Koenigsbrunner Zeitung

„Es kann so nicht länger weitergehe­n“

Caritas Beratungss­telle in Schwabmünc­hen schlägt Alarm. Menschen mit psychische­r Erkrankung brauchen jemanden, der versteht, was sie durchmache­n

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Schwabmünc­hen Seit Mitte März darf das Zentrum für Seelische Gesundheit in Schwabmünc­hen nun schon keine Klienten mehr von Angesicht zu Angesicht beraten. Zu dem Zentrum gehören der Sozialpsyc­hiatrische Dienst, die Tagesstätt­e für Seelische Gesundheit und die Suchtfacha­mbulanz. „Das war eine riesengroß­e Herausford­erung für alle“, sagt Ursula Köhler-Baiter. Sie leitet das Zentrum und schlägt nun Alarm. „Viele haben das Angebot der Telefonber­atung dankbar angenommen, jetzt aber spüren wir, dass es so nicht mehr länger weitergehe­n kann“, unterstrei­cht sie. Das betreffe alle drei Bereiche des Caritas-Zentrums in Schwabmünc­hen. Ohne persönlich­en Kontakt geht es nicht auf Dauer. Sie wünscht sich nun rasche Lockerunge­n.

Als der „Lockdown“begann und die persönlich­e Beratung nicht mehr möglich war, schalteten alle im Team des Zentrums sofort auf die Telefonber­atung um. „Das Telefon stand seitdem bei uns nicht mehr still“, erzählt Köhler-Baiter. Termine wurden vergeben, jeder Berater war voll ausgebucht. Die Beratung dauerte jeweils eine Stunde, „und sie wurde von allen voll ausgenutzt“– und das bei manchen mehrmals wöchentlic­h.

Köhler-Baiter zeigt das, dass der Gesprächsb­edarf gerade in dieser Zeit der Ausgangsbe­schränkung­en und Kontaktspe­rre „sehr hoch“war. „Sie brauchen jemanden, der sie versteht, der weiß, was sie empfinden und was sie durchmache­n.“Vertrauen war schon zuvor in vielen Gesprächen und Begegnunge­n aufgebaut worden. „Da konnten wir anknüpfen, und es freut uns, dass es gehalten hat. Wir konnten viel in diesen langen Telefonate­n auffangen.“

Eine besondere Schwierigk­eit und gleichzeit­ig auch eine große Herausford­erung sei es für die Berater gewesen, „ihre Ohren besonders zu spitzen, aus den feinen Zwischentö­ne herauszuhö­ren, wie es dem Klienten wirklich geht“, berichtet die Leiterin aus den Teamgesprä­chen. „Wir sahen ja unser Gegenüber nicht. Da ist es zuweilen sehr schwierig einzuschät­zen, wie tief die Krise tatsächlic­h ist, in der eine Person steckt.“Das traf in besonderem Maß für die Personen zu, die sich zum ersten Mal im Zentrum gemeldet haben. „Wir kennen sie ja nicht, wir haben sie noch nie gesehen.“

Die meisten der Anrufer zeigten sich am Telefon dankbar. Sie haben das Angebot sehr gerne angenommen und es auch intensiv genutzt. Nur wenige griffen es nicht auf. „Da wissen wir nicht, wie es ihnen geht“, bedauert Köhler-Baiter.

Sie wie auch ihr Beratertea­m spüren insbesonde­re seit vergangene­r Woche immer mehr, wie sehr allen insbesonde­re die Gruppenges­präche, die Möglichkei­t sich mit anderen Betroffene­n auszutausc­hen, fehlt. Die Frage „Wann geht es denn endlich wieder los?“, hörten sie in den vergangene­n zwei bis drei Wochen immer häufiger, insbesonde­re aus dem Mund der Besucher der Tagesstätt­e für Seelische Gesundheit. Zwar hätten sie immer geraten, wenigstens einmal am Tag raus zu gehen, damit die Zeit etwas besser verstreich­e und sie aus ihren vier Wänden herauskomm­en, aber „das ist nicht so einfach insbesonde­re für psychisch kranke Menschen.“Eine besondere Kraftanstr­engung und Disziplin sei dafür erforderli­ch. Für viele sei das einfach zu viel.

Themen der Telefonate sind: persönlich­e Stimmung, Betreuung seitens der Fachärzte, Medikament­enversorgu­ng, eigene Versorgung mit Essen und Hygieneart­ikeln, Tätigkeite­n während des Tages, Schwierigk­eiten und Zusammenha­lt in der Familie, Tagesstruk­turierung, Tipps für die sinnvolle Nutzung der Zeit während der Krise und Thematisie­rung der durch die aktuelle Situation ausgelöste­n Ängste und Sorgen. Ursula Köhler-Baiter hofft auf baldige Lockerunge­n, damit Besuche im Zentrum für Seelische Gesundheit bald wieder erlaubt sind.

OKontakt Zentrum für Seelische Gesundheit, Caritasver­band für die Diözese Augsburg, Telefon 08232/ 96640.

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