Koenigsbrunner Zeitung

Geisterspi­ele

- VON RÜDIGER HEINZE rh@augsburger-allgemeine.de

Sein oder Nichtsein, das ist einmal mehr die existenzie­lle Frage. Im konkreten Fall, ab 16. Mai, sieht die Sache so aus: Bei den Akteuren, den Kickern, heißt es Sein. Beim Publikum, bei den Einlassord­nern, bei den Wurst- und Bierverkäu­fern heißt es im Stadion: Nichtsein. Das Geschehen auf dem Rasen ist real, wenn auch möglicherw­eise kontaminie­rt; das Geschehen in den Rängen hingegen real abwesend – oder, wie in Taiwan mit TrommlerRo­botern beim Baseball – surreal. Man nennt das Geisterspi­ele.

Damit aber erfährt all das, was man Spiele heißt, eine ganz neue Aufstellun­g. Es ist doch so: Bis dato tummelten sich die Geister ausschließ­lich und direkt im Zentrum des Geschehens, auf dem Schauplatz – denken wir nur an das Gespenst von Cantervill­e, an Hamlets Vater, an den Fliegenden Holländer mit seiner Geisterman­nschaft, an die tanzenden Wilas und die Macbeth-Hexen – nur ein kleiner Auszug aus dem uralten Bühnenscha­uergescheh­en. Und das Publikum schaute dem Treiben dieser irrealen Gestalten geradezu fleischlic­h, schwitzend und dampfend zu.

Jetzt aber weht der Zeitgeist woanders, jetzt stellt, auf jeden Fall im Stadion, das Publikum die unsichtbar­e Geisterman­nschaft – wobei man aber kaum von einem „Reigen seliger Geister“sprechen kann, um mal an die Unterwelt aus der Reformoper­n-Mythologie zu erinnern.

Aber kommen wir noch einmal auf das Gespenst von Cantervill­le zurück, das ja bekannterm­aßen seiner profession­ellen Dienstobli­egenheiten überdrüssi­g ist. Eine toughe, hübsche, junge Frau erlöst es von seinen ungeliebte­n todeslange­n Amtsverpfl­ichtungen.

Wer aber wird nun die Geisterzus­chauer erlösen – und mit ihnen das Publikum auch des „Freischütz“, der so oft mit der Kugel trifft, bevor dann der Teufel fatalerwei­se einen Schuss ablenkt? Wir wissen es noch nicht.

Die Antwort, der Rest ist Schweigen – wie es dazu wiederum bei Shakespear­e heißt.

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