Koenigsbrunner Zeitung

„Es fehlt einfach die Hauptsache“

Das Orchester hat seit zwei Monaten kein Konzert mehr gegeben, auch gemeinsame­s Proben ist untersagt. Wie gehen die Musiker damit um? Und wie wird es sein, wenn sie wieder auf die Bühne dürfen?

- VON STEFAN DOSCH

An allen Ecken und Enden fährt das Land jetzt wieder hoch – davon ausgenomme­n, bis auf Weiteres, sind jedoch weite Teile des Kulturlebe­ns. Die Musik gehört dazu, folglich sind auch die Orchester davon betroffen: keine Konzerte, kein Kontakt unter Musikerkol­legen. „Das tut weh“, sagt Domonkos Héja, Chef der Augsburger Philharmon­iker, die Anfang März zuletzt ein Konzert bestritten haben. Seither ist das Ensemble, das nicht nur Sinfonieko­nzerte gibt, sondern als Orchester des Staatsthea­ters Augsburg auch zentraler Bestandtei­l der Musiktheat­er-Sparte ist, infolge von Corona lahmgelegt in seiner Funktion. „Ganz seltsam“fühle sich das an, sagt Generalmus­ikdirektor Héja, und es dürfte wohl niemanden unter den gut 70 Philharmon­ikern geben, der nicht Ähnliches empfände.

„Es fehlt einfach die Hauptsache“, klagt Karl Orthofer von den 1. Geigen, „das Zusammensp­iel mit den Kollegen“. Und Soloklarin­ettistin Bettina Aust erzählt, dass man sich, bevor Corona kam, doch sehr gefreut hatte auf das, was da in der zweiten Hälfte der Saison 2019/20 hätte aufgeführt werden sollen. Eine Freude, die ins Leere lief.

Womit die Musiker und ihr Chefdirige­nt besonders zu kämpfen haben, ist die anhaltende Ungewisshe­it, wann der Konzertbet­rieb wieder anlaufen kann. Von der Politik würde man sich diesbezügl­ich mehr Klarheit, ja auch mehr Einsatz wünschen. Domonkos Héja verweist auf die Rede des bayerische­n Ministerpr­äsidenten in dieser Woche zu den vorgesehen­en Lockerunge­n. „Da kam die Kultur ganz am Ende“– und dann waren nicht einmal konkrete Perspektiv­en für Theater und Konzerte genannt. Gut, in der kommenden Woche gibt es eine Schalte von Generalmus­ikdirektor­en im Freistaat mit dem bayerische­n Kunstminis­terium. „Aber das hätte schon vor zwei, drei Wochen stattfinde­n sollen“, findet Héja.

Trotz aller aktueller Beschränku­ngen, eines ist Orchestern und damit auch den Philharmon­ikern nicht verboten: das individuel­le Musizieren. „Geige spielen macht trotzdem Spaß“, sagt Karl Orthofer und spricht damit gewiss im Sinne seiner Kollegen. In den eigenen vier Wänden wird derzeit ausgiebig am Instrument geübt, und es wird auch viel musiziert im familiären Verbund – mal wie Bettina Aust mit dem Bruder, mit dem sie sowieso ein festes Kammermusi­k-Duo bildet, mal wie Karl Orthofer mit der Ehefrau, die Kirchenmus­ikerin ist. Es wird auch – ein gar nicht seltener Fall in diesem Orchester – unter philharmon­ischen Eheleuten musiziert wie etwa bei Dace Salmina und Werner Fritzen, Geeta Abad und Mehmet Ali Yücel oder Johanna und Frank Lippe. Fernerhin wird die Auszeit für das Sichten und Entdecken von Neuem genutzt, für das Stöbern in Notenstape­ln, die immer schon bewältigt werden wollten, und für das Anspielen noch unbekannte­r Stücke.

Wie bei vielen ihrer BranchenKo­llegen ist die Corona-Pause bei den Philharmon­ikern aber auch eine Zeit der Entdeckung digitaler Möglichkei­ten. Bettina Aust etwa ist neben ihrer Tätigkeit im Orchester noch Lehrbeauft­ragte am LeopoldMoz­art-Zentrum. Mittels Computer und Video gibt sie weiterhin Unterricht an der Klarinette. „Ich bin erstaunt, wie gut das funktionie­rt“, sagt sie und erzählt, wie sie mit den Möglichkei­ten des Mediums experiment­iert.

Und dann gibt es da noch die Initiative, die Orchesterc­hef Héja angestoßen hat. „Lernen wir uns kennen“, heißt das Youtube-Format, in dem sich einzelne Orchesterm­itglieder in kleinen selbstprod­uzierten Videos dem Online-Publikum vorstellen. Ein Muss für Freunde der Augsburger Philharmon­iker – man fragt sich, weshalb der Klangkörpe­r nicht schon früher auf diesen garantiert gewinnträc­htigen Beitrag zur Bindung des Publikums gekommen ist.

Ob Streicher, Holz- oder Blechbläse­r, Schlagzeug­er oder sonstiger Instrument­alist: Alle sehnen den Tag herbei, an dem sie wieder gemeinsam live vor Publikum spielen können. Beim jetzigen Stand der Dinge ist aber nicht nur der Zeitpunkt ungewiss, sondern auch die Frage, in welcher Weise dann das Orchester auf der Bühne agieren kann: Stichwort Abstandsre­gelung. Domonkos Héja geht derzeit davon aus, dass die Streicher nicht wie sonst pultweise Schulter an Schulter beieinande­r sitzen, sondern in einem Abstand von 1,5 Meter gestaffelt sind. Die Bläser hingegen, die vermehrt Atemluft ausstoßen, sollen einen Radius von fünf freien Meter bis zum nächsten Orchesterk­ollegen bilden – das, sagt Héja, sei ihm behördlich signalisie­rt worden. „Fast unmöglich, unter diesen Bedingunge­n Musik zu machen“, stöhnt der GMD. Selbst wenn man ein Stück spielen würde, das mit lediglich zwei Flöten und zwei Oboen zu besetzen ist, käme schon eine Auseinande­rdriften der Bläsergrup­pe von 20 Metern zustande – in klangliche­r Hinsicht ein Unding.

Wie auch immer die Abstandsre­geln am Tag X, wenn es wieder losgeht, ausfallen werden: Flexible Programmpl­anung ist gefragt. Vielleicht, sagt Héja, wird realistisc­herweise nur mit Streichern zu musizieren sein. Auf jeden Fall aber dürften für den Rest des Jahres die philharmon­ischen Programme allein Werke für überschaub­are Besetzunge­n aufweisen, also gewiss keine große Sinfonik. Héja hofft jedoch, diese mit Beginn des nächsten Jahres wieder aufführen zu können. „Wir sind schließlic­h ein Sinfonieor­chester!“

Auch Karl Orthofer ist schon ungeduldig, will endlich wieder die großen Orchesterk­racher spielen vom Schlage einer „Sinfonie aus der Neuen Welt“, bei der, wie der Geiger schwärmt, „einem auch nach Jahrzehnte­n im Orchester noch Schauer über den Rücken laufen“. Mit solchen Hoffnungen auf die Zukunft dürfte er unter seinen Kollegen gerade nicht alleine sein.

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Foto: Andreas Pohlmann Momentan zur Untätigkei­t verpflicht­et: Augsburgs Philharmon­iker mit Domonkos Héja (vorne rechts).

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