Ausgehungert und lange ohne Eltern
Hedi Gottschalks dramatischer Weg in den Westen
Bonstetten Hedi Gottschalk aus Bonstetten hat als Kind Flucht und Vertreibung erlebt und musste sich wochenlang alleine mit anderen Buben und Mädchen durchschlagen. Das ist ihre Lebensgeschichte:
Hedi Gottschalk wurde in Glaserhau in der heutigen Slowakei geboren. Das Leben sei dort vom Zweiten Weltkrieg zunächst kaum betroffen gewesen. „Wir hatten alles, was wir zum täglichen Leben brauchten; es gab während des Krieges weder Lebensmittelkarten noch Bezugsscheine“, erinnert sich Hedi Gottschalk. Dieses Leben änderte sich jedoch in der zweiten Jahreshälfte 1944 schlagartig. Sie kam getrennt von den Eltern in ein sogenanntes Kinderland-Verschickungslager. Das wurde evakuiert. Irgendwann waren die Kinder auf
„Wir wühlten zum Teil verschimmelte Essensreste aus Abfalleimern.“
Hedi Gottschalk
sich alleine gestellt.
Mit vier Geschwistern und weiteren acht Nachbarskindern im Alter zwischen zehn und 14 Jahren schlug sich Hedi Gottschalk über die Grenze durch und landete schließlich in einem Auffanglager in Eger. „Wir wurden in der leeren Kaserne in einem kleinen Zimmer, vollgestellt mit Doppelbetten, untergebracht. Zu essen bekamen wir einen Eimer voll Wassersuppe mit etwas Grün darin. Wir konnten uns auf dem Hof frei bewegen, und so entdeckten wir bald die Abfalleimer neben der amerikanischen Baracke. Wir waren völlig ausgehungert, wühlten die zum Teil verschimmelten Essensreste heraus und verschlangen sie gierig.“
Einige Tage nach der Ankunft begann sich die Kaserne zu füllen. Sie war das Auffanglager für Hunderte, wenn nicht Tausende von Flüchtlingen aus den Ostgebieten. Nun bekamen alle Insassen täglich eine Kelle Erbsen- oder Graupenbrei, was bei den Kindern aber nur kurzfristig gegen den ständigen Hunger half. In ihrem Zimmer wurde noch eine Frau mit zwei Kindern untergebracht. Gottschalk: „Wir konnten uns nunmehr mit 15 Personen kaum noch darin bewegen. Wir waren aber froh über den Zuzug, weil die Frau sich auch um uns etwas kümmerte. Da meine Stiefschwester und ich nur das besaßen, was wir am Leibe trugen, nähte sie uns aus alten, grünen Wehrmachtsjacken kleine Rucksäcke, Röckchen – ja sogar Schuhe.“Die Wirren der Flucht mit Angst, Sorgen und Hoffnung dauerten an, bis die Älteren aus der Kindergruppe über den Suchdienst des Roten Kreuzes die
„Ich wünsche mir, dass Jung und Alt unsere Demokratie stärken.“
Hedi Gottschalk
Eltern ausfindig gemacht hatten. 75 Jahre nach Kriegsende hat die 85-jährige Hedi Gottschalk einen Wunsch, der gleichzeitig eine politische Botschaft ist: „Ich wünsche mir, dass Jung und Alt unsere Demokratie stärken, sei es aktiv durch die Beteiligung am politischen Geschehen oder sei es passiv an den Wahlurnen. Es darf doch nicht sein, dass junge Menschen, die nie einen Krieg erleben, geschweige denn sich tödlichen Gefahren aussetzen mussten, rechtsradikalen, brutalen und hasserfüllten Neonazis nachlaufen, und das nicht nur bei uns, sondern in vielen Ländern. Dieser braune Sumpf darf nicht wieder die Oberhand gewinnen.“