Im Güterzug ging es nach „Irgendwo“
Wie Edith Jonschel die Flucht aus Breslau erlebte
Biburg Über 70 Seiten füllen mittlerweile die Erinnerungen, die Edith Jonschel schriftlich festgehalten hat. Sie lebt heute in Biburg, stammt aber ursprünglich aus Breslau. Die Stadt musste die Familie im Januar 1945 verlassen. Edith Jonschel, die damals noch Scholz hieß, erinnert sich: „Sehr früh und unausgeschlafen zogen wir uns alle warm an, und dann ging es los. Bei Eis und Schnee Richtung Bahnhof. Nur das Nötigste durfte mitgenommen werden, aber glücklicherweise hatte Mama auch ein paar Fotos von uns mit eingepackt. Den Rainer im Kinderwagen, mit zwei Taschen in den Händen, schob sie mit den Daumen den Kinderwagen. Georg und ich hielten uns daran fest, dass wir die Mama ja nicht verlieren. Helmut war ja schon acht und trabte nebenher. Ich musste von meinem Puppenwagen und meiner Puppe Abschied nehmen und war sehr traurig. Mama tröstete mich und meinte: ,Sei nicht traurig, wir kommen bald wieder zurück!‘“Sie kamen nicht wieder. Im Güterzug musste die kleine Familie mit der starken Mutter nach „Irgendwo“. Mutter und Kinder – der Vater war im Krieg – landete schließlich in Ebersbach in Baden-Württemberg. Die Neuankömmlinge wurden dort skeptisch betrachtet. Jonschel: „Eigentlich waren wir Heimatvertriebene, aber sie nannten uns Flüchtlinge.“
Die Amerikaner hat Jonschel „sehr hilfsbereit und nett“in Erinnerung behalten. Spenden, die von den GI’s stammten, zum Beispiel Milchpulver, Kartoffelgranulat und Grieß, wurden im Rathaus zugeteilt. Die Familie durfte später in eine Wohnung, die einmal ein Schweinestall gewesen war, umziehen. Edith Jonschel kann sie noch genau beschreiben: „Die Wohnung war in einem Bauernhaus mit Kühen und Pferden, wie schön für uns Stadtkinder. Sie bestand aus zwei Räumen. Einem Schlafzimmer für die Mama und Rainer und Georg. Einen kleinen Raum, mit einem Eisenofen zum Heizen und Kochen. Und zwei Betten rechts uns links für Helmut und mich, die mit Stroh ausgepolstert waren und gleichzeitig als Sitzgelegenheit dienten. Da war auch ein Tisch und eine Bank. Darüber ein Regal an der Wand mit Tellern und Tassen. Vor dem kleinen Fenster stand eine Steinspüle, und draußen nur etwa zwei Meter entfernt war ein großer Misthaufen.“An Weihnachten 1945 machte der Vermieter der Familie eine große Überraschung: Der Bauer schenkte eine Zinkwanne, die gefüllt war mit Schnitzbrot, Äpfeln, Lebkuchen, Gebäck und Nüssen.
Rückblickend sagt Edith Jonschel heute: „Wenn ich heute zurückdenke, habe ich trotz den Kriegsjahren und Entbehrungen eine schöne Kindheit erlebt. Es gab kein Handy, lange kein Telefon und auch kein Fernsehen. Dafür war ich mit meinen Geschwistern viel draußen an der frischen Luft. Wir trafen uns mit unseren Freunden, haben viel entdeckt und auch Blödsinn gemacht. Aber es ging alles gut aus.“