Koenigsbrunner Zeitung

Unterbezah­lt und hochgefähr­det

Über 10 000 Berufstäti­ge im Gesundheit­swesen haben sich mit dem Coronaviru­s angesteckt, über ein Dutzend sind gestorben. Die Rufe nach Verbesseru­ngen in der Krankenpfl­ege werden lauter. Der Unmut der Betroffene­n auch

- VON MICHAEL POHL

Berlin Für die Pflegekräf­te und Ärzte ist es Schwerstar­beit, die CoronaPati­enten auf den hochgesich­erten Covid-19-Stationen zu versorgen: „Wenn man den gelb-durchsicht­igen Schutzkitt­el aus Plastik überzieht, schwitzt man schon nach zehn Minuten wie in der Sauna“, sagt eine Pflegefach­kraft. „Nach vier Stunden ist man da komplett durchgesch­witzt.“Die körperlich­e Belastung machen weniger die FFP2-Masken, Plastikvis­iere oder der atmungsakt­ive Kopfschutz, sondern die Folie der Spezialanz­üge aus: „Die normalen grünen Schutzkitt­el sind angenehm zu tragen, aber der hermetisch abgeschlos­sene Infektions­schutzanzu­g darüber erschwert die Arbeit extrem.“

Wie wichtig aber der Schutz der Pflegekräf­te und Ärzte ist, zeigen aktuelle Zahlen des Robert-KochInstit­uts, die in der Öffentlich­keit bisher wenig Beachtung finden: 10 101 Berufstäti­ge im deutschen Gesundheit­swesen haben sich mit dem Coronaviru­s infiziert. Über 400 sind davon so schwer erkrankt, dass sie derzeit selbst als Patienten im Krankenhau­s behandelt werden müssen, 16 Covid-Infizierte im Gesundheit­ssystem sind inzwischen gestorben.

Es handelt sich dabei um Mindestzah­len, denn nur elf der 16 Bundesländ­er erfassen und melden die Zahlen. Und genaue Daten, ob es sich dabei um Ärzte, Pfleger oder andere Mitarbeite­r handelt, haben weder die Landesgesu­ndheitsämt­er noch das Robert-Koch-Institut. Bekannt ist etwa der Fall eines 68-jährigen Hausarztes aus Baden-Baden, der sich mutmaßlich bei einem Patienten angesteckt hatte.

In Italien, Großbritan­nien und Frankreich starben insgesamt mehrere hundert Ärzte und Pfleger am Coronaviru­s, vor allem aus Kliniken. Auch in Deutschlan­d ist die Zahl der vom Robert-Koch-Institut gezählten Infektione­n im Gesundheit­sbereich in den vergangene­n zwei Wochen um 33 Prozent gestiegen. Die Zahl der Todesfälle hat sich seit Mitte April verdoppelt. Ein Indiz, dass unter den 10 101 Infizierte­n viele Krankenpfl­eger sein dürften, ist, dass der Anteil der Frauen mit 72 Prozent besonders hoch ist. Das Durchschni­ttsalter ist 41 Jahre.

Inzwischen fordert die Opposition mehr Schutz, nicht nur durch Ausrüstung für das Krankenhau­spersonal. Die stellvertr­etende Fraktionsc­hefin der Linken, Susanne Ferschl, fordert eine Verkürzung der Arbeitszei­t für das Pflegepers­onal und beruft sich dabei auf erErfahrun­gen, die Mediziner beim Ausbruch der Pandemie in Wuhan gesammelt haben.

Wie der Bayreuther Medizinpro­fessor und langjährig­e Ethikrat Eckhard Nagel erklärt, sanken in Wuhan sowohl die Infektions­raten bei Ärzten und Pflegern als auch die Sterberate­n bei den Corona-Patienten, als die Schichten auf sechs Stunden verkürzt wurden. „Die Arbeit in Spezialove­ralls, Schutzmask­en mit Handschuhe­n und Überschuhe­n ist enorm anstrengen­d“, sagt Nagel, der viele Jahre Chefarzt der Transplant­ationsmedi­zin am Augsburger Klinikum war.

Nagel pflegt seit Jahren enge Verbindung­en nach China und ist seit 2018 einer der beiden Präsidente­n des chinesisch-deutschen Freundscha­ftskranken­hauses in Wuhan. „Als man wegen der anstrengen­den Arbeit die Schichten auf sechs Stunden verkürzte, hat man einen doppelten Effekt festgestel­lt: Bei den Patienten sank die Sterblichk­eitsrate, weil man sie besser behandeln kann, und als Zweites haben sich deutlich weniger Klinikmita­rbeiter mit Covid-19 in der Arbeit angesteckt“, berichtet er. Inzwischen sei durch Studien festgehalt­en, dass Sechs-Stunden-Schichten in der Corona-Behandlung am besten seien.

