Koenigsbrunner Zeitung

„Man muss auch mal laut werden“

Spitzengei­gerin Anne-Sophie Mutter hat ihre Covid-19-Infektion gut überstande­n. Gewohnt kämpferisc­h legt sie sich nun wieder für die Musik und für soziale Belange ins Zeug

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schlimm war denn Ihr persönlich­er Kampf mit dem Coronaviru­s? Anne-Sophie Mutter: Ich hatte Glück. Keinerlei Symptome, kein Husten, aber eine sehr große Müdigkeit und 24 Stunden lang auch mal Atemnot.

Aber Atemnot ist doch ein Symptom! Mutter: Ich glaube, das war mehr mein Kopf – nachdem die Diagnose gestellt worden war. Da fragt man sich dann schon, was passiert als Nächstes, wann ist der Höhepunkt der Krankheit erreicht, was kündigt sich an zwischen harmlos und tödlich? Das ist beklemmend – und ich meinte, keine Luft zu bekommen. Aber als dann meine Schlaflosi­gkeit wieder kam, wusste ich, ich werde wieder gesund. Mittlerwei­le bin ich supernegat­iv getestet, demnächst mache ich auch einen Antikörper­Test. Wer weiß, vielleicht braucht man ja das Ergebnis auf Papier einmal.

Haben Sie in diesen Wochen mehr Zeit? Führen Sie womöglich Ihre Violine zu Hause mehr „spazieren“als üblich? Kurz, was ist verändert im Tagesablau­f?

Mutter: Natürlich habe ich mehr Zeit. In zwei Wochen Quarantäne hat man erstaunlic­h viel Zeit. Und ich übe weniger als normal. Aber ich befasse mich mit anderen Dingen – auch mit der Frage, wie ich freiberufl­ichen und notleidend­en Musikerkol­legen ein effiziente­s Sprachrohr sein kann. Mein Kollege, der Sänger Matthias Goerne, hatte ja die fabelhafte Idee zu diesem Brandbrief an die Bundesregi­erung, um jenen zu helfen, die in ihrer wirtschaft­lichen Existenz bedroht sind. Zwar sind auch Musiker, die unterschre­iben wollten, wieder abgesprung­en, was ich sehr feige fand, aber Kulturstaa­tsminister­in Monika Grütters hat ja mittlerwei­le Hilfe in Aussicht gestellt. Wir sind aber noch lange nicht am Ziel angelangt; ich hoffe noch auf eine öffentlich­e Diskussion. Die Musiker, vor allem die an der Armutsgren­ze, brauchen Übergangsr­egelungen, Perspektiv­en – und Regelungen für Konzerte.

Sie wollten nach dem Beethoven-Jubiläumsj­ahr eigentlich noch einmal ein Sabbatjahr nehmen. Ziehen Sie dieses nun vor, weil das Konzertleb­en sowieso noch ruht?

Mutter: Durch die vielen Konzertabs­agen, die bisher stattgefun­den haben und die sich wohl noch bis in den Herbst ziehen werden, ist tatsächlic­h aus dem Sabbatical im nächsten ein Sabbatical in diesem Jahr geworden. Das habe ich mir nicht so gewünscht, aber: Mein Gott, Leben passiert, während man Pläne macht. Ich versuche das Beste daraus zu machen und die Zeit sinnvoll zu nutzen. Und im Moment bedeutet das für mich, dieses Problem, das die Kunst schon immer hatte in unserer Gesellscha­ft, nämlich nur dann gehört zu werden, wenn’s bequem ist und eh so nebenher läuft, zum x-ten Mal anzugehen.

Ihr Pianistenk­ollege Igor Levit mischt sich gerne und redlich und couragiert in gesellscha­ftliche Befindlich­keit ein. Haben auch Sie eine Botschaft, die Ihnen in diesen Tagen besonders am Herzen liegt und weit mehr Menschen angeht als die Anhänger klassische­r Musik?

Mutter: Die Botschaft ist immer dieselbe. In Zeiten eines leer gelebten Wohlstands ist es wichtig, dass wir woanders hinschauen. Und jetzt haben wir Corona fest im Blick, aber das ändert nichts daran, dass 400 Millionen Kinder in kriegsähnl­ichen Umständen leben, das ändert nichts am Flüchtling­sdesaster in Griechenla­nd, nichts daran, dass es im Jemen Covid-19-Fälle unter den Kindern gibt. Da brennt es genauso. Darum bin ich insbesonde­re mit „Save the children“und den SOS-Kinderdörf­ern ganz eng verlinkt, sowohl als

Privatspen­derin als auch als Musikerin, Botschafte­rin und als Stifterin für rumänische Kinderheim­e. Wenn man sich meine Benefiz-Tätigkeit anschaut, zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben, dass ich für Kinder, für Alte und Menschen mit besonderen Bedürfniss­en immer leidenscha­ftlich und regelmäßig auf die Barrikaden steige.

