Koenigsbrunner Zeitung

Trump und die Todeskurve

Präsident will lockern, doch die Spitze der Pandemie kommt erst

- VON KARL DOEMENS

Washington Die rote Kurve auf der Grafik weist nach oben – und steuert auf einen exorbitant­en Spitzenwer­t zu. Doch der sonst rekordsüch­tige US-Präsident wird sich damit nicht brüsten: Die Zahl der täglichen Corona-Neuinfekti­onen in den USA droht bis Anfang Juni von 30 000 auf 200000 hochzuschi­eßen. Während in Deutschlan­d der Trend nach unten weist, haben die mit fast 70000 Toten von der Pandemie ohnehin am stärksten betroffene­n USA das Schlimmste offenbar erst vor sich.

Die Modellrech­nungen in dem vertraulic­hen Regierungs­bericht, an dem das Heimatschu­tzminister­ium und die Gesundheit­sbehörde CDC mitgearbei­tet haben, stehen im Kontrast zur Erfolgsrhe­torik Donald Trumps. „Wir sind auf der richtigen Seite. Praktisch jeder marschiert in die richtige Richtung“, verkündete der Präsident in einer Show seines Haussender­s Fox im Lincoln-Memorial auf der Washington­er Gedenkmeil­e. Auch dabei stachelte Trump die Gouverneur­e an, möglichst bald Strände, Parks und Geschäfte zu öffnen.

Doch nach Einschätzu­ng der Experten sind die von Trumps Regierung selbst formuliert­en Voraussetz­ungen für Lockerunge­n nicht erfüllt. Die Zahl der Neuinfekti­onen pro Tag schwankt um 30000. Anfang April lag die tägliche CovidTodes­zahl konstant über 1000, derzeit kommen täglich fast 2000 Tote dazu. Die neuen Schätzunge­n unterstell­en, dass die Todeszahl durch die überstürzt­e Rücknahme des Lockdowns bis 1. Juni auf 3000 steigt.

„Die Kosten des Kurswechse­ls können an der Zahl der Beerdigung­en gemessen werden“, formuliert die New York Times sarkastisc­h.

Das Weiße Haus wiegelt ab: Die veröffentl­ichte Prognose spiegele nicht die Analysen der CoronaTask­force der Regierung wider. Überprüfba­r ist das nicht, denn zeitgleich hat die Regierung den Mitglieder­n dieses Arbeitssta­bs einen Maulkorb verpasst. Nur mit Genehmigun­g von Trumps Stabschefs sollen sie dem Kongress Rede und Antwort stehen dürfen. Tatsächlic­h hatte sich Immunologe Anthony Fauci wiederholt kritisch zu einer verfrühten Abkehr von der Stay-AtHome-Politik geäußert.

Doch selbst Trump kommt nicht umhin, seine schönfärbe­rischen Erklärunge­n gelegentli­ch der Realität anzunähern. „Es geht in Richtung 50000 oder 60000“, hatte er am 20. April die Todeszahl prognostiz­iert. „Unser Todeszoll pro Millionen Einwohner ist wirklich sehr, sehr solide“, brüstete er sich vorige Woche. Inzwischen sind mehr als 69 000 Menschen ums Leben gekommen. Nun erklärt Trump: „Wir werden irgendetwa­s zwischen 75000 und 100000 Menschen verlieren.“Das sei zwar furchtbar, doch ohne sein entschloss­enes Handeln würde die Zahl viel höher liegen. Das wird sie wohl: Das Institut für Gesundheit­sökonomie der Universitä­t des Bundesstaa­tes Washington erwartet inzwischen 134000 Tote bis August. Dann hätten doppelt so viele Amerikaner wie im Vietnam-Krieg ihr Leben verloren.

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Foto: dpa Am Lincoln-Memorial gab US-Präsident Trump ein TV-Interview.

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