Die Koalition setzt auf Alternativen zum Auto
Das schwarz-grüne Projekt „autofreie Maximilianstraße“sorgt für Diskussionen, obwohl niemand weiß, was gemeint ist. Grundsätzlich wollen die Parteien den Verkehrsanteil des Autos senken, ohne es zu verteufeln
D ie Fußgängerzone werde Umsatzeinbußen bringen, die Kundschaft wegbleiben, die Autos hätten keinen Platz mehr, die Belieferung werde schwierig und überhaupt könne man sich das alles nicht vorstellen: Das sind Aussagen von Augsburger Geschäftsleuten, 50 Jahre alt und im Archiv unserer Zeitung festgehalten. 1967 begann die Stadt als eine der ersten deutschen Städte damit, eine Fußgängerzone in der Annastraße einzurichten. Philippine-Welser-Straße, Bgm.-Fischer-Straße und Steingasse folgten, in den 90er-Jahren noch die kurze Maximilianstraße zwischen Perlach und Moritzplatz.
Heute wäre die Innenstadt ohne Fußgängerzone nicht denkbar. Das gilt in Zeiten des Onlinehandels, in der der stationäre Handel auf ein „Einkaufserlebnis“setzen muss, mehr denn je. Dennoch hat sich im Vergleich zu vor 50 Jahren nicht viel geändert. Das im schwarz-grünen Koalitionsvertrag festgehaltene Projekt einer „autofreien Maximilianstraße“findet wenig Beifall bei den Händlern.
Natürlich ist ein Eins-zu-einsVergleich schwierig, weil die südliche Maximilianstraße in Sachen
Passantenfrequenz nicht mit der kurzen Maxstraße zu vergleichen ist. Und es besteht auch kein dringender Handlungsbedarf wie in der Annastraße, wo die Gehsteige zu schmal für die Passanten wurden.
Aber Vorbehalte – das soll der Vergleich mit der Geschichte zeigen – gibt es immer. Noch ist ja gar nicht klar, was eine „autofreie“Maximilianstraße konkret bedeuten soll und welche Abschnitte betroffen wären. Wohlweislich haben die Koalitionäre das Wort „Fußgängerzone“, das eindeutig geregelt ist, nicht in den Mund genommen. Vielleicht wird es auch nur ein sogenannter „Shared Space“, wo alle Verkehrsteilnehmer gleiche Rechte haben und Rücksicht aufeinander nehmen müssen. Fußgänger dürfen dann auch auf der Straße laufen.
Doch selbst wenn Zufahrtsmöglichkeiten und Parkplatzangebot eingeschränkt werden sollten, gäbe es für Kunden, die mit dem Auto kommen, mit dem Drei-MohrenParkhaus eine nahe Abstellmöglichkeit. Das kostet zwar mehr als ein Parkplatz am Straßenrand, man bekommt aber verlässlich einen Parkplatz. Eine entscheidende Größe wird sein, wie hoch der Bedarf von Anwohnern an den Maxstraßen-Parkplätzen ist.
Das Projekt Maximilianstraße ist im Koalitionsvertrag nicht das einzige Vorhaben, das die Verhältnisse zwischen den Verkehrsmitteln neu austarieren möchte. Die Karolinenkaum straße soll verkehrsberuhigt werden, Parkgebühren möglicherweise erhöht, eine Umgestaltung der Karlstraße überprüft werden – wer genau hinschaut, erkennt freilich viele Wenns und Abers, wenn Dinge „geprüft“oder „evaluiert“werden sollen. Dass das alles so kommt, ist damit noch keineswegs gesagt.
Aus dem Koalitionsvertrag abzuleiten, dass die Stadtregierung einen autofeindlichen Kurs eingeschlagen habe oder dass die CSU sich Grünen-Forderungen einseitig gebeugt habe, wie es teils schon unterstellt wird, ist eine gewagte These. Denn welche konkreten Einschränkungen für Autos sind aus dem Koalitionsvertrag ableitbar? Eher wenig. Parkgebühren nach jahrelanger Stagnation zu erhöhen (das noch zu ermittelnde Ausmaß ist der springende Punkt), ist prinzipiell keine Ungeheuerlichkeit. Tempo 30 soll ausgeweitet werden, aber nur dort, wo rechtlich zulässig – und das heißt, dass es eher auf einzelne Straßen, denn aufs ganze Stadtgebiet hinauslaufen wird. Abgesehen davon: Die Innenstadt wird bis zum Ende des Jahres ein Parkleitsystem bekommen, was
als autofeindlich zu bezeichnen ist. Das Auto als das Hauptverkehrsmittel in Augsburg, das es nach Studien nach wie vor ist, wird nicht systematisch durch Verbote zurückgedrängt. Ein Chaos braucht niemand zu befürchten.
Richtig ist aber, dass die Koalition darauf schaut, Alternativen zum Auto zu stärken und attraktiver zu machen – der schon im Wahlprogramm formulierte Ansatz der CSU, um den Anteil des Autoverkehrs zu senken, verbunden mit einigen weitreichenderen Forderungen der Grünen. Ein Ausbau von Auto-Infrastruktur in Form neuer Parkgaragen oder Straßen ist nicht geplant, weil es weder zu wenig Parkplätze noch massig DauerstauStellen gibt. Bei der Ostumgehung sind sich die Koalitionäre nicht einig, was faktisch aber egal ist, weil die Umgehung als östliches Gegenstück zur B 17/Westtangente ohnehin kein städtisches Projekt ist, sondern eine staatliche Straße im Landkreis Aichach-Friedberg.
Für Fußgänger, eine lange unterschätzte Verkehrsgattung, soll etwas vorangehen, etwa bei Ampelschaltungen oder der sichereren Ausgestaltung von Kreuzungen. Viel Platz im Koalitionsvertrag nehmen Verbesserungen für den Radverkehr in Anspruch, was angesichts des verpassten Ziels „Fahrradstadt 2020“auch nötig ist. Unter anderem ist ein konsequenter Ausbau des Radwegenetzes, etwa in der Hermanstraße, vorgesehen. Auch mehr Radparkhäuser, Abstellflächen und die Entschärfung von Gefahrenstellen sind geplant. Das wird im Fall der Holzbachstraße richtig viel Geld kosten, andere Projekte sind für wenig Geld zu haben und können auch in Nach-Corona-Zeiten umgesetzt werden.
(Noch) wenig visionär kommt das Thema Nahverkehr daher. Die bekannten Infrastrukturprojekte (Bahnhofstunnel, Tramlinien 1a, 3 und 5) sollen fortgesetzt und angegangen werden. Das wird anstrengend, ist für eine Verkehrswende aber nötig. Doch bei den Tarifen bleibt vieles im Ungefähren. Die Entlastung für den Teil der Gelegenheitsfahrer, die durch den Wegfall der Zone 10 im Zuge der Tarifreform schlechtergestellt wurden, ist aus dem Koalitionsvertrag nicht ersichtlich. Das von den Grünen geforderte 365-Euro-Abo wurde angesichts der unklaren Finanzierung zum „langfristigen“Projekt erklärt. Interessant wird sein, was die Evaluierung der Tarifreform durch einen Gutachter im Lauf des Jahres bringt – und was die Kosten für daraus ableitbare Verbesserungen ausmachen, die dann zusammengerechnet werden sollen. Und noch spannender wird sein, ob Land, Stadt oder Stadtwerke angesichts der Corona-Nachwirkungen das Geld haben werden, um diese Vergünstigungen für Fahrgäste zu bezahlen.
Die These von der Autofeindlichkeit trifft nicht zu