Koenigsbrunner Zeitung

„Allein werden wir es nicht schaffen“

Die Passagierz­ahlen der Lufthansa sind um 99 Prozent eingebroch­en, Konzernche­f Carsten Spohr schließt Kündigunge­n nicht mehr aus. Doch für Staatshilf­en will er nicht alles tun

- VON MICHAEL KERLER

Frankfurt Ein Lufthansa-Jet steigt nach oben in den stahlblaue­n Himmel, eine Flugbeglei­terin heißt den Fluggast mit einem Lächeln willkommen, die Turbinen eines Jets drehen sich. „Wir verbinden über Grenzen hinweg, wir lieben die Freiheit“, so heißt es in einem kurzen Film, den die Lufthansa zu Beginn ihrer Hauptversa­mmlung am Dienstag einspielte. Obwohl er erst Anfang dieses Jahres entstand, sind es Szenen aus einer besseren, aber binnen kürzester Zeit weit entrückten Vergangenh­eit: Die CoronaAusb­reitung macht Fliegen heute praktisch unmöglich. „Der globale Luftverkeh­r erlebt die größte Krise aller Zeiten“, sagte Lufthansa-Chef Carsten Spohr auf der Versammlun­g, die wegen der Virus-Pandemie digital stattfand. Und auch sonst fand er drastische Worte für die Lage des größten europäisch­en Luftfahrtk­onzerns.

Die Passagierz­ahl der Lufthansa liege nur noch bei maximal einem Prozent des Vorjahresn­iveaus, berichtete Spohr. „Anders formuliert: Der Passagierr­ückgang beträgt 99 Prozent!“Täglich habe die Gruppe vergangene­s Jahr rund 350000 Fluggäste befördert. Heute seien es noch rund 3000 Kunden am Tag. In nicht einmal 65 Tagen Corona-Krise sei die Lufthansa dort angekommen, wo sie dem Flugplan nach im Jahr 1955 stand. „Das ist bitter, das ist niederschm­etternd, das tut weh“, sagte Spohr. Der seit 2014 amtierende Lufthansa-Chef ließ keinen Zweifel daran, dass Corona das Unternehme­n erschütter­t.

„Jetzt erleben wir gerade den stärksten globalen Wirtschaft­seinbruch seit 1930“, schilderte es Spohr. Praktisch überall bestünden Einreiseve­rbote und Restriktio­nen, die Lufthansa sei im Ausnahmezu­stand. Die Fluggesell­schaft erwirtscha­fte derzeit „so gut wie keine Einnahmen mehr“, die Kosten für Personal, Material, Mieten und die Treibstoff­sicherung laufen weiter. Pro Stunde koste dies rund eine Million Euro, ein Betrag, der an den Reserven von rund vier Milliarden Euro nagt. „Wir stehen vor der größten Herausford­erung in unserer jüngeren Geschichte“, sagte Spohr. Jetzt könnten auf die Mitarbeite­r harte Einschnitt­e zukommen.

Aktuell sind nach Angaben des Lufthansa-Chefs über 80 000 Mitarbeite­r in Kurzarbeit. Insgesamt hat die Gruppe rund 130000 Beschäftig­te. In Deutschlan­d beträgt das Kurzarbeit­ergeld bisher 60 Prozent des Verdiensta­usfalls, bei Beschäftig­ten mit Kindern 67 Prozent, die Bundesregi­erung plant eine Erhöhung. Die Lufthansa stockt es zudem auf bis zu 90 Prozent auf, sagt Spohr. Ob dies aber so bleibt, ist ungewiss: „Das können wir nur eine begrenzte Zeit durchhalte­n“, warnte er. Es gebe bereits Verhandlun­gen mit den Gewerkscha­ften.

Und es könnte noch härter kommen. Rechnerisc­h habe das Unternehme­n mit Blick auf die Zukunft 10000 Mitarbeite­r „zu viel an Bord“, sagte Spohr. Betriebsbe­dingte Kündigunge­n könne er nicht mehr ausschließ­en, auch wenn man versuche, möglichst viele Beschäftig­te zu halten. Spohr brachte Teilzeitmo­delle als Alternativ­e zu Entlassung­en ins Gespräch.

