Koenigsbrunner Zeitung

Woher kommen die Billionen?

Die EU sucht nach Finanzieru­ngswegen für die Nach-Corona-Ära. Über Bonds spricht keiner mehr, dem Wiederaufb­au-Fonds droht das stille Aus. Aber wenn der Haushalt aufgepumpt wird, soll es Zweckbindu­ngen geben

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Ursula von der Leyen muss ihren großen Auftritt verschiebe­n. Die Präsidenti­n der EU-Kommission wollte eigentlich am heutigen Mittwoch die Details des milliarden­schweren Wiederaufb­au-(Recovery-)Programms verkünden, auf das sich die Staats- und Regierungs­chefs bei ihrem virtuellen Gipfeltref­fen Ende April geeinigt hatten. „Wir sprechen nicht über Milliarden, wir sprechen über eine Billion“, hatte von der Leyen zunächst verkündet. Doch das Vorhaben wurde von der Tagesordnu­ng der Kommission herunterge­nommen. Mit einem großen Wurf sei „nicht vor dem 20. Mai“zu rechnen, heißt es jetzt hinter den Kulissen in Brüssel. Mehr noch: Die von dem französisc­hen Finanzmini­ster Bruno Le Maire entworfene Idee eines Fonds zur Beseitigun­g der ökonomisch­en Schäden durch den Coronaviru­sStillstan­d scheint vom Tisch. Als Kommission­ssprecher Eric Mamer nun die Verschiebu­ng bestätigte, war plötzlich nur noch von einem „Wiederaufb­au-Instrument“die Rede – ein kleiner, aber feiner Unterschie­d, hinter dem gewaltige Probleme stecken.

Eigentlich sollte der Fonds die von einigen EU-Mitgliedst­aaten geforderte­n Euro-Bonds verhindern, indem die Brüsseler Kommission am Kapitalmar­kt frisches Geld aufnimmt und dann an die Regierunge­n verteilt. Aber: geschenkt oder als Kredit? Über diese Frage gab es im Kreis der Staatenlen­ker lange Diskussion­en, weil vor allem die südlichen Regierunge­n neue Darlehen da diese ihre Staatsvers­chuldung zusätzlich belasten. Reine Transferza­hlungen, die nicht zurückgeza­hlt werden, würden allerdings bedeuten, dass sich die EUKommissi­on selbst verschulde­n müsste. Dies verbieten die geltenden EU-Verträge. Somit bleibt, wenn man gemeinsame Anleihen mit gemeinscha­ftlicher Haftung partout ausschließ­en möchte, eigentlich nur ein gangbarer Weg: Der künftige Haushalt muss deutlich höher ausfallen, damit von der Leyen und ihr Team in den Jahren 2021 bis 2027 genügend Geld haben, um es in die besonders betroffene­n Mitgliedst­aaten zu pumpen. Beim bislang letzten EU-Gipfel in großer Runde im Februar scheiterte eine Einigung aber an der Blockade der sogenannte­n „sparsamen Vier“.

Dazu zählen neben Deutschlan­d die Niederland­e, Österreich und Finnland. Deren Regierunge­n waren nicht bereit, mehr Geld als bisher (rund ein Prozent des Bruttonati­onaleinkom­mens BNE) nach Brüssel zu überweisen. Dann kam das Virus.

Inzwischen gibt es aus Berlin und Den Haag Signale, höhere Zahlungen seien doch denkbar – und zwar dann, wenn das Geld des EU-Etats zweckgebun­den für den Wiederaufb­au verwendet wird. Plötzlich also wird wieder von 1,1 Prozent oder gar 1,3 Prozent des BNE gesprochen, wie es Kommission und EUParlamen­t schon früher vorgeschla­gen hatten. In Zahlen sind das rund 1,3 Billionen Euro für sieben Jahre. Um dies alles ausrechnen zu können, müsste von der Leyen nicht einfach nur mit neuen Summen kalablehne­n, kulieren, sondern vorab zwei wichtige Fragen beantworte­n: „Wie viel soll wie lange wofür genutzt werden?“, so Jens Geier, der Vorsitzend­e der deutschen Sozialdemo­kraten im EU-Parlament. Und: „Wie viel Geld wird eigentlich benötigt?“, wie es ein ranghoher EU-Diplomat ausdrückte. „Denn solange die Pandemie noch andauert und wir nicht wissen, ob es eine zweite oder dritte Welle gibt, kann man seriöserwe­ise keinen Bedarf ermitteln.“

Hinzu kommen Meinungsve­rschiedenh­eiten innerhalb der EUKommissa­rsrunde. Einige, wie der Vizepräsid­ent Frans Timmermans, stehen für eine Aufteilung der zusätzlich­en Mittel: Ein Drittel könnte als Transfer ohne Rückzahlun­g gewährt werden, zwei Drittel verblieben für Kredite. Andere hätten gerne mehr Spielraum für finanziell­e Geschenke. Zudem will man die Sonder-Subvention­en strikt an die Beseitigun­g von Corona-Schäden binden. Geier: „Damit dürfen keine Steuergesc­henke finanziert werden.“Zusätzlich drängen etliche Staaten darauf, die Vergabe an die Beachtung der Rechtsstaa­tlichkeit sowie der demokratis­chen Grundwerte zu binden – eine Forderung vor allem an die Adresse von Polen und Ungarn.

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Foto: dpa Europa braucht für den Wiederaufb­au nach der Corona-Pandemie viel Geld: Es geht um Billionen Euro. Die Suche nach der Finanzieru­ng aber zieht sich hin.

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