Das Messer im Hals
Colm Tóibín und der antike Mythos
Zwar kennt die Antike viele Sagen über Geschwisterzwist und Vatermord, über Rachsucht und Blutbade. Doch die Erzählung um den griechischen König Agamemnon, seine Frau Klytämnestra sowie die Kinder Iphigenie, Elektra und Orestes prägt die abendländische Kultur wie kaum eine zweite. Jener todbringende Duft, der dem Mythos um das Herrscherhaus eigen ist, zieht sich nun auch durch das „Haus der Namen“, den neuen Roman des Iren Colm Tóibín.
In klassisch-antiker Tradition kehrt auch hier der siegreiche Feldherr Agamemnon nach dem Trojanischen Krieg heim in sein Königreich. Dort wartet Klytaimnestra mit gewetzter Klinge. „Ich packte ihn bei den Haaren und riss seinen Kopf zurück“, berichtet die trügerische Gattin. „Ich zeigte ihm das Messer, richtete es erst gegen seine Augen, bis er zurückzuckte, und dann stach ich ihm in den Hals, gleich unter dem Ohr.“Bluttriefende Szenen wie diese gibt es in Tóibíns Roman so einige. Zwar hält sich der Autor grundlegend an die zeitlos-klassische Vorlage. Doch schlägt er auch andere Erzählwege ein und füllt Lücken, die ihm die Antike lässt.
Bei Aischylos wird Orestes nach dem Mord an seiner Mutter von den Rachegöttinnen in den Wahnsinn getrieben. Bei Tóibín hingegen schließt die Geschichte mit einem Hoffnungsschimmer. Im „Haus der Namen“nimmt das Unheil ein Ende. Und dennoch lebt der Mythos weiter.
Hanser, 304 S., 24 ¤