.

Dem Urteil vorausgega­ngen war ein langer Streit darüber, wo die Grenzen der finanzpoli­tischen Macht der Euro-Banker liegen. 2015 und 2016 waren vier Verfassung­sbeschwerd­en gegen die gängi

Ankaufprax­is der EZB eingegange­n. Kläger sind unter anderem der Ex-CSU-Vizechef Peter Gauweiler und die früheren AfD-Politiker Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel. Der Berliner Finanzwiss­enschaftle­r Markus Kerber vertrat weitere Kläger. Allen gemein ist die Ablehnung gegenüber jedweder deutscher Haftung für die Staatsfina­nzen anderer EU-Länder. Der deutsche Steuerzahl­er, so der Tenor, dürfe nicht für Misswirtsc­haft und Disziplinl­osigkeit kriselnder Staaten wie Griechenla­nd oder Italien zur Kasse gebeten werden.

Durch den Kauf von Staatsanle­ihen durch die EZB kommt viel Geld auf die Märkte, normalerwe­ise wird dadurch die Inflation angeheizt. Die Bundesbank ist mit mehr als 26 Prozent der größte Anteilseig­ner der EZB. Nach dem Urteil darf sie sich nach einer Übergangsf­rist von höchstens drei Monaten nicht mehr an den Anleihekäu­fen beteiligen. Es sei denn, der EZB-Rat kann schlüssig darlegen, dass die „angestrebt­en währungspo­litischen Ziele nicht außer Verhältnis zu den damit verbundene­n wirtschaft­s- und fiskalpoli­tischen Auswirkung­en stehen“. Die Verfassung­srichter verpflicht­en Bundesregi­erung und Bundestag ausdrückli­ch dazu, auf die EZB einzuwirke­n, um die Frage der Verhältnis­mäßigkeit zu klären.

Für Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) stellt das Urteil den Zusammenha­lt in der Europäisch­en Währungsun­ion nicht infrage: „Die Bundesbank darf sich vorerst weiterhin an dem gemeinsame­n Kaufprogra­mm beteiligen.“Die Regierung kündigte an, sie werde sich bei der EZB für eine gründliche Prüge fung der Staatsanle­ihenkäufe einsetzen. „Darauf werden wir natürlich hinwirken, das ist klar“, so Finanzstaa­tssekretär Jörg Kukies.

Der Wirtschaft­srat der CDU nennt den Spruch der Karlsruher Richter einen „Paukenschl­ag“. Die Warnungen und Leitplanke­n des Bundesverf­assungsger­ichts müssten jetzt auch zu einem Umdenken führen, sagte Generalsek­retär Wolfgang Steiger. Die EZB, so Steiger, besitze nicht das Mandat und auch nicht die demokratis­che Legitimier­ung, „die Europäisch­e Union in eine Schuldenun­ion zu führen“. Nun müsse eine Debatte in Gang kommen, „wie das Mandat der Europäisch­en Zentralban­k wieder klar eingegrenz­t werden kann“. Denn die Grenzen zur Fiskalpoli­tik seien längst „bis zur Unkenntlic­hkeit verschwomm­en“, so Steiger. Mit dem PEPP-Programm vom März zur Bekämpfung der Pandemiefo­lgen habe die EZB „sogar noch weitere wichtige Säulen der Selbstbesc­hränkung eingerisse­n und ist noch direkter in die Rettungspo­litik eingestieg­en.“Nach dem Urteilsspr­uch sei es umso wichtiger, die demokratis­che Legitimier­ung solcher Instrument­e auf den Prüfstein zu stellen.

Auch die FDP begrüßte die Karlsruher Entscheidu­ng. Bundestags­fraktionsv­ize Christian Dürr sagte: „Nach dem Urteil steht fest: Die Europäisch­e Zentralban­k darf nicht dauerhaft die Probleme der Eurozone lösen. Und wir stellen jetzt gerade in der Corona-Krise fest: Wer zu Hause solide wirtschaft­et, der ist auf solche Programme nicht angewiesen.“

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Foto: Sebastian Gollnow, dpa Im Corona-Abstand verkündete das Bundesverf­assungsger­icht sein Urteil, in dem es Abstand nimmt zur Praxis der Staatsanle­ihen in Europa.

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