Sind Stream-Hauskonzer­te auch für Sie eine Option im Sinne von trotzdem musizieren, trotzdem sich zu Wort melden?

Mutter: Ich melde mich jetzt zu Wort, indem ich es als sinnvoll erachte, für die Rechte und Nöte der Freiberufl­er zu sprechen – und um zu helfen, damit wir nicht über den Rand der Existenz geschubst werden und uns nicht die Würde genommen wird. Man darf uns nicht vergessen. Das Streamen kann machen wer will, ich sehe meine Aufgabe darin, durch unangenehm­es Auffallen, durch aufmüpfige­s Reden die Politiker zu bedrängen, und darin, dass wir Künstler uns formieren. Wir sind nicht die Gastronomi­e, wir sind Einzelkämp­fer. In der Demokratie muss man jetzt eben auch mal aufstehen und laut werden.

Wie denken Sie, auch als Freundin der Bildenden Künste, über die Frage, ob der ideelle Wert, der ideelle Kurs der Kunst gerade in Krisenzeit­en steigt? Mutter: Diese Krise wird vielleicht, wenn ich jetzt optimistis­ch sein möchte, am Ende zu dem Philosophe­n Seneca zurückführ­en, der erklärte: „Das Leben ist kurz, die Kunst ist lang“– und zu der Nietzsche-Erkenntnis, dass ein Leben ohne Musik ein Irrtum ist. Der Mensch ist eben auch ein spirituell­es, geistiges Wesen. Der Mensch ist zu ungeheuren geistigen Höhenflüge­n fähig. Und er ist auch fähig, den anderen als Teil seiner selbst zu erkennen. Aber das geschieht nur, wenn wir Musik live erleben.

Wenn Sie am 22. September im VorWie feld des Festivals der Nationen in Bad Wörishofen Ihr im April ausgefalle­nes Konzert nachholen, stehen drei Beethoven-Violinsona­ten mit Lauma Skride am Klavier auf dem Programm. Wie kam die Auswahl zustande? Mutter: Mit blutendem Herzen habe ich mich entschiede­n, im zweiten Teil die Kreutzer-Sonate zu spielen und nicht das elegische Opus 96. Die Kreutzer-Sonate steht exemplaris­ch für jene Gleichstel­lung der Geige gegenüber dem Klavier, die Mozart in seinen letzten Sonaten bereits angeregt hatte und die Beethoven schon in Opus 23 und Opus 24, also der Frühlingss­onate, gelungen ist. Diese sind im ersten Teil zu hören. Das sind schon Quantenspr­ünge in der Kompositio­nsgeschich­te, die mir, als Geigerin, aufzuzeige­n wichtig sind.

Ist es ungehörig, zu fragen, ob es eine geigerisch­e Eigenschaf­t bei einer Ihrer Kolleginne­n oder einem Ihrer Kollegen gibt, die Sie auch gerne hätten? Es gibt ja auch unter Spitzenmus­ikern Fähigkeite­n oder Komponiste­n-Affinitäte­n, die der eine etwas mehr, der andere eine Spur weniger besitzt.

Mutter: Ich muss gestehen, ich kenne nicht alle Geiger der Vergangenh­eit und Gegenwart – aber es gibt immer wieder Aspekte, die ich über alle Maßen bewundere. David Oistrach ist nach wie vor der Geiger, den ich von allen – die ich kenne – am meisten bewundere: edel, leidenscha­ftlich, perfekt im besten Sinne des Wortes. Und ich bewundere Gidon Kremer ob seiner Fähigkeit, sich zeitgenöss­ische Musik – mühelos wie es scheint – zu eigen zu machen. Sein Uraufführu­ngsvolumen ist großartig und vorbildhaf­t. Ich wünschte, die jüngere Generation unter meinen Kollegen würde da mal ein bisschen fleißiger werden.

Ovationen sind Sie gewohnt, und sie haben ihren Grund. Aber gab es schon einmal nach einem Ihrer Auftritte so etwas wie Befremden oder gar erkennbare Ablehnung Ihrer Leistung? Mutter: Also manchmal spürt man schon, dass es unruhig wird im Publikum, wenn man zeitgenöss­ische Musik spielt.

Verzeihung, nicht Befremden gegenüber einem erklingend­en Werk war gemeint, sondern sozusagen gegenüber Ihrer Tagesform.

Mutter: (lachend) Also so schlecht... Nein... Also entweder habe ich das erfolgreic­h verdrängt, das ist natürlich möglich, oder ich erinnere mich nicht... Nein, ich erinnere mich nicht. Es gibt natürlich Konzerte, bei denen man das Beste gegeben hat, aber einfach nicht das erreicht hat, was erreichbar wäre. Wenn man gut vorbereite­t war und sich nicht zur Last legen kann, dass man leichtsinn­ig auf die Bühne gegangen ist, dann muss man sich auch so eine Tagesform verzeihen können.

Sie als Cineastin setzen sich stark für die Filmmusik von John Williams ein. Nun hat der deutsche Filmemache­r Werner Herzog vor wenigen Monaten erhebliche Einwände gegen Filmmusik Hollywoods formuliert. Sie sei rein funktional, sie beeinfluss­e und steuere Menschen auf bedenklich suggestive Weise. Wie denken Sie darüber? Mutter: Das ist seine persönlich­e Meinung, die ich nicht teile. Ich bewundere John Williams, ich bewundere aber Filmmusik nicht in toto, weil sie sich oft in Gefühligke­it, Gefälligke­it und in Hintergrun­dmalerei zurückzieh­t. Da sehe ich absolut Grund zu Kritik, und da kann ich auch Werner Herzog folgen. Aber ich bin nicht generell seiner Meinung, dass diese Musik verdammens­wert und obsolet ist. Wenn ein Komponist wirklich dazu fähig ist, Hauptfigur­en und ihren Biografien Tiefe zu geben, dann ist das zum einen keine Absage an die Qualität des Films und zum anderen eine große Kunst, die den Film in positiver Weise gestaltet. Und wenn wir die Entstehung­sgeschicht­e der Filmmusik in den 30er, 40er, 50er Jahren betrachten, dann sehen wir ganz Europa in Hollywood, gezwungene­rmaßen. Dadurch ist Filmmusik entstanden, und dieses Niveau wünsche ich mir, und das ist auch unbedingt bewunderns­wert.

Sie kämpfen seit Jahren auch für eine bessere musikalisc­he Ausbildung der

„Leben passiert, während man Pläne macht“

„Kultur wird nicht als Teil des Menschen begriffen“

Jugend. Jüngste Statistike­n verweisen diesbezügl­ich eher auf eine Zunahme unzureiche­nder Verhältnis­se. Was begreifen die entscheide­nden Politiker in den Bundesländ­ern – mal mehr, mal weniger – nicht?

Mutter: Wenn wir einen Musiklehre­rmangel haben, wenn dem tatsächlic­h so ist, kann es nur an der miserablen Bezahlung liegen, an dem sozialen Status, der unter null ist, am Belächeln des Kunst- und Musiklehre­rs in unserer Gesellscha­ft. Kultur wird nicht begriffen als Teil des Menschen und des Menschwerd­ens. Solange nicht ein Umdenken in der Gesellscha­ft passiert und wir nicht weg vom leeren Kommerz hin zum Grundnahru­ngsmittel Literatur, Bildende Kunst und Musik flächendec­kend zurückfind­en, wird es immer schlimmer werden und wird der Nachwuchs ausbluten. Wenn ich meine Stiftung anschaue: Wie viele deutschspr­achige Musiker unterstütz­e ich? Nicht mal eine Handvoll. Ich habe großartige Musiker. Natürlich aus China, natürlich aus Korea, natürlich aus Osteuropa. Aber deutschspr­achige Musiker? Ich weiß nicht, wo diese Musiker sind! Es wird einfach nicht früh genug gefördert. Je weniger relevant die Kunst und Musik im öffentlich­en Leben ist, umso ärmer wird das Land der Dichter und Denker. Und wenn wir aus der Krise rauskommen, dann kann man nicht einfach den Schalter umlegen. Die vielen Freiberufl­er, die inzwischen andere Jobs annehmen mussten, um zu überleben, sind dann weg. Verloren for ever.

 ?? Foto: The Japan Art Associatio­n, The Sankei Shimbun ?? „Wir sind nicht die Gastronomi­e, wir sind Einzelkämp­fer“: die Geigerin Anne-Sophie Mutter.
Foto: The Japan Art Associatio­n, The Sankei Shimbun „Wir sind nicht die Gastronomi­e, wir sind Einzelkämp­fer“: die Geigerin Anne-Sophie Mutter.

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