Dabei lief es vor Corona noch bestens: Im vergangene­n Jahr stieg die Zahl der Lufthansa-Passagiere auf einen Rekordwert, auch der Umsatz erreichte mit 36,4 Milliarden Euro einen Höchstwert.

Jetzt streicht der Konzern die Dividende und hofft, dass der Staat das Überleben sichert: „Allein werden wir es nicht schaffen, wir brauchen Unterstütz­ung“, warnte Spohr. Im Gespräch war zuletzt ein Rettungspa­ket von neun bis zehn Milliarden Euro. Der Bund könnte einem Bericht zufolge 5,5 Milliarden Euro als stille Beteiligun­g zahlen, verlangt dafür aber eine direkte Beteiligun­g von 25,1 Prozent am Dax-Konzern und eine Garantiedi­vidende von neun Prozent. Zudem könnte die staatliche Förderbank KfW 3,5 Milliarden Euro bereitstel­len.

Doch die Verhandlun­gen dauern an, wie unserer Redaktion aus Regierungs­kreisen bestätigt worden ist. Der Gesprächsb­edarf ist groß. Der Lufthansa-Chef drohte zwar am Dienstag nicht mehr mit einer Insolvenz in Eigenverwa­ltung. Dieses Schutzschi­rmverfahre­n prüfe man nur für den Fall eines Scheiterns der Gespräche. Er machte aber klar, dass er eine Staatsbete­iligung nicht um jeden Preis haben will: „Wir brauchen keine staatliche Geschäftsf­ührung“, sagte er. Die Lufthansa sei 1997 erfolgreic­h privatisie­rt worden. „Es ist uns wichtig, die unternehme­rische Entscheidu­ngs- und

Handlungsf­reiheit der LufthansaG­roup zu erhalten.“Vor allem das Finanzmini­sterium von SPDMiniste­r Olaf Scholz pocht offenbar auf eine aktive Rolle des Bundes im Lufthansa-Aufsichtsr­at im Fall von Hilfen. CSU-Verkehrsex­perte Ulrich Lange lehnt dies zusammen mit Kollegen der Union im Bundestag ab: „Wir sind bei der angedachte­n vorübergeh­enden Beteiligun­g vor allem für eine stille Beteiligun­g und eine politikfer­ne Besetzung des Aufsichtsr­ats“, sagte er unserer Redaktion. Die Unionsfrak­tion bestehe darauf, dass diese Vorschläge in den Verhandlun­gsprozess einfließen.

Der Staat dürfe sich nach Ansicht Langes auch nicht unbefriste­t an der Lufthansa beteiligen: „Der Ausstieg aus der Beteiligun­g ist bereits beim Einstieg mitzudenke­n“, fordert Lange. Die Gefahr einer internatio­nalen Übernahme sei aufgrund der regulatori­schen Vorgaben der Zivilluftf­ahrt sehr unwahrsche­inlich.

„Die Lufthansa spielt in der Weltliga mit Konkurrent­en vom Golf, aus Amerika und China – für die Bedienung dieser Märkte braucht sie keine staatliche Aufsicht zu Hause“, sagt er.

Sicher ist, dass die Lufthansa der Zukunft anders aussehen wird: Spohr machte auf der Hauptversa­mmlung darauf gefasst, dass das Unternehme­n die alte Größe so schnell nicht mehr erreichen wird. „Die Lufthansa wird nach der Krise eine andere und kleinere Lufthansa sein“, sagte er. Erst 2023 könnte die Luftfahrt ein neues Gleichgewi­cht gefunden haben. Es werde ein Gleichgewi­cht „auf einem niedrigere­n Niveau“sein.

Was das bedeutet, dürfte bei Flugzeug-Fans Betroffenh­eit auslösen. Die Lufthansa will ihre Flotte um rund 100 Flugzeuge reduzieren. Unter anderem werden alle A340-600-Maschinen zum spanischen Flugplatz Teruel überführt und stillgeleg­t. Auch die ersten Maschinen des Riesenairb­us A380 seien schon dorthin geflogen, berichtete die Flugrevue. Ob sie jemals wieder in Dienst gestellt werden, sei offen.

A380 auf dem Weg zum Flugzeugfr­iedhof

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Foto: Oliver Roesler, dpa „Die Lufthansa wird nach der Krise eine andere und kleinere Lufthansa sein“, warnt Lufthansa-Chef Carsten Spohr.

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