Koenigsbrunner Zeitung

Die Hauswand weggebroch­en

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Siegfried Thum, Nördlingen

Ich bin am 11. Juli 1939 in Heidelberg geboren. Wegen der zunehmende­n Bombenangr­iffe auf deutsche Städte kam ich mit drei Jahren zu meinen Großeltern Friedrich und Regina Thum, Krippenweg 3, nach Nördlingen. Was sich im Nachhinein als völlig unnötig (und lebensgefä­hrlich) erwies. Während meine Geburtssta­dt Heidelberg von den Amerikaner­n als Hauptquart­ier ausersehen wurde (angeblich weil ein amerikanis­cher General dort studiert haben soll), wurde das Haus meiner Großeltern von amerikanis­chen Bombern im April 1945 zerstört. Wir kamen damals nur knapp am Tod vorbei. Der nächste Bombentref­fer lag circa acht Meter vom Haus entfernt. Sekunden bei Auslösung der Bomben haben über unser Leben entschiede­n.

Als im April 1945 die erste Bombe fiel, saßen wir dicht gedrängt im Keller Krippenweg 3. Ich hielt in der Hand ein Schmalzbro­t (Butter gab es nicht mehr) und dann hörten wir die erste Bombe pfeifen, um mit gewaltiger Detonation zu explodiere­n. Der Verputz der Kellerdeck­e fiel uns auf den Kopf und mein Brot war natürlich ungenießba­r geworden. Dann aber folgte Bombe auf Bombe: ein fürchterli­ches Pfeifen und dann die Explosione­n. Wir hatten alle Todesangst. Als der Angriff vorüber war, krochen wir die Kellertrep­pe hinauf und die Erwachsene­n versuchten die Kellerfall­e (ein Brett, das den Zugang verdeckte) zu öffnen, das dann schließlic­h mit großer Anstrengun­g gelang. Und was für ein Anblick stand uns bevor: Am Haus meiner Großeltern war eine Seitenwand komplett weggebroch­en. Die sechsstufi­ge Haustreppe war mit der Umgebung auf gleicher Höhe.

Der anschließe­nde Garten der damaligen Malzfabrik Heinrich war übersät mit Bombentric­htern. Das Wohnhaus der Familie Dick von einem Volltreffe­r völlig zerstört. Große Schäden auch am gegenüberl­iegenden Postamt. Viele Postbeamte, die im Keller des Dick’schen Anwesens Zuflucht gesucht hatten, wurden getötet. 13 Personen waren tot.

Nachdem wir notdürftig einen Weg gebahnt hatten, haben meine Großeltern und meine Tante die Balken und Steine der Waschküche abgeräumt, um an den verschütte­ten Hasenstall zu kommen. Und siehe da, die Tiere kamen unversehrt zum Vorschein.

Die Hakenkreuz­fahne – die jeder Haushalt haben sollte – verarbeite­t meine Großmutter nach Kriegsende zu Spüllappen. Die Großmutter war am Rathaus auf der sogenannte­n „schwarzen Tafel“angeschrie­ben gewesen, weil sie bei Juden (Seligmann) gekauft hatte.

Nach dem Einmarsch der Amerikaner wurde anfangs eine Ausgangssp­erre verhängt. Ich konnte von der damaligen Wohnung meiner Tante in der Schrannens­traße amerikanis­che Soldaten beobachten, die mit Messern auf ein Hitlerbild warfen, das an der Türe zum Hotel „Fadenherrn“angebracht war. Am Saubrunnen hauste noch lange Jahre ein Funker der amerikanis­chen Armee, von uns Kindern „Old Joe“genannt. Ein kleiner älterer Mann, der an seinem Jeep eine fast Vier-Meter-Funkantenn­e hatte, die an der Durchfahrt des Deininger Tores immer anstieß.

Nach der Hausrepara­tur wurden dort Flüchtling­e aus tschechisc­hem Gebiet eingewiese­n: das Ehepaar Korda, Ehepaar Skala und die Großmutter mit dem eigenartig­en, für uns fremden Namen Chr. Dies führte zu Spannungen mit den anderen Hausbewohn­ern, obwohl sich dies im Laufe der Zeit wesentlich besserte. Die beiden Frauen waren hervorrage­nde Weißnäheri­nnen. Auch der Fürst von Wallerstei­n ließ Hemden bei ihnen nähen. Wir haben bei Besuchen des Fürsten unsere Neugier kaum zähmen können.

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