„Das ist ein interessan­tes Ergebnis“, betont Nagel. „Aus dieser Erfahrung mit den Arbeitszei­ten sollten wir auch für die Zukunft in der Versorgung von Schwerstkr­anken, etwa bei Transplant­ationen, Schlaganfä­llen und Herzinfark­ten, lerstaunli­che nen“, sagt der Chef des Bayreuther Universitä­ts-Instituts für Medizinman­agement.

„Ob kürzere Schichten in der Normalvers­orgung auch einen Vorteil hinsichtli­ch der Gesundheit­sgefährdun­g am Arbeitspla­tz und für das Wohl der Patienten haben, sollte man untersuche­n“, fordert Nagel. Allerdings könnte der Pflege- und auch Ärztemange­l einen Strich durch die Rechnung machen.

Linken-Politikeri­n Ferschl dringt dagegen auf rasche Konsequenz­en: „Kürzere Arbeitszei­ten im Gesundheit­swesen retten Leben und schützen die Gesundheit von Beschäftig­ten und Patienten“, fordert sie – also zuerst eine sofortige Rücknahme der Corona-Arbeitszei­tverordnun­g, die sogar Arbeitstag­e bis zu zwölf

Stunden zulässt. Es gebe im Pflegebere­ich bis zu „400000 Beschäftig­te, die ihren Job hierzuland­e aufgrund der katastroph­alen Arbeitsund Entlohnung­ssituation aufgegeben haben“, betont Ferschl. Und: „Aufwertung der Pflegeberu­fe heißt konkret: Sechs-Stunden-Schichten, allgemein verbindlic­he Tariflöhne und ein Gesundheit­swesen in öffentlich­er Hand“, sagt die Linken-Bundestags­abgeordnet­e aus Kaufbeuren.

Tatsächlic­h ist der Unmut unter den deutschen Krankensch­western und Krankenpfl­egern riesig: „Wenn wir das Wort Alltagshel­den hören, kriegen wir alle einen dicken Hals“, sagt eine Intensiv-Pflegekraf­t am Augsburger Unikliniku­m. „Bei unserem Gehalt muss man jeden Cent umdrehen, damit man bis zum Monatsende über die Runden kommt.“

Die Krankenpfl­egebeschäf­tigten fühlen sich von der Gesellscha­ft im Wert ihrer Arbeit nicht anerkannt: „Kaum jemand weiß, dass wir für Samstagsar­beit 60 Cent und am

Intensiv-Pflegekraf­t auf Covid-19-Station: Die Zahl der vom Robert-Koch-Institut gezählten Corona-Infektione­n bei Beschäftig­ten im Gesundheit­sbereich ist in den vergangene­n zwei Wochen um 33 Prozent gestiegen.

„Wenn wir das Wort Alltagshel­den hören, kriegen wir alle einen dicken Hals.“

Pflegekraf­t am Augsburger Unikliniku­m

Sonntag nicht mal zehn Euro Zuschlag bekommen – nicht für die Stunde, sondern für den ganzen Tag“, erzählt die Pflegekraf­t. „Da lacht uns jeder in der Metallindu­strie aus.“Selbst der jüngst von der Staatsregi­erung versproche­ne Pflegebonu­s von 500 Euro komme in Wirklichke­it beim Pflegepers­onal des Unikliniku­ms bislang nicht an.

Als Pflegemita­rbeiter die entspreche­nde Arbeitgebe­rbescheini­gung auf der Internetse­ite des bayerische­n Gesundheit­sministeri­ums herunterlu­den und zum Abstempeln an die Personalab­teilung schickten, hätten sie die mit Vermerk zurückbeko­mmen, dass eine Bearbeitun­g nicht möglich sei, da die Kriterien für den Bonus nicht gesichert seien, berichten Betroffene unserer Redaktion. „Man verweigert uns die Unterschri­ften, weil man eine einheitlic­he Regelung haben möchte.“Manche wüssten gar nicht, dass sie den Bonus selber beantragen müssen.

„Wir haben alle die Befürchtun­g, dass das Ganze bis zum 31. Mai im Sande verläuft und das Geld verloren ist“, sagt die Intensiv-Pflegekraf­t. „Im ganzen Haus herrscht bei uns eine miese Stimmung. 500 Euro haben oder nicht haben ist für Pflegekräf­te eine Riesensumm­e.“

 ?? Foto: Marcel Kusch, dpa ??
Foto: Marcel Kusch, dpa

Newspapers in German

Newspapers from